Nach 17 Jahren Bauzeit / Kein einfacher Weg: Die Liaison Micheville ist so gut wie fertig
Grenzverschiebungen, Protestaktionen, Verspätungen, brennende Erdhaufen. Wenige Straßen in Luxemburg haben eine so bewegte – und lange – Baugeschichte wie die Liaison Micheville. Am kommenden Montag wird das letzte Teilstück für den Verkehr freigegeben. Eine Zeitreise.
Update: Eröffnung um 22 Uhr
Wie die Straßenbauverwaltung am Dienstagmorgen mitgeteilt hat, wird die Liaison am Montag um 22 Uhr eröffnet. „Gegen 22 Uhr wird es möglich sein, die neue Straße B40 (zunächst auf einer Spur in jeder Richtung) zu benutzen, die die A4 direkt mit dem Micheville-Tunnel verbindet.“ Weil noch abschließende Arbeiten gemacht werden müssen, ist die Höchstgeschwindigkeit zunächst auf 70 km/h begrenzt. sen
„Die Zukunft von Esch/Belval wird greifbar“ – so titelte das Tageblatt am 23. Mai 2006. Der Anlass war kein kleiner, wurde doch der symbolische Spatenstich zum ersten Abschnitt der Liaison Micheville am Tag zuvor gefeiert. Los ging es gleich mit dem alternativ als „Herzstück“ oder „Hauptschlagader“ bezeichneten „Central Gate“-Tunnel: Vier Spuren, 735 Meter lang. Da sollte der Rest doch ein Klacks sein, dachte man damals wohl. War er nicht. Denn was nach 2006 folgte, war eine 17 Jahre lange Geschichte mit Material für ein Epos. Streit mit den französischen Nachbarn, Proteste von Umweltschützern gegen die Straße, Proteste von Gewerkschaften für die Straße, brennende Schutthaufen, Baustellen für Rekordbücher. Währenddessen wuchs und gedieh das Viertel, dessen Schicksal mit der Straße verbunden ist, wie sonst nichts: Belval.
Am kommenden Montag, dem 29. Mai, findet die Geschichte ein Ende. Dann wird die Liaison Micheville für den Verkehr freigegeben. So richtig fertig ist sie dann zwar noch nicht. Wie die Ponts & Chaussées gegenüber dem Tageblatt mitteilen, werden noch bis Ende Juli „kleinere Abschlussarbeiten an der Autobahn“ getätigt und wohl nur jeweils ein Fahrstreifen für den Verkehr geöffnet sein. Aber wer will nach 17 Jahren kleinlich sein?
Was ist die Liaison Micheville?
Die „Liaison Micheville“ ist eine Straßenverbindung, die Luxemburg und Frankreich schon sehr lange vor dem Baubeginn im Jahr 2006 beschäftigte. Die Herausforderung: die A4 und den Luxemburger Süden rund um das „neue“ Viertel Belval mit Frankreich und schließlich der französischen A30 zu verbinden – und die Gemeinden an der Grenze verkehrstechnisch zu entlasten. „Ziel ist es, den Straßenverkehr zu organisieren, um ein großes Gebiet zu erreichen, das sich im Umbau befindet“, schreibt die Straßenbauverwaltung in einem Flyer zur Eröffnung des Tunnels im Jahr 2016. Das Gebiet im Umbau: die Brachflächen von Esch-Belval und den französischen Agglomerationen Micheville, Villerupt, Russange und Audun-le-Tiche.
Damit soll „Pendlern aus Lothringen, die täglich zur Arbeit nach Luxemburg kommen, die Möglichkeit gegeben werden, die Stadt Luxemburg und ihre Randgebiete über eine schnelle, sichere und komfortable Straße zu erreichen“, erklärt die Straßenbauverwaltung. Gleichzeitig soll der Zugang von Belval Richtung Micheville und umgekehrt erleichtert werden – und natürlich die „klassischen Verkehrsachsen“ rund um Audun, Esch und auch Villerupt entlastet werden. Französischen Pendlern wird auch der Umstieg in die Bahn ermöglicht: Das Parkhaus im Süden von Belval hat nicht nur eine Extra-Ausfahrt von der „Liaison“, sondern auch eine Fußgängerbrücke zum Bahnhof.
