Editorial / Kapitalismus: Trunkenes Schiff
„Wenn 2022 ein Jahr der Unsicherheit war, ist 2023 das Jahr der Ungleichheit.“ Zu diesem Fazit ist die Weltbank angesichts der globalen Polykrisen – zu denen unter anderem der Klimawandel, Kriege und Ernährungsunsicherheit gehören – gekommen. Die Lage hat sich durch eine größere ökonomische Ungerechtigkeit verschärft, die sich darin äußert, dass die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung mehr als drei Viertel des globalen Vermögens besitzen. Auch in Europa hat sich die Kluft zwischen den Reichen und Armen vergrößert. „Langfristig zeigt sich, dass die Einkommensungleichheiten in Luxemburg zunehmen“, stellte die „Chambre des salariés“ (CSL) fest und nannte als Beispiele das Quintilverhältnis, das sich aus dem Vergleich des Einkommensanteils der ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung mit dem der reichsten 20 Prozent ergibt, sowie den Gini-Index, das statistische Standardmaß zur Messung der Ungleichheit.
In einigen Ländern hat dies die Regierungen zum Umdenken bewogen, nicht nur die Sozial-, sondern auch die Wirtschaftspolitik betreffend. Vorneweg und für manche etwas überraschend gilt dies für die USA: „Es ist an der Zeit, die Wirtschaft von unten und von der Mittelschicht her wachsen zu lassen“, sagte US-Präsident Joe Biden im April 2023. Die „Trickle-down-Ökonomie“, der zufolge der Einkommenszuwachs, den die Reichen einer Gesellschaft erfahren, sukzessive zu den Mittelschichten und Ärmeren durchsickere, habe noch nie funktioniert. Luxemburgs Premierminister Luc Frieden dürfte dies anders sehen. Ihm wird bekanntlich ein Hang zum Trickle-down-Ansatz nachgesagt. Letzterer gehört zum Katechismus der neoliberalen Glaubenslehre.
In Übersee hat Biden die Mängel des Wirtschaftssystems erkannt und darauf hingewiesen, dass im vergangenen Jahr „50 Unternehmen, die 40 Milliarden Dollar erzielt haben, keinen einzigen Penny Steuern bezahlt haben (…) Ich möchte niemanden bestrafen, aber jeder sollte seinen Beitrag leisten (…) Deshalb plane ich, für Arbeiterinnen und Arbeiter die Steuern zu senken und dann jeden seinen fairen Anteil zahlen zu lassen.“ Sicherlich ist Biden kein Sozialist, aber der allzu häufig gescholtene Präsident scheint erkannt zu haben, wo in Amerika der Schuh drückt. Er verabschiedet sich von neoliberalen Dogmen, denen selbst einige seiner demokratischen Vorgänger folgten und auch heute noch fiskalkonservative Politiker seiner Partei nachhängen. Trotzdem ist zu befürchten, dass Biden bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen den Kürzeren zieht, wenn er gegen Donald Trump antreten muss, der 2016 ausgerechnet bei jenen punktete, die Opfer von Deregulierung, Globalisierung und Sozialabbau geworden waren. Verrückte Welt, könnte man sagen, oder ein „bateau ivre“, wie es der Dichter Arthur Rimbaud einst beschrieb.
Die Koordinaten der politischen und ökonomischen Systeme scheinen durcheinandergeraten zu sein. Hat nicht der Republikaner Ronald Reagan einst den globalen Freihandel gepredigt und die Grundlagen für multilaterale Handelsabkommen wie die 1994 gegründete Welthandelsorganisation (WTO) gelegt? Etwa ein Vierteljahrhundert später blockierte ein Republikaner namens Trump die WTO und erhob Zölle auf Produkte der amerikanischen Handelspartner. „Die wütendste Kritik am globalen Kapitalismus kommt zunehmend von der populistischen Rechten“, stellt das britische Magazin The Economist fest. Ein weiterer Vormarsch der Autokraten, eine Zunahme der „illiberalen Demokratien“ ist zu befürchten. All das ergibt eine schwierige Ausgangslage, um die großen Herausforderungen unserer Zeit wie den Klimawandel oder die zunehmende soziale Ungleichheit zu meistern – ob das ökonomische System nun kapitalistisch ist oder nicht.
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Der artikel macht allerdings auch trunken.
Die wuetendste kritik am globalen kapitalismus soll von der populistischen rechten um Trump kommen.
Und Biden soll sich von neoliberalen kapitalistischen dogmen verabschieden.
Die beiden top kandidaten fuer das weisse haus waeren also kritiker oder feinde des kapitalismus.
Wer ist der bessere Kommunist Trump oder Biden? .Kotz!