Gleichstellung / Keine Datenerhebung zur Rollenverteilung in der Corona-Krise
Die vergangenen Monate haben unser aller Leben auf den Kopf gestellt. „What a time to be childless“ hieß es vielerorts in den sozialen Medien. Denn wer plötzlich den ganzen Tag mit Partner und Nachwuchs aufeinanderhockt, Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut bringen und daneben den Haushalt schmeißen musste, für den konnte der Lockdown schon mal zu massivem Stress führen. Daten zu möglichen Ungleichheiten zwischen Geschlechtern will die Regierung jedoch nicht erheben.
Bei der Familie von Liz Thomé war das zum Glück nicht so. „Wir sind eine moderne Patchworkfamilie“, sagt die Mutter, deren eigene Kinder bereits erwachsen und ausgezogen sind. Die Kinder ihres Mannes sind 10 und 16 Jahre alt. Die beiden wohnen eigentlich in Deutschland bei ihrer Mutter. Während des Lockdowns hat der Nachwuchs jedoch sechs Wochen bei seinem Vater und Liz Thomé in Luxemburg verbracht.
Eine neue Erfahrung für die Familie – Homeschooling sei Dank. „Um für die Kinder da zu sein, hat mein Mann ‚Congé pour raisons familiales‘ beantragt“, erzählt sie. Später, um seine Firma zu entlasten, hat er mit seinem Arbeitgeber ein Übereinkommen getroffen, täglich sechs anstatt acht Stunden zu arbeiten. Liz Thomé musste selbst viel arbeiten, denn sie war im „Centre de soins avancés“ (CSA) in Ettelbrück beschäftigt.
Planung ist alles
Ein reibungsloses Zusammenleben bedeutete also eine Herausforderung. „Ich habe bereits vorher mit meinen Kindern sehr viel geplant“, sagt Liz Thomé. Das habe der Familie auch jetzt durch die Krise geholfen. „Jeder war alle vier Tage mit Kochen dran – dabei war es nie ein Thema, dass auch der Zehnjährige mithilft.“ Die Kinder hätten das gerne gemacht.
Neben Arbeit, Homeschooling und Kochen kam das Putzen nicht zu kurz. „Als ich arbeiten war, habe ich schon mal ein Foto geschickt bekommen, wie mein Mann und die Kinder gerade dabei waren zu staubsaugen“, sagt Liz Thomé. Die Philosophie der Mutter ist es, dass jeder mit anpackt, damit es für niemanden zu viel ist. Kinder, die im Haushalt helfen, lernen schließlich auch fürs Leben.
Die Plattform JIF („Journée internationale des femmes“) und die Gewerkschaft OGBL befürchten ihrerseits, dass es in vielen Familien nicht ganz so gerecht zuging wie bei Liz Thomé und ihren Liebsten. Beide Organisationen vermuten, dass die Care-Arbeit während der Krise hauptsächlich auf Frauen zurückgefallen ist. Auch in unseren Nachbarländern überschlagen sich die Nachrichten darüber, dass die Corona-Krise die Emanzipation zurückgeworfen habe. Genau beweisen lässt sich das in Luxemburg nicht. Denn die Regierung tut sich schwer damit, Daten und Zahlen zu sammeln und zu veröffentlichen, die eine Analyse der Situation ermöglichen würden.
Krise von Frauen bewältigt
Der OGBL schrieb am 26. Mai, dass Krisen generell Ungleichheiten verschlimmern. In einer Mitteilung