Gesellschaft / Kayl/Tetingen: Mediationsdienst soll Streit schlichten
Eine Lampe an der Fassade, die dem Nachbarn ins Haus scheint und zu hell ist. Hausbesitzer, die denken, der Bürgersteig und der Platz vor ihrem Eigentum sei ihr Parkplatz. Es ist aber öffentlicher Raum. Vielfach arten Banalitäten in Streit aus und landen im schlimmsten Fall vor einem Richter. Die Gemeinde Kayl/Tetingen will Konflikte wie diese erst gar nicht so weit kommen lassen.
Das Problem ist uralt. „Konflikte gibt es, seit es Menschen gibt und sie zusammenleben“, sagt Viviane Petry („déi gréng“/59). Die Schöffin ist in der Gemeinde zuständig die Bereiche Bildung und Jugend, Klima- und Umwelt, Kultur und Demokratie. Bei den Kommunalwahlen schreiben die Grünen in ihr Programm, für ein „gutes Zusammenleben in der Gemeinde“ sorgen zu wollen.
Mit rund 9.500 Einwohnern auf knapp 15 Quadratkilometern ist Kayl-Tetingen dicht besiedelt. Die Südgemeinde blickt auf die im Süden übliche Geschichte des Eisenerzabbaus zurück. Die Menschen ziehen jahrzehntelang dorthin, weil es Arbeit gibt. Viele kommen aus anderen Kulturen. Aktuell leben 86 Nationalitäten auf dem Gemeindegebiet zusammen. Die meisten Eigenheime sind Reihenhäuser und haben keine Garage.
Zwar gibt es 800 öffentliche Parkplätze in der Gemeinde, aber Parkraum bleibt ein begehrtes Gut. Immer wieder landen Reklamationen dazu im Rathaus. Im direkten Gespräch zwischen den Nachbarn könnte das vielleicht vorher geklärt werden. Die Entwicklung geht allerdings in eine andere Richtung. „Ich stelle fest, dass die Kultur, Probleme anzusprechen und vor allem zu lösen, immer mehr verschwindet”, sagt Schöffin Petry.
Mediation soll mangelnde Konfliktkultur ausgleichen
Einen Grund dafür hat sie ausgemacht. Die Menschen sind gestresst. Wohnungsnot, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Zukunftssorgen senken das Level der Belastbarkeit. „Es artet einfach heute schneller aus, ohne dass es Versuche gibt, dem anderen zuzuhören und ihn zu verstehen“, sagt Petry. Der Mediationsdienst kommt ins Spiel. Eine neutrale Person soll vermitteln, beruhigen, schlichten und eine Lösung finden.
Diese Person ist Ranginee Poloogadoo (38). Sie stammt aus Mauritius und kommt 2012 mit einem Juraexamen der Nottingham University (GB) und Berufserfahrung als Juristin ins Land. In ihrer Heimat arbeitet sie für Unternehmen, betreut Verträge mit ausländischen Firmen. Ihr Mann hat Wurzeln in Luxemburg, die Familie mit zwei Kindern will näher bei der Familie sein.
Poloogadoo ist Juristin geworden, um anderen zu ihrem Recht zu verhelfen. In Luxemburg wird ihr Abschluss nicht anerkannt. Sie orientiert sich um und entschließt sich 2015 zu einer Weiterbildung als Mediatorin am „Institut européen pour le développement des relations sociales” (IEDRS). Sie hat sich durchgebissen, spricht neben Englisch fließend Französisch, Deutsch und Luxemburgisch auf Mittelstufenniveau und hat die luxemburgische Staatsangehörigkeit.
Der Dienst spart uns Arbeitszeit. Wir sind nicht für eine Mediation ausgebildet und es eröffnet den Beteiligten andere Perspektiven, Konflikte zu lösen.Schöffin
Auf ihrer Visitenkarte steht „Médiatrice agréée”, seit kurzem hat sie ihre eigene Firma. Sie wohnt im Norden des Landes. Der Kontakt mit einer Kollegin bringt sie nach Kayl/Tetingen. Für sie ist es nach vielen Umwegen ein Segen, als Mediatorin zu arbeiten. „Endlich kann ich meine Motivation ausleben, anderen zu helfen“, sagt sie. „Ich bin neutral und dafür ausgebildet, Konflikte zu lösen“.
Mit einem zusätzlichen Abschluss in interkultureller Kommunikation der Uni.lu bringt sie nicht nur beide Parteien an einen Tisch. Sie kann kulturelle Unterschiede ausgleichen. Der Dienst starte im Juli 2021 als Pilotprojekt mit einem Jahresbudget von 5.000. Euro. „Ich hätte nicht gedacht, dass der Service so kurz nach der Gründung schon Streitigkeiten beilegen kann“, sagt Schöffin Petry.
Die Bilanz ist gut. Sechs Verfahren laufen seit Bestehen des neuen Dienstes, fünf davon sind beigelegt. Mediatorin Poloogadoo erzählt von ehemaligen Streitparteien, die nach der letzten Sitzung im Rathaus lachend und plaudernd draußen auf der Treppe standen. Für Schöffin Petry hat die Sache noch einen ganz anderen Effekt. „Es enttabuisiert das Bedürfnis, professionelle Hilfe bei der Suche nach einer Lösung in Anspruch zu nehmen“, sagt sie.
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