Escher Gemeinderat / „Keeseminnen“ bewegen weiterhin die Gemüter
Bei der letzten Escher Gemeinderatssitzung vor zwei Wochen hatte Stadtarchitekt Luc Everling den aktuellen Stand des Projektes „Rout Lëns“ vorgestellt. Weil die Zeit nicht mehr gereicht hatte, wurde die Diskussion zu diesem Thema auf den gestrigen Freitag vertagt. Demnach drehte sich ein Großteil der Sitzung um die „Keeseminnen“, deren teilweiser Abriss zuvor für Wirbel gesorgt hatte.
Zu Beginn der Gemeinderatssitzung nahm der Schöffenrat Stellung zur Präsentation des Stadtentwicklungsprojektes „Rout Lëns“. Martin Kox sieht die Aufgabe der Stadtentwicklung darin, den vielen verschiedenen Ansprüchen eines öffentlichen Raumes gerecht zu werden. „Das ist eine komplexe Aufgabe“, sagte der Schöffe. Es müsse ein Masterplan entwickelt werden, der unter anderem eine klimagerechte Entwicklung ermöglicht, an Veränderungen angepasst werden kann und ein lebenswertes Viertel entstehen lässt. Hierfür sei ein Mix an verschiedenen Wohnformen mit einer flexiblen Nutzung geplant.
Im Viertel „Rout Lëns“ gehe es vor allem darum, erschwinglichen Wohnraum zu schaffen. Der Ort biete die einmalige Möglichkeit, mit einer hohen Dichte zu bauen. Während zehn Prozent Sozialwohnungen vorgeschrieben sind, habe die Stadt sich dazu entschieden, mindesten 15 Prozent vom Projektträger „IKO Real Estate“ zu fordern. Ein Wettbewerb für den Bau einer Schule im Zukunftsviertel sei laut Kox bereits ausgeschrieben worden und fast schon fertig. Die Ergebnisse würden demnächst im Gemeinderat vorgestellt. Zusätzlich dazu sollen eine „Maison relais“ sowie ein zentraler Ort mit Bars, Restaurants und Geschäften entstehen.
Eine Reihe Expertisen
Martin Kox sagte auch, dass die Idee des „Urban Farming“ im Raum stehe. Hierfür seien bereits Experten engagiert worden. Das Viertel strebt eine Zertifizierung für nachhaltige Entwicklung sowie CO2-Neutralität an. Zu diesem Zweck seien ebenfalls Expertisen angefragt worden. Das Planungsbüro „Schroeder & Associés“ arbeite zudem an einem Verkehrskonzept, bei dem Nachhaltigkeit, öffentlicher Transport und sanfte Mobilität im Mittelpunkt stehen sollen.
„Die Industriekultur schafft ein Viertel mit einer eigenen Identität“, sagte Kox. Sechs bis sieben Elemente des ehemaligen Stahlbaus bleiben im neuen Viertel erhalten. Dabei wird jedem Element eine Funktion zugeschrieben, sodass es nicht nur ein Relikt im öffentlichen Raum bleibt. Kox sagte, die Einrichtungen sollten vor der Entwicklung des Gesamtkonzeptes geplant werden. Der „déi gréng“-Schöffe sprach seine Hoffnung aus, dass Esch auf „Rout Lëns“ in Zukunft endlich ein offenes Schwimmbad bekommt.
Nachdem Schöffe André Zwally (CSV) auf die Geschichte des Ortes eingegangen war, listete er all die Dinge auf, die der Schöffenrat bereits getan habe, um die Industriekultur der Stadt voranzubringen. Er regte sich darüber auf, dass die Beschwerden bezüglich des Abrisses der „Keeseminnen“ erst so spät eingegangen seien. „Wieso hat das ‚Centre national de la culture industrielle‘ (CNCI) nicht früher das Gespräch gesucht? Meine Türen stehen immer offen, wenn es um Industriekultur geht …“, sagte Zwally.
