Regionale Produkte / „Käre vum Séi“: Bauer und Bäcker ziehen an einem Strang
Die Idee des Projektes „Käre vum Séi“ ist eine einfache. Die Landwirte wissen, was mit ihrem Getreide passiert. Umgekehrt können die Konsumenten nachvollziehen, wo die Scheibe Brot auf dem Teller herkommt. 19 Landwirte rund um den Stausee produzieren Getreide, das als Mehl in einer Backstube in Mertzig landet. Das Brot ist ausgezeichnet – mit einem Preis aus der Schweiz.
Der 9. Mai 2019 krönt acht Jahre Experimentierfreude und Leidenschaft für gutes Brot. An dem Tag erhält Jean-Marie Neuberg (49) zusammen mit seinem Bruder Jos unter 800 Teilnehmern im schweizerischen Luzern einen Preis für sein Sauerteigbrot. Die „Tourte du président“ aus Mertzig schmeckt am besten und ist am besten verträglich, urteilt die Jury des „Sourdough Summit“ mit Experten zum Thema Sauerteig.
Als die „Tourte“ entsteht, ist Jean-Marie Präsident der Bäckerinnung, daher der Name des Brotes. Zu Hause sind in ihrem Bäckerbetrieb mit 200 Mitarbeitern die Aufgaben klar verteilt. Jean-Marie ist für Presse, Kommunikation und Marketing zuständig. Jos steht am liebsten in der Backstube und leitet sie. Beide kommen über ihren Onkel zum Backen.
Er ist Bäcker. Die Wege trennen sich, als 2002 eine Vergrößerung des Betriebes ansteht. „Das hat uns nicht gefallen“, sagt Jean-Marie Neuberg. Seriell, in großen Mengen und schnell hergestellte Lebensmittel passen nicht zur Philosophie von ihm und seinem Bruder. Bei ihnen standen schon immer Handarbeit als Teil der Handwerkskunst und Regionalität an erster Stelle. Es liegt ihnen im Blut.
Sauerteig ist idealer Ersatz für Hefe
Genauso nahe liegt es, dass die Brüder nach einer Alternative zur industriell hergestellten Hefe suchen. Die Suche führt in die Geschichte des Backhandwerks. Die Lösung ist Sauerteig, eine lang vergessene Tradition. Damit ist keinesfalls ein Teig gemeint, sondern das, was Teig braucht, um backfertig zu werden. Sauerteig ist wie die Hefe der „Unruhestifter“ im Teig, der ihn permanent am Arbeiten hält.
Seine Herstellung braucht Zeit. Hefe wird gekauft. Deshalb kommt er aus der Mode, als immer mehr Betriebe auf maschinelle Produktionsstraßen setzen. Früher dauerte es ungefähr einen Tag oder 24 Stunden, um ein Brot zu produzieren. Maschinen erledigen das in drei Stunden und weniger. Neuberg hat einen Namen dafür, er nennt das von „null auf eine Stunde backen“.
Sauerteig gilt als altmodisch und verschwindet sogar für längere Zeit vom Lehrplan der Bäckergesellen. Die Herstellung ist aufwändig. Er muss täglich frisch angesetzt werden und erst nach fünf Tagen ist ein backfähiger Teig fertig. Bei den Neubergs ist er mittlerweile fest integriert, mit dem Ziel, angesichts seiner Vorteile irgendwann nur noch damit zu produzieren.
Junge Genossenschaft – junges Projekt
Vor diesem Hintergrund war es keine Frage, das Projekt „Käre vum Séi“ mitzutragen. Obwohl noch unsicher ist, wie groß die Qualitätsschwankungen im Getreide sein werden. Die bäuerliche Genossenschaft, die dahintersteht, ist noch jung und Erfahrungswerte fehlen. Claude Majerus (38) ist einer der 19 Landwirte, die bei der Gründung am 9. Februar 2021 Genossen wurden.
Der konventionelle Bauer hat rund 80 Milchkühe und betreibt Futtermittelanbau und Ackerbau. 2018 erkrankt er an Nesselfieber. Es ist eine allergische Reaktion auf ein Spritzmittel, die vieles in Gang setzt. Majerus ist die dritte Generation auf dem Hof und betreibt ihn in Eigenregie seit 2009. Kurz nach der Übernahme verkauft er noch Schlachtvieh.
