Bericht / Kaum merklicher Anstieg häuslicher Gewalt durch Covid-19
Die „Bleift doheem“-Politik hat derzeitigen Erkenntnissen zufolge zu keiner wesentlichen Erhöhung der Polizeieinsätze und Wegweisungen wegen häuslicher Gewalt geführt. Verglichen mit dem Vorjahr gingen beide Zahlen jedoch 2019 nach oben. Das geht aus dem jetzt vorliegenden Bericht des Komitees zur Bekämpfung der häuslichen Gewalt hervor.
Covid-19 hatte seit März die Haushalte in Luxemburg dazu gezwungen, länger und öfters zusammenzubleiben. Das von der Regierung propagierte „Bleift doheem“ sollte dazu beitragen, eine Verbreitung des Virus abzubremsen. Mit Erfolg, wie die wöchentlich schrumpfenden Zahlen von Neuinfektionen zuletzt gezeigt hatten. Doch die Lockdown-Phase stellte Familien und Partnerschaften vor große neue Herausforderungen. Das Zusammenleben auf engem Raum erhöhte das Konfliktrisiko und die Gefahr von Handgreiflichkeiten in der kleinen Gemeinschaft. Erhöhte Spannungen seien vorprogrammiert gewesen, aber das habe nicht unbedingt zu mehr häuslicher Gewalt geführt, so Gleichheitsministerin Taina Bofferding (LSAP) am Donnerstag.
So wurden für die Lockdown-Monate März, April und Mai jeweils 91, 73 und 79 polizeiliche Einsätze wegen mutmaßlicher häuslicher Gewalt verzeichnet. Im selben Zeitraum kam es zu 26, 19 bzw. 23 Wegweisungen des Täters. Die Wegweisung geschieht auf Anordnung des Staatsanwalts, der sich dabei auf den Bericht der diensttuenden Polizeibeamten stützt. Zum Vergleich: Im letzten Jahr war es zu durchschnittlich 22 Ausweisungen im Monat gekommen. Dennoch bleibt Ministerin Bofferding skeptisch. Während des Lockdowns hätten sich wohl viele Personen nicht getraut, sich bei den zuständigen Stellen zu melden. Das Thema Covid-19 und Gewalt in der Beziehung soll in den kommenden Wochen intensiver aufgearbeitet werden. Skepsis ist tatsächlich angebracht, häuften sich doch bei unseren unmittelbaren Nachbarn Belgien und Frankreich die Fälle häuslicher Gewalt.
Zusätzliche Plätze geschaffen
Das Virus beeinträchtigte die Arbeit der tagtäglich mit häuslicher Gewalt beschäftigten Polizei, Staatsanwaltschaft und Sozialdienste kaum. Fünf mit dem Staat konventionierte Organisationen, welche die Opfer von Gewalt betreuen, richteten eine gemeinsame Helpline 2060 1060 und eine gemeinsame Mail-Adresse info@helpline-violence.lu ein. Die 2018 geschaffene Internetseite violence.lu wurde aktualisiert. Man habe niemanden im Regen stehen lassen, so Bofferding. In den Aufnahmeeinrichtungen für die Opfer wurden zusätzliche Plätze geschaffen. Notfalls wurden Personen in Hotels untergebracht. Letzteres galt übrigens auch für die Täter, die wegen eines Verweisungsbeschlusses die gemeinsame Wohnung verlassen mussten und angesichts des Lockdowns keine andere Unterkunft finden konnten.
Keine Unterschiede zu Vor-Covid-Zeiten konnte auch Polizeisprecherin Myriam Meyer feststellen. Sie wusste gestern von keinen besonderen Vorkommnissen zu berichten. Die Staatsanwaltschaft ihrerseits verfügte Wegweisungen oder Verlängerungen derselben über Teletravail. Alles habe normal funktioniert, so Laurent Seck von der Staatsanwaltschaft beim Bezirksgericht Luxemburg.
Verglichen mit dem Vorjahr waren 2019 mehr Polizeieinsätze und Wegweisungen zu verzeichnen. In seinem Bericht spricht das „Comité de coopération entre les professionnels dans le domaine de la lutte contre la violence“ von 849 Polizeieinsätzen und 265 Wegweisungen. 2018 lagen diese Zahlen bei 739 bzw. 231. 63,58 Prozent der Opfer waren im vergangenen Jahr weiblichen und 36,42 Prozent männlichen Geschlechts. Bei den Polizeieinsätzen wurden insgesamt 1.337 Opfer angetroffen.