Das Verkehrsministerium erklärt auf Tageblatt-Anfrage, dass der Mobilitätsraum Esch & Belval ein leistungsfähiges „Contournement de proximité“ erhalten werde. „Diese Maßnahmen ermöglichen eine Neuorganisation des städtischen Straßennetzes.“ Die Verlagerung des motorisierten Transitverkehrs auf die Liaison Micheville und die A4 soll zur Verkehrsberuhigung der Stadtviertel beitragen.
Das Verkehrsministerium erklärt, dass 25.000 Fahrzeuge täglich in einer ersten Phase auf dieser Trasse fahren werden. Laut den Zählern der Straßenbauverwaltung waren es im vergangenen Jahr – also als noch der Umweg durch Belval genommen werden musste – durchschnittlich 18.677 pro Tag. Zum Vergleich: In den ersten fünf Monaten 2021 fuhren durchschnittlich 45.233 Fahrzeuge pro Tag über die A3 an der Grenze zu Frankreich.
„Dat hei ass den deierste Chantier, op de Kilometer gesinn, deen d’Ponts-et-Chaussées je gebaut hunn“, erklärte Baustellenleiter Raymond Bonaria dem Tageblatt bei einer Baustellenbegehung im Mai 2015. 350 Millionen Euro für 3,3 Kilometer Straße, das ist wahrlich eine Marke.
Tunnel oder nicht?
Die Arbeiten rund um den „Central-Gate“-Tunnel, also das „Herzstück“, verursachten beim Bau des Luxemburger Teils der „Liaison“ die größten Kosten. Die erste Bauphase, die im August 2005 beschlossen wurde, sah ein Budget von 76 Mio. Euro für die Vorbereitungsarbeiten an der Tragstruktur der Röhre und den Zugang zum „Square Mile“ vor. Ein Gesetz vom Juli 2008 genehmigte dann noch einmal 115,5 Millionen Euro, um den Rohbau des Tunnels fertigzustellen, den Tunnel ans Verkehrsnetz anzubinden – und verschmutzten Boden zu behandeln.
Noch einige Jahre zuvor stand zur Debatte, ob der Tunnel überhaupt gebaut werden sollte – oder der Verkehr nicht doch besser über einen Boulevard durch Belval fließen sollte. In der Haushaltsdebatte im Dezember 2004 warf die damalige Escher Bürgermeisterin und LSAP-Abgeordnete Lydia Mutsch der Regierung vor, den lange geplanten Tunnel infrage zu stellen. Hierdurch riskiere man, die Grundphilosophie des Belval-Konzepts als regionales Modellprojekt infrage zu stellen, sagte Mutsch.
Wenig später – am 24. Dezember 2004 – erklärte damalige Minister für öffentliche Bauten, Claude Wiseler (CSV), im Tageblatt-Interview, dass „Varianten“ diskutiert würden, um die Verbindung preiswerter gestalten zu können. Das sorgte für Wallung in den Gemeinderäten der Anrainer-Kommunen. „Der Staat dürfe nicht wegen etwaiger finanzieller Engpässe von der unterirdischen Referenzvariante absehen“, erklärte die damalige Escher Bürgermeisterin Lydia Mutsch (LSAP). Eine entsprechende Motion wurde im Februar 2005 einstimmig, also auch mit den Stimmen der CSV, im Rat angenommen.
2006 ging es dann also doch los mit dem Tunnel. 600 Meter kürzer als in anderen Varianten vorgesehen. Zehn Jahre später, am 16. Dezember 2016, wurde er eingeweiht. Er verläuft exakt unter der oberirdischen Porte de France in Belval. „Wir müssen abwarten, bis das ganze Projekt fertig ist“, sagte Verkehrsminister François Bausch („déi gréng“) bei der Einweihung.