Kritik an Kommunikation
Dan Codello fühlte sich nach den Aussagen des Schöffenrats noch immer so „verschaukelt“ wie vor zwei Wochen. „Es wurde nicht eine neue Information zum Projekt ‚Terres Rouges‘ vorgestellt“, sagte er. Das Problem liege ganz klar in der Kommunikation. Codello sagte zudem, dass der Schöffenrat mit den moralischen Lehrstunden nur verdecken wolle, dass er in dem Projekt komplett versagt und dem Projektträger alles überlassen habe. Er kritisierte, dass die Kommunikation des Schöffenrats während der Krise zwar allgemein sehr gut geklappt habe, was das Projekt ‚Terres Rouges‘ angeht, habe das jedoch ganz und gar nicht geklappt. Er forderte, dass die Arbeitsgruppe des Industrieerbes um Mitglieder des Gemeinderats erweitert wird.
Henri Hinterscheid (LSAP) fragte den Schöffenrat nach konkreten Fristen. Er wollte wissen, wann dem Gemeinderat der PAP („Plan d’aménagement particulier“), das Projekt der Schule auf „Rout Lëns“, Details zur Finanzierung und Umsetzung sowie das Verkehrskonzept vorgestellt würden. Der Schöffenrat beantwortete diese Fragen nur teilweise. Der PAP sei nicht vor dem Herbst fertig. Um über die Verkehrsstudie treffe man sich am 31. Juli mit Verkehrsminister Bausch.
Christian Weis (CSV) widersprach Dan Codellos Aussage, es seien keine neuen Elemente des Projekts vorgestellt worden. Es seien viele visuelle Elemente gezeigt worden, auch wenn das lediglich Ideen und dementsprechend nichts Definitives sei. Das Projekt sei noch in der Entwicklung und der Projektträger engagiere Experten und inspiriere sich im Ausland. „Das ist wertvoll“, so Weis. Es dauere eben, weshalb noch kein PAP vorliege. Weis hob zudem positiv hervor, dass jeder Bürger auf der Internetseite www.routlens.lu bis heute Ideen einreichen kann. Zudem habe „IKO Real Estate“ eine Umfrage zum Thema Wohnen im Lockdown gestartet, um die Ergebnisse in die Stadtentwicklung einfließen zu lassen.
Weis sagte überdies, dass es für niemanden eine Überraschung hätte sein dürfen, dass die „Keeseminnen“ nicht ganz stehen bleiben. Die Bautenkommission habe alle Dokumente vorliegen gehabt und es habe noch eine ganze Reihe weiterer Dokumente gegeben, auf denen das stand. Weder ein Gemeinderatsmitglied noch ein Escher habe sich je darüber beschwert. Deshalb vermute er Opportunismus hinter der Aufregung.
Ein Wahrzeichen
Marc Baum („déi Lénk“) gab selbst zu, dass die „Keeseminnen“ in der Vergangenheit nur wenig thematisiert worden sind. Inzwischen sei das jedoch anders. „Ich habe mich eingelesen und die ‚Keeseminnen‘ sind für mich vor allem ein Wahrzeichen.“ Sie würden eine Reihe wesentlicher Kriterien erfüllen, um unter Denkmalschutz gestellt zu werden. Sie seien beispielhaft, was die Architektur betrifft, und wurden zwischen 1913 und 1917 in Architekturzeitungen quer durch Europa genannt und diskutiert. Die „Keeseminnen“ seien etwas Seltenes, es gebe nichts Vergleichbares in der Großregion. Hinzu komme, dass sie Zeugen der Stahlindustrie und der damit verbundenen Sozialgeschichte sind. „Es stellt sich nicht die Frage, ob der teilweise Abriss legal war, sondern jene, ob er legitim war“, sagte Baum. Der Abriss bedeute nämlich den Verlust von Kulturerbe. Zudem findet Marc Baum es unverantwortlich, dass historische Bauten abgerissen würden, bevor überhaupt ein Masterplan steht. Er wies darauf hin, dass sich der Projektträger keinen Ideen verschließe. Er soll lediglich gesagt haben, dass diverse Planänderungen nur mithilfe einer Kofinanzierung der Gemeinde möglich sei. „Lasst uns das tun. Dadurch können wir einen Teil unseres Industrieerbes behalten“, forderte der Gemeinderat.
Vera Spautz (LSAP) unterstrich die Wichtigkeit von Marc Baums Aussage, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, was die „Keeseminnen“ bedeuten. „Genau deshalb gibt es die Fachleute vom CNCI. Um uns Dinge mitzuteilen, über die wir nicht unbedingt Bescheid wissen“, so Spautz. Sie wies erneut darauf hin, dass Eric Lux, CEO bei „IKO Real Estate“, in einem Interview gesagt habe, dass er kein Problem damit hätte, die „Keeseminnen“ in das Projekt zu integrieren, wenn „Sites et Monuments“ sich dafür entscheiden würde. „Wieso wurde dann nicht abgewartet und sofort abgerissen?“, fragt die ehemalige Bürgermeisterin der Stadt Esch.
Gegen die Lagerung von Atommüll
Auf dem nächsten Punkt der Gemeinderatssitzung stand die Unterzeichnung einer Resolution, die vom Gemeindesyndikat Syvicol zusammengetragen wurde. Darin sprechen sich die Gemeinden zusammen gegen die Lagerung von Atommüll in Belgien an der Grenze zu Luxemburg aus. Dahlia Scholl (DP) bezeichnete dieses Vorhaben als eine Frechheit: „Unser Trinkwasser ist in Gefahr, sollte sich dieses Projekt durchsetzen.“ Line Wies („déi Lénk“) sprach bei dieser Resolution von einer gewissen Hypokrisie. Natürlich seien „déi Lénk“ gegen die Lagerung des Atommülls an der Grenze, für die es keine sichere Methode gebe. Luxemburg müsse seinerseits aber auch aufhören, in Atomenergie zu investieren, und davon wegkommen. Die Unterzeichnung der Resolution wurde einstimmig angenommen.
Unterstützung für Geschäftswelt
Schöffe Pim Knaff (DP) stellte die Entwicklung der Geschäftswelt in Esch vor. Die Stadt habe seit Ende März knapp 50 unabhängige Escher Geschäfte auf den sozialen Medien vorgestellt. Die Beiträge haben im Schnitt 216.000 Menschen erreicht. Weil die Krise für die Geschäftswelt noch nicht vorbei ist, läuft auch das Projekt weiter. Knaff kündigte zudem eine Neuheit an: Der „Escher Blog“ soll im Herbst online gehen, um die lokalen Geschäfte weiterhin zu promovieren. Es stehe eine große Rezession bevor und es sei wichtig, die lokalen Geschäfte zu unterstützen. Im Gemeinderat vom 26. Juni werde darüber entschieden, wie die finanzielle Hilfe der Geschäftsleute genau aussehen wird. Die Gemeinderäte entschieden einstimmig, dass die Stadt für das Jahr 2020 auf die Besteuerung von Terrassen, die zu Restaurants und Cafés gehören, verzichtet. Pim Knaff warf noch eine Idee des Schöffenrats in den Raum: Cafébesitzern solle die Möglichkeit geboten werden, versetzbare Terrassen auf dem Rathausplatz aufzurichten. Henri Hinterscheid begrüßte diese Idee und forderte den Schöffenrat dazu auf, dieses Projekt voranzutreiben.
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„bewegen die Gemüter“
Ja, alle beide.
Jaja,die Verfechter dieses Industrieerbes müssten denn auch für die Unterhaltskosten dieser Ruine aufkommen,oder?