Alain spannt den Bogen / Jugendlicher Drang und tiefe Tragik
Nicht anders denn als herausragend kann man die beiden Konzerte bezeichnen, die das Luxemburger Publikum am 22. und 24. Mai in der Philharmonie erleben konnte. Da war zum einen die atemberaubende Aufführung zweier Streichoktette mit dem Belcea- und dem Ebène-Quartett und da war die grandiose 10. Symphonie von Dimitri Schostakowitsch mit dem Luxemburg Philharmonic unter Tugan Sokhiev.
Dass auch ganz junge Komponisten zu wundervollen Kompositionen fähig sind, das belegen die beiden Streichoktette von Felix Mendelssohn-Bartholdy und George Enescu. Mendelssohn hat sein Oktett im Alter von nur 16 Jahren komponiert und dennoch beeindruckt dieses Werk durch seine Meisterschaft und vor allem seine herrliche Musik, die bereits die seines Sommernachtstraums vowegnimmt.
Komponisten als Teenager
Mendelssohn schuf mit seinem Streichoktett ein absolut virtuoses Stück voller inniger und schwebender Momente. Das Ensemble, das sich aus dem Belcea- und dem Ébène- Quartett zusammensetzte, unterstrich dann auch diese virtuosen und sehr romantischen Elemente. Atemberaubend die Dynamik, sensationell das Spiel; hier passte einfach alles. Angeführt von der sehr dynamischen Corina Belcea bot das Ensemble dem Publikum eine Aufführung, die schöner und besser nicht sein konnte. Jubelnder Applaus bereits vor der Pause und hochkarätig ging es dann weiter mit dem Streichoktett von George Enescu, das dieser mit ebenfalls jungen 19 Jahren komponiert hat.
Leider wird der rumänische Komponist viel zu sehr auf seine populären Rumänischen Rhapsodien festgelegt und man vergisst viel zu schnell, dass Enescu großartige Kammermusik und Symphonien geschrieben hat: Sein Oedipe gehört darüber hinaus zu den besten Opern des 20. Jahrhunderts. Obwohl das Oktett relativ melodisch daherkommt, ist es kein einfaches Werk. Man spürt auch hier bereits den typischen Enescu-Klang, der durch Vielstimmigkeit und immer wechselnde Klangfarben bestimmt ist. Das Oktett ist stilistisch auch nicht so richtig greifbar; es erinnert oft an Schönberg, Bartok, Martinu, ohne diese aber zu kopieren.
Die Aufführung durch das Belcea-und das Ebène Quartett war auch hier herausragend. Die Interpretation wirkte wie aus einem Guss, jedes Instrument war sehr gut hörbar, sodass der Vielschichtigkeit und dem Farbenreichtum der Partitur in jedem Moment Rechnung getragen wurde. Vor allem aber begeisterte dieses Konzert durch seine Lebendigkeit und seinen Drive; es war Kammermusik unter Freunden und diese Lust am Gestalten und am Zusammenmusizieren war in jedem Moment spürbar. Zum Schluss wohlverdienter Jubel seitens des Publikums.
Mahnmal gegen den Krieg
Viel vorgenommen hatten sich Gastdirigent Tugan Sokhiev und das Luxembourg Phiharmonic. Denn mit Sergej Prokofjews 2. Klavierkonzert und der gewaltigen 10. Symphonie von Schostakowitsch standen gleich zwei Werke auf dem Programm, die den Orchestermusikern extrem viel abverlangen. Doch dass unser Orchester im Moment ziemlich gut eingestellt ist und sich zudem in Bestform befindet, merkte das Publikum dann auch sehr schnell. Bereits im komplexen Prokofjew-Klavierkonzert wussten die Musiker mit einem schönen Klang und griffigen Akzenten zu überzeugen. Tugan Sokhiev zeigte, dass er mit Prokofjews Musik sehr vertraut war. Unaufgeregt, fast nebenbei, leitete er die Musiker, formte den Klang und strebte eine perfekte Balance mit dem Solisten an. Und das, was der junge Haochen Zhang bot, das war schon sensationell. Nicht dass das 2. Klavierkonzert an sich nicht schon ein dicker Brocken ist und spieltechnisch eigentlich alles von seinem Solisten abverlangt, Zhang fand immer nur genug Energie und Lust, sein Spiel durch eine überzeugende Interpretation zu veredeln.
Das spektakuläre Konzert mit seiner atemberaubenden Kadenz im 1. Satz fordert demnach sehr viel Einsatz vom Pianisten. Zhang begegnete Prokofjew wie gewünscht hochvirtuos und technisch makellos, doch zwischen all diesen wilden Noten fand der Pianist immer wieder Wege, sie expressiv und fantasievoll miteinander zu verbinden und den Sätzen somit immer wieder eine fast logische Geschlossenheit zu geben. Zudem zeigte Haochen Zhang, wie sensibel und klangschön man selbst ein derart dynamisches Werk bis ins Detail ausloten kann. Auch die Zugabe – Claude Debussys „La fille au cheveux de lin“ – zeigte, dass wir es hier mit einem großartigen Gestalter und Interpreten zu tun haben, der sicherlich noch eine bemerkenswerte Karriere vor sich hat.
Nach der Pause dann die düstere 10. Symphonie von Dimitri Schostakowitsch, die dank des erstklassigen Spieles des Luxembourg Philharmonic und des ausgefeilten und expressiven Dirigats von Tugan Sokhiev zu einem regelrechten Ereignis wurde. Sokhiev ist kein Dirigent, der auf Effekte zielt; dafür ist die Zehnte auch nicht gemacht. Vielmehr ist es ein dunkles, reflektierendes Werk über das Stalin-Regime mit all seinen Grausamkeiten. Ein Mahnmal gegen den Krieg.
Erstaunlicherweise dirigiert Sokhiev den martialischen 2. Satz sehr rund, was umso wirksamer ist, lässt er doch die Schärfen der Musik nur manchmal heraustreten. Hier ist es nicht unbedingt ein Porträt von Stalin, sondern vielmehr ein Empfinden und eine klare Beobachtung von Schostakowitsch selbst und somit eher impressionistisch als expressionistisch gefärbt. Überhaupt interpretiert Tugan Sokhiev das Werk fast kammermusikalisch, da gibt es keine großen Ausbrüche, sondern der Dirigent, der ohne Taktstock auskommt, formt jedes Detail mit den Fingern und mit den Händen. Somit bringt er das Orchester dazu, seinen Klang zu öffnen und alle Instrumentenstimmen sehr gut hörbar zu machen. Das kommt natürlich auch den vielen solistischen Passagen, die hervorragend von den jeweiligen Orchestermusikern dargeboten werden, entgegen. Die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Tugan Sokhiev und dem Luxembourg Philharmonic zeigt sich dann letztendlich auf allen Ebenen. Präzision, Klangschönheit, Dynamik, Farben und Ausdruck, alles ergänzt sich auf schönste Weise und führt zu einer in jedem Moment ergreifenden Darbietung dieser großartigen Symphonie.
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