Opfer und Täter seien in allen sozialen Schichten anzutreffen, präzisierte Bofferding später auf Nachfrage. Die gestiegene Zahl von Polizeieinsätzen und Wegweisungen deutet nicht unbedingt auf eine Zunahme häuslicher Gewalt hin. Der 2019er Bericht zeigt, dass die Opfer schneller Hilfe suchen würden, betont Bofferding. Und das sei von Bedeutung, denn häusliche Gewalt sei keine Privatangelegenheit.
Zusätzliche Arbeit verzeichneten 2019 auch die Sozialdienste. Der sich mit den Opfern häuslicher Gewalt befassende „Service d’assistance aux victimes de violence domestique“ (SAVVD) führte u.a. 448 Beratungen durch. „Kunden“ sind die Opfer jener Täter, die der Wohnung bzw. des Hauses verwiesen wurden. Von den 265 Wegweisungen im letzten Jahr waren 360 Opfer betroffen, davon 77 Kinder. In 93 Prozent der Fälle sei bei den Opfern physische Gewalt im Spiel gewesen, sagte SAVVD-Mitarbeiterin Olga Strasser am Donnerstag.
Verbesserungen nicht ausgeschlossen
„Riicht Eraus“ vom Roten Kreuz betreut seinerseits die Täter oder potenzielle Täter. Die Organisation hatte im letzten Jahr 192 der 265 Täter bzw. Täterinnen kontaktiert. Doch 44,9 Prozent der weggewiesenen Personen seien jedoch nicht vorstellig geworden, so der Bericht des Komitees. Bei rund 200 monatlich angesetzten Beratungsterminen würden deren nur 150 tatsächlich durchgeführt, so die Vertreterin von „Riicht Eraus“ Laurence Bouquet.
Luxemburg verfügt mit seinem 2003er Gesetz über häusliche Gewalt über ein gutes Instrument, um dieser Art von Missständen zu begegnen. Dennoch schließt Ministerin Bofferding weitere Verbesserungen nicht aus. Bis Sommer soll eine interministerielle Arbeitsgruppe zusammen mit Fachleuten Vorschläge unterbreiten. Gedacht wird unter anderem an die Nutzung der elektronischen Fußfessel, um weggewiesenen Personen eine untersagte Annäherung an ihre Opfer zu erschweren. Wie mit Rückfalltätern umgehen, wie Täter besser therapieren, wie bei Konflikten vermitteln sind weitere Themen. Laurent Seck von der Staatsanwaltschaft pocht seinerseits darauf, ebenfalls neue Formen von Gewalt, etwa über elektronische Medien, zu berücksichtigen. Digitale Gewalt nehme zu, sagt er, und sie sei eng an häusliche Gewalt geknüpft. Auch den Opfern dieser Form von Gewalt müsse geholfen werden.
In seinem Bericht empfiehlt das Komitee auch eine Reform des Datenschutzgesetzes. Bei der Untersuchung eines Todesfalls nach häuslicher Gewalt im August 2019 sei festgestellt worden, dass man die gewalttätige Vergangenheit des Täters nur lückenhaft habe nachvollziehen können. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft zur Wegweisung sei nicht definitiv, heißt es da. Eine Neueinschätzung der Lage sei jedoch nicht möglich, weil die Vorgeschichte des Täters insbesondere bezüglich seiner Gewalttätigkeit oder seines Drogenmissbrauchs nicht einsehbar ist. Eine Reform des Gesetzes sollte deutliche Kriterien festlegen, unter welchen Bedingungen über einen längeren Zeitraum der Zugang zur gerichtlichen und polizeilichen Vorgeschichte einer Person erlaubt werden kann, um die Wiederholung „tragischer Ereignisse“ zu vermeiden.
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Liebe Redaktion,
Ich weiß nicht ob ‚kaum spürbar‘ in einem Artikel über häusliche Gewalt le mot juste darstellt, wurde wahrscheinlich von einem Mann geschrieben.
Vielen Dank für die Kritik, solche Unachtsamkeiten sind nicht schön und wir korrigieren das gerne. Die Legitimität ihrer Kritik würde indes dadurch noch gestärkt werden, wenn Sie selbst auf Pauschalaussagen gegenüber einem Geschlecht verzichten würden.
Freundliche Grüße aus der Redaktion,