Editorial / Julian Assange ist frei – doch die Pressefreiheit hat mehr als nur einen Knacks abbekommen
Als Wikileaks-Gründer Julian Assange am Mittwochabend aus dem Flieger in Australien steigt, ist es das Ende einer langen juristischen Odyssee. Doch sein Deal mit den USA, wo er wegen Verstößen gegen das Spionagegesetz angeklagt war, ist auch ein Signal, das der Pressefreiheit schaden könnte.
Assange erlangte 2010 weltweite Berühmtheit, als auf seiner Webseite Wikileaks Auszüge aus Militärprotokollen, die unter anderem Kriegsverbrechen der USA während der Kriege in Afghanistan und im Irak belegten, veröffentlicht wurden. Zugespielt wurden ihm die Informationen von der Whistleblowerin Chelsea Manning, der anschließend von der amerikanischen Staatsanwaltschaft der Prozess gemacht wurde. Sie wurde am Ende in 19 Punkten, darunter Spionage und Diebstahl, schuldig gesprochen und zu 35 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Ein Großteil der Strafe wurde ihr 2017 durch US-Präsident Obama erlassen und sie wurde im selben Jahr auf freien Fuß gesetzt.
Auch gegen Assange leiteten die USA Ermittlungen ein. Als er sich in Großbritannien aufhielt, wurde in Schweden ein internationaler Haftbefehl wegen des Vorwurfs eines Sexualdelikts gegen ihn ausgestellt. Assange war sich sicher, dass dies nur dem Zwecke seiner Auslieferung an die USA diene und floh aus seinem Hausarrest in die ecuadorianische Botschaft in London. Dort gewährte man ihm sieben Jahre lang politisches Asyl – er konnte das Gebäude allerdings nicht verlassen, weil draußen die britische Polizei wartete. Seine mentale Gesundheit litt zusehends in dieser Zeit, aus der Botschaft drangen Berichte über Zwistigkeiten wegen seines Benehmens gegenüber seinen Gastgebern. 2019 dann wurde Assange das Asylrecht entzogen – und prompt wurde er von der britischen Polizei festgenommen. Die nächsten fünf Jahre verbrachte er im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, während die britischen Gerichte die Entscheidung über seine Auslieferung an die USA wie eine heiße Kartoffel von einer Hand zur nächsten reichten.
Nun die überraschende Wende: Assange einigt sich mit den USA auf einen Deal. Er bekennt sich der Verschwörung zur Beschaffung und Weitergabe von Informationen zur nationalen Verteidigung für teilschuldig und die fünf Jahre Haft in Großbritannien werden ihm angerechnet. Damit ist er wieder ein freier Mann und die USA können ihr Gesicht wahren. Gleichzeitig ist damit für Joe Biden ein heikles Thema vor den Wahlen vom Tisch.
Ende gut, alles gut also? Nicht ganz. Durch das Schuldbekenntnis wurde zwar ein Gerichtsverfahren umgangen und so kein juristischer Präzedenzfall geschaffen, auf den man sich bei der Verurteilung von Journalisten und Whistleblowern berufen könnte. Doch der Assange-Fall hat einen eindeutigen Abschreckungseffekt für Investigativjournalismus. Wer riskiert es noch, brisante Informationen zu veröffentlichen, wenn es einem selbst in Demokratien, die sich angeblich der Pressefreiheit verpflichten, so ergehen könnte wie Julian Assange oder Chelsea Manning? Kurzum: Die USA haben dennoch ein Exempel statuiert.
Die Lage der weltweiten Pressefreiheit hat sich nach Angaben von Reporter ohne Grenzen in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Am Ende des Spektrums stehen Länder wie Russland, wo gerade zeitgleich dem US-Journalisten Evan Gershkovich der Prozess gemacht wird. Auch hier lautet der Vorwurf Spionage. Das Urteil steht eigentlich schon vor dem Prozess fest, denn Putin braucht ein politisches Druckmittel gegen die USA.
Assange ist beileibe keine unumstrittene Person. Sein Ideal der radikalen Transparenz, die bewussten Verstöße gegen grundlegende journalistische Berufsregeln wie die Sorgfaltspflicht und den Quellenschutz, seine Nähe zu Russland sind unter anderem Facetten, die sehr kritisch beleuchtet werden müssen. Doch die USA und andere westliche Demokratien müssen aufpassen, dass sie im Umgang mit ihm und anderen Aufdeckern von Skandalen nicht auf die gleiche Schiene geraten wie Russland.
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