Irgendwann bekommt er mit, dass seine Rinder lebend in Marseille verladen und über den dortigen Hafen Richtung Libanon verschifft werden. Schon damals schrillen Alarmglocken bei ihm. Aber nur sehr leise. Seine Erkrankung gibt den endgültigen Ausschlag umzudenken, denn mit seinem Getreide läuft es ähnlich wie mit dem Schlachtvieh.
Keinen Bezug zum Produkt mehr
„Sobald die Waren bei mir auf dem Hof abgeholt wurden, hatte ich keinen Bezug mehr dazu“, sagt der Landwirt. „Ich will aber wissen, was damit geschieht.“ Bei „Käre vum Séi“ weiß er es. Er sät das Getreide, zieht es groß, erntet und bringt es ins Lager in Ulflingen. Im saarländischen Lebach wird es gemahlen und das Brot wiederum in Mertzig gebacken.
Das Getreide wird nach strengen Standards angebaut und bearbeitet. Es trägt das Label „Produit du terroir“. Wenn das so ist, kommt meistens der Preis ins Spiel und das Argument, das könne sich nun mal nicht jeder leisten. Das ist hier nicht so. Das Brot kostet nur 20 Cent mehr als andere, obwohl Bäcker Neuberg für das Mehl das Zweieinhalbfache im Vergleich zu konventionellem Mehl bezahlt. Jeder Controller wäre irritiert.
Bei den Broten der Serie „Käre vum Séi“ bei Jos&Jean-Marie ist die einzige Zutat, die zugekauft wird, Salz. Alles andere kommt aus der Region. Es gibt ein Weizen-, ein Dinkel-, ein Roggen- und ein Weizen-Roggenmischbrot sowie das „Séi-Brötchen“, in dem alle drei Getreidesorten enthalten sind. Altenheime, Lebensmittelhandel und die 17 Filialen verkaufen sie.
Auch Bauer Majerus geht zusammen mit den anderen Genossen in Vorlage. Sie haben Kosten und tragen das Risiko des Anbaus. Tatsächlich sind die Brote aus der Serie „Käre vum Séi“ bis jetzt ein Verlustgeschäft. Bäcker und Bauer haben aber einen anderen Blick darauf. „Wir wollen uns etwas aufbauen“, sagt Neuberg und spricht für den Backbetrieb. „Wenn man sich etwas aufbauen will, muss man zuerst investieren.“
Dem Landwirt beschert das Projekt ein gutes Gefühl. Theoretisch sind es 30 Minuten Fahrt von seinem Hof zur Bäckerei und er kann das Lebensmittel aus seinem Rohstoff probieren. „Das ist mehr wert als Geld“, sagt er. Komplett auf Bio umzustellen, so weit ist er noch nicht. Aber für ihn sind die „Käre vum Séi“ ein guter Anfang und vor allem ein guter Mittelweg.
Käre vum Séi: die Genossenschaft
270 Landwirte in der Region hat die Naturparkverwaltung angeschrieben, um sie für das Projekt zu gewinnen. 19 davon haben schließlich mitgemacht und sind Mitglieder der Genossenschaft „Käre vum Séi“, nach der die Brote benannt sind. Zwei davon sind Biobauern. Der Rest arbeitet konventionell. Es gibt ein Lastenheft für das Getreide mit Auflagen, an dessen Ausarbeitung alle beteiligt waren: der Naturpark, Sebes, Bäcker, Umweltministerium und Landwirte. „Wir folgen damit freiwillig höheren Standards beim Naturschutz, speziell dem Wasserschutz, als die Auflagen der Regierung“, sagt Frank Elsen. Er ist landwirtschaftlicher Berater beim Naturpark Obersauer und hat das Projekt von Anfang an begleitet. Bedingung für die Mitgliedschaft in der Genossenschaft ist, dass der Landwirt Äcker rund um den See hat. 180 Hektar Weizen-, 37 Hektar Dinkel-, 10 Hektar Roggenfläche sind so zusammengekommen. Das Getreide wird in Lebach im Saarland gemahlen.
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