Syrien und Türkei / Kaum mehr Hoffnung auf Überlebende: Zahl der Toten nach Erdbeben steigt auf mehr als 19.000
Die Chance, in den Erdbebengebieten in der Türkei und Syrien noch Überlebende zu finden, geht zu Ende. Die Retter arbeiten unermüdlich.
Unter den Tausenden eingestürzten Gebäuden im türkisch-syrischen Grenzgebiet sind vermutlich noch Zehntausende Erdbebenopfer zu befürchten. Bis Donnerstag wurden schon mehr als 19.000 Tote gemeldet. Hinzu kommen um die 70.000 Verletzte in der Türkei und in Syrien. Nach mehr als drei Tagen und dem Richtwert von 72 Stunden, die ein Mensch eigentlich höchstens ohne Wasser auskommen kann, geht die Hoffnung auf weitere Überlebende verloren.
Mit jeder Stunde, die seit dem Erdbeben verstreicht, sinken die Chancen, noch Lebende zu finden. Mehr als 100.000 Helfer sind in der Türkei nach Regierungsangaben im Einsatz. Sie werden von Suchhunden unterstützt. Am frühen Montagmorgen hatte ein Beben der Stärke 7,7 das türkisch-syrische Grenzgebiet erschüttert. Montagmittag folgte dann ein weiteres Beben der Stärke 7,6 in derselben Region.
Es gebe inzwischen 16.170 Tote allein in der Türkei, sagte am Donnerstag Präsident Recep Tayyip Erdogan laut der Nachrichtenagentur Anadolu. Aus Syrien waren zuletzt mindestens 3.200 Tote gemeldet worden.
Die Bundesregierung arbeitet mit daran, die Versorgung der Menschen im schwer erreichbaren Nordsyrien zu verbessern. Das Problem sei, dass das „Regime“ zuletzt keine humanitäre Hilfe ins Land gelassen habe, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im WDR-Radio.
„Sehr enttäuschend und beschämend“
Nach dem Willen mehrerer Abgeordneter von Bund und Ländern sollen Überlebende der Katastrophe kurzfristig unbürokratisch bei Verwandten in Deutschland unterkommen können, wenn diese für den Lebensunterhalt der Angehörigen aufkommen. „Ich selbst habe mehrere Anfragen von Menschen in Deutschland erhalten, die gern ihren Angehörigen ohne Obdach helfen möchten“, sagte der Vizechef der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe, Macit Karaahmetoglu (SPD), der Deutschen Presse-Agentur. Ähnlich hatten sich bereits Baden-Württembergs Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) und der hessische Landtagsabgeordnete Turgut Yüksel (SPD) geäußert. Das Auswärtige Amt teilte mit, dass türkische und syrische Staatsangehörige auch nach dem Erdbeben für eine Einreise nach Deutschland ein Visum benötigten.
Zur Unterstützung der nur schwer erreichbaren Erdbeben-Opfer im Nordwesten Syriens trafen am Donnerstag sechs Lastwagen mit Hilfsgütern der Vereinten Nationen ein. Die Transporter seien aus der Türkei gestartet und passierten demnach den einzigen noch offenen Grenzübergang Bab al-Hawa, hieß es von den UN. Aktivisten in Syrien berichteten, es handle sich um Hilfslieferungen, die schon vor dem Erdbeben geplant und nur davon aufgehalten worden seien. Dringend benötigte Ausrüstung für die Rettungsteams in Syrien sei deshalb nicht angekommen – stattdessen Güter wie etwa Waschmittel. „Das ist sehr enttäuschend und beschämend“, sagte der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, der dpa.
Immer weniger Rettungen
Der Grenzübergang Bab al-Hawa war schon vor dem Erdbeben eine Lebensader für rund 4,5 Millionen Menschen im Nordwesten des Landes, die nicht von der syrischen Regierung kontrolliert werden. 90 Prozent der Bevölkerung waren dort bereits vor der Katastrophe nach UN-Angaben auf humanitäre Hilfe angewiesen. In der Region leben Millionen Menschen, die durch Kämpfe in Syrien vertrieben wurden.
Aktivisten hatten zuvor berichtet, dass nach dem Beben zwar keine Hilfsgüter, stattdessen aber Leichen von Syrern aus der Türkei über den Grenzübergang transportiert würden. In der Türkei leben Millionen syrische Flüchtlinge.
Dem Sender TRT World zufolge konnten in der Türkei bislang etwa 8.000 Menschen aus den Trümmern gerettet werden. Eine Reporterin des Fernsehkanals berichtete über den verzweifelten Kampf gegen die Zeit: „Die Retter weigern sich aufzugeben.“ Aber die Momente der Freude über eine weitere Rettung würden immer seltener.
Trotzdem gibt es noch immer kleine Erfolgsmeldungen: Deutsche und britische Helfer befreiten etwa in der Nacht zu Donnerstag in der türkischen Stadt Kahramanmaras eine Mutter und ihre sechsjährige Tochter aus den Trümmern eines eingestürzten Hauses. Das teilte die Hilfsorganisation @fire in Wallenhorst bei Osnabrück mit. Fast 20 Stunden hätten sich die Helfenden von @fire und der britischen Organisation Saraid durch die Trümmer gearbeitet, berichtete Baum. Bei Minustemperaturen drohten Mutter und Kind zu erfrieren.
Dreimonatiger Ausnahmezustand
Die ersten Hilfsflüge der Bundeswehr starteten am Donnerstag vom niedersächsischen Wunstorf aus in die Türkei. Die türkische Regierung habe Materialien zur Unterbringung der vom Erdbeben betroffenen Bevölkerung bei der Bundesregierung angefordert, sagte der Präsident des THW, Gerd Friedsam. Zuvor waren schon Teams verschiedener Hilfsorganisationen in die Türkei geflogen.
Der türkische Präsident Erdogan wollte noch am Donnerstag vom Parlament in Ankara den erdbebenbedingten Ausnahmezustand bestätigen lassen. Ein entsprechendes Dekret werde er der Nationalversammlung in Ankara vorlegen, sagte er in Gaziantep. Erdogan hatte am Dienstag für die zehn vom Erdbeben betroffenen Regionen einen dreimonatigen Ausnahmezustand angekündigt, der noch vom Parlament bestätigt werden muss.
Das Kabinett unter Erdogan kann mit der Maßnahme unter anderem beschließen, Ausgangssperren zu verhängen. Der Fahrzeugverkehr kann außerdem zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Gegenden verboten werden, und Versammlungen und Demonstrationen können untersagt werden. Erdogan hat seit 2018 unter dem derzeitigen Präsidialsystem ohnehin weitreichende Befugnisse.
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