Forum / Kann Gastronomie rassistisch sein? Oder: Wie man aus „Lëtzebuerger Iessekascht“ eine Waffe macht
Hie gëtt sech net. Er gibt sich nicht. Il ne se donne pas. He doesn’t give himself. Mein Gott, grottenschlecht übersetzt, nichts als Stolpersteine auf der Sprachpiste. Aber der Herr Sprachzuchtmeister stachelt uns in seiner Kampfgazette „Eng Klack fir eis Sprooch“ ja unermüdlich an: „Dann iwwersetzt dat emol!“ Na gut, dann übersetzen wir das mal. „D’Späicherliicht steet op“: La lanterne du grenier se lève. „Ech drénken aus der Klensch“: Ich trinke aus der Türklinke. „De Mett huet keng Gutt an der Kopp“: Matthew hasn’t a good one in the hill.
Schluss mit dem Unfug. Es ist hoffnungslos. Wir müssen kleinlaut zugeben: Die bäuerliche Essenz unserer heimatlichen Geheimsprache ist und bleibt unübersetzbar. Auf uns Lëtzebuerger bezogen bedeutet dies: Mir wëlle bleiwen, wat mir sinn, nämlich unvermittelbar. Wir leben selbstzufrieden im Schatten unserer selbst. Der sprachliche Inzest gehört zu unserem ureigenen Wesen. Jagen wir doch die weltoffenen Übersetzer zum Teufel!
Gloria victoria! Nun hat der große Lëtzebuergesch-Streiter unverhofft einen neuen Schauplatz für seinen nimmer endenden Sprachkrieg eröffnet, und zwar die Gastronomie (Klack 301, Tageblatt, 4. Mai 2024). Das ist natürlich ein genialer sprachpolitischer Einfall, denn wo anders als zu Tisch ist der lëtzebuergesche Mensch im Vollbesitz seiner Eigenart? Was auf den Teller kommt, ist unser Identitätsfundament. Also auf zum lukullischen Showdown!
Nie mehr Labskaus!
Das hymnische „Klack“-Loblied auf die unnachahmlichen Vorzüge des Lëtzebuerger Iessekascht lässt sofort unsere Herzen höher schlagen und unsere Magensäfte pulsieren. Vor unserem Leserauge lässt der Herr Sprachzuchtmeister verführerisch Bouneschlupp und Liewerpâté defilieren, Kënnbak, gereezten Héiss, Wäinzoossis, Träipen, Mettien, Feiersteng mat Moschterzooss und Kaffiskichelcher. Auf der Stelle fühlen wir uns von patriotischen Anwandlungen übermannt und überfraut. Voller Begeisterung schwören wir: Lëtzebuerger Gefréiss oder guer keent! Vive eis national Brutschkonscht!
Um unser rotweißblaues Schlemmerparadies abzusichern und von allen Parasiten zu befreien, muss nur noch den fremdländischen Küchentrotteln der Garaus gemacht werden. Zunächst nimmt der Sprachzuchtmeister zum vernichtenden Schlag gegen die houere Preisen aus: „Mä da gitt emol op Hamburg ‚Labskaus‘ iessen; wéi heescht et am weltberühmte ‚Raven‘ vum E.A. Poe … Ni méi!“ Damit wäre die germanische Würg-Kotz-Küche gründlich erledigt. Nie mehr Labskaus! Ni mehr Handkäs! Nie mehr Dibbelabbes! Nie mehr deutsches Gefuddels a Genuddels! Und weil der Sprachzuchtmeister so schön in Fahrt ist, verpasst er auch den Österreichern „eng fatzeg op d’Gladder“: „Frot emol iergendwou gekachtent Rëndfleesch déisäit vun eise Grenzen; dat verstoppt sech an Éisträich ënner gejodeltem Numm, ass ower net méi säfteg.“
Doch was zum Teufel ist ein „gejodelten Numm“? Sind die Österreicher mittlerweile so verwildert, dass sie schon die Namen ihrer Tafelgerichte jodeln? Das wäre wirklich der Gipfel. Nie mehr setzen wir den Fuß in dieses gastronomische Jodlerbordell! Here we live, here we eat! Zum Beispiel Ierzebulli. Da kommt keiner auf den Gedanken, von einem „geräpsten Numm“ zu reden. Nein, nein, im Wort „Ierzebulli“ verdichtet sich der wundersame Wohlklang unseres Heimatidioms. Das ist Nektar für die Ohren!
A bas le boeuf bourguignon!
Und der Herr Sprachzuchtmeister ist noch nicht fertig mit all den ausländischen Appetitverderbern. Jetzt werden mal die Franzosen gebeetscht: „Gitt emol nom Rezept ‚Zopp an z’iessen‘ e Kachbuch à la Ketty Thull, Tun Nosbusch, Ettelbrécker Haushaltsschoul, Léa Linster oder Maisy Tibessart duerch; da bräicht dir am Fong keen hellege Paul Bocuse …” Zack, schon stürzt der hochgelobte Kochlöffelkönig vom Sockel. Und mit ihm die gesamte aufgedonnerte, blasierte, völlig überbewertete französische Haute Cuisine. Vive de Fierkelsjelli! A bas la bouillabaisse et le boeuf bourguignon!
Skandal und Schande! Da wird Frau Léa Linster ganz bestimmt nicht in Freudenschreie ausbrechen. Eben noch kochbuchmäßig empfohlen, und schon im nächsten Satz abgeschossen. Der gestandenen Bocusianerin wird hier bescheinigt, eine Fahnenflüchtige zu sein, eine Verräterin der streng lëtzebuergeschen Mampfkultur. Sie ist einem ausländischen „Hellegen“ erlegen und verschmäht die profane einheimische Kochkunst. Ab mit ihr in den dampfenden Kochtopf!
Fremdländische abschrecken
Liebe zur Heimat geht durch den Magen, das steht fest. Wie heißt es so schön in Pier Kremers Lied „Lëtzebuerger Spezialitéiten“: „Duerfir, friesst Baurenträipen, friesst Liewerkniddlen, Kuddelfleck an och Gehäcks.“ Wir wollen ein einig Volk von tapferen Fresssäcken sein. Déi verfroossenst Friessathleten um Planéit.
Schon der nationalbewegte Dichter Michel Lentz hat in seinem „Feierwon“ unsere konkurrenzlose Einmaligkeit wie folgt besungen: „Mir ruffen all aus engem Monn: Kee bessert Land beschéngt jo d’Sonn!“ Na klar, wir sind die Allerallerbesten weltweit, aber ist das kollektive Bekenntnis ausreichend? Müssen wir unsere Beispiellosigkeit nicht auch offensiv verteidigen? In diesem Sinne: Hëpp, hëpp, auf zum kulinarischen Gefecht! Aber bitte nur mit exklusiv einheimischen Produkten. Damit unsere heldenmütigen Fressorgien auch wirklich die Fremdländischen abschrecken. Europa? Nie gehört. Und nun skandieren wir brav im Chor das Tischgebet: Unser Rindvieh, hei gebuer, hei gezillt an hei geschluecht! Unser Herzblut! Unser Boden! Unsere unverwechselbare Scholle forever! Amen.
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