Weltrekord auf der Tunnelbaustelle
Ende Oktober 2010 wurde ein 20.000 Tonnen schweres Tunnel-Bauteil mit Spezialmaschinen an seinen Platz geschoben. Laut Bauleiter Raymond Bonaria das größte Bauwerk, das weltweit je verschoben wurde, wie das Tageblatt am 2. November 2010 berichtet. Für die Aktion, die an einem Wochenende stattfand, wurden freitags die Gleise der Strecke Esch-Beles abmontiert. Danach wurde im Eiltempo das Erdreich darunter abgegraben, um den Tunnel freizulegen. In der Nacht zum Sonntag wurde das Tunnelstück mit Spezialpressen nach vorne geschoben. Abends stand das Tunnelstück dann da, wo es hingehörte. Danach musste es wieder mit Material bedeckt werden, damit wieder Schienen verlegt werden konnten. Am Dienstagmorgen „dürften die Züge wieder verkehren“, schrieb das Tageblatt. „Eine Delegation der SNCF aus Paris war extra nach Belval angereist, um das Vorhaben zu bestaunen.“
Besser spät als nie
Wie oft die Eröffnung der „Liaison“ genau verschoben wurde, lässt sich historisch nicht korrekt rekonstruieren. Das könnte auch daran liegen, dass die Begriffe teilweise vermischt wurden und der Tunnel unter Belval stellenweise mit der gesamten Liaison verwechselt wurde. „Die Liaison Micheville soll bis 2012/13 fertig sein“, hieß es Anfang 2007. Im Herbst desselben Jahres wurde im Escher Gemeinderat informiert, dass der Tunnel bis 2010 fertiggestellt werden soll. Der dritte Abschnitt – also die Anbindung an die A4 – soll „voraussichtlich“ 2014 fertig sein. Dieses Datum galt bis 2010. Anfang 2011 hieß es, dass der Tunnel „frühestens 2014“ eröffnet werden könne, während der französische Teil 2013 befahrbar wäre.
Im August 2012 berichtet das Tageblatt, dass die Tunnelfertigstellung 2015 sein soll – und die Verbindung an die A4 zwei Jahre später passieren soll. Noch im März 2013 verkündeten die Minister Claude Wiseler und Jean-Marie Halsdorf (beide CSV) gemeinsam mit ihrem französischen Kollegen Bernard Cazeneuve , dass die Liaison Micheville „Anfang 2015 befahrbar sei“. Im Oktober 2014 berichtet das Tageblatt unter Bezugnahme auf das Verkehrsministerium, dass die „lang erwartete Liaison Micheville“ bis 2017 fertiggestellt wird. Im Dezember 2015 berichtet das Tageblatt, dass die Straßenbauverwaltung daran festhalte, dass die Tunneleröffnung „noch 2016 vollzogen“ werde. Sie fand schließlich am 16. Dezember 2016 statt.
Dabei wurde erklärt, dass es mit dem Anschluss an die A4 noch bis 2020 dauern werde. Im Juni 2018 war das Bauende schon auf 2022 verschoben. Im November 2020 erklärte Straßenbaudirektor Roland Fox auf einer Bürgerversammlung, dass die Liaision Micheville Ende 2022, Anfang 2023 „endlich fertig sein soll“.
In seiner Begeisterung für die neue Verkehrsverbindung unternahm das Tageblatt im Mai 2015 auch eine „Zeitreise“: „Nun wollen wir erfahren, wie es sein wird, wenn die Liaison Micheville komplett fertiggestellt und der Verkehr durchgehend von Frankreich aus auf die A4 fließen wird. Eine weitere Zeitreise ist hierfür nötig. Wir schreiben das Jahr 2019.“
Grenzüberschreitend und grenzverschiebend
Schon gewusst? Der Kreisel am südlichen Ende des Belval-Tunnels und das Gelände, auf dem sich das CFL-Parkhaus befindet, lagen ursprünglich in Frankreich. „Zwecks verkehrsmäßiger Erschließung wird eine Grenzbegradigung zwischen Frankreich und Luxemburg durchgeführt“, schreibt das Tageblatt im Juni 2006. Eine solche Transaktion sei eine komplizierte Angelegenheit, erklärte Chamber-Berichterstatterin Lydia Mutsch dazu. Die Verhandlungen zum Tausch seien schon 2004 angelaufen.
Und was machen die Franzosen?
Ironie der Geschichte: Unmut aus Luxemburg zogen auch die französischen Nachbarn nach Baubeginn (in Luxemburg) auf sich. Auf der anderen Seite der Grenze tat sich nämlich straßenbautechnisch lange nichts. Der Escher Gemeinderat stimmte im Dezember 2007 für eine Motion, damit „auch auf französischer Seite endlich was ins Rollen kommt, und zwar einstimmig“, berichtete das Tageblatt. „Der Rückstand, den die Franzosen bereits jetzt auf den Zeitplan haben, sei besorgniserregend.“ Im Juli 2012 – also lange bevor der Luxemburger Tunnel fertig wurde, begannen – begleitet von Protesten von Umweltschützern – die Arbeiten an der „Liaison Belval-A30“. Die sollte insgesamt 38,5 Millionen Euro kosten, der Luxemburger Staat sich daran mit 6,1 Millionen Euro beteiligen. Die Straße sollte 2014 – „zeitgleich mit der Inbetriebnahme der Liaison Micheville auf luxemburgischer Seite“ – betriebsbereit sein.
Den Planungen zum französischen Teil gingen heftige Debatten „um Trassenführung und Finanzierung“ voraus, wie das Tageblatt im Januar 2006 schrieb. Am Ende habe sich eine „Vernunftlösung“ durchgesetzt, bei der die Trasse bei Villerupt in die D16 münde. „Damit konnte die ursprünglich geplante direkte Autobahnverbindung zwischen der A30 und der A4 erfolgreich verhindert werden.“ Die hätte nämlich zur Folge gehabt, dass die schon damals „völlig ausgelastete A4“ ans internationale Autobahnnetz angeschlossen worden wäre. „Und so bleibt die A4 die kleine, beschauliche, doch zumeist komplett überlastete Provinzautobahn mit ihren vielen verkehrstechnischen Mängeln, den zu engen Abfahrtsradien, abenteuerlich angesiedelten Tankstellen und einer mitunter skurrilen Beschilderung.“ Bis zur A30 reicht die „Liaison Belval-A30“ bis heute nicht.
Und dann auch noch Giftmüll
Ein Teil des Erdaushubs für den Tunnel unter Belval entpuppte sich spätestens 2011 als mit Schwermetallen belastet. „Ein Relikt aus den Zeiten, da auf Belval noch die Hochöfen qualmten“, wie das Tageblatt im Dezember des Jahres schrieb. Zig Kubikmeter Erde seien mit Blei, Arsen und Zink verseucht. 380.000 Kubikmeter davon wurden zu Deponien in Deutschland gebracht, was Kosten in Millionenhöhe verursachte. Ein kleinerer Teil wurde in eine mit Zement befestigte Grube neben der A4 geschüttet – über den später der Anschluss an die Liaison führen sollte.
Die Sanierungskosten wurden im Januar 2011 auf rund zehn Millionen Euro geschätzt – und tauchten in der Projektplanung offenbar nicht auf. Der Präsidentin der zuständigen parlamentarischen Kontrollkommission, Anne Brasseur, zufolge sei es völlig unbegreiflich, dass diese Kosten „vergessen“ wurden, berichtete das Tageblatt. Das Teilstück durch Belval sei schließlich notwendig für die Entwicklung des Geländes. Die Tunnelbaustelle ruhte fast ein Jahr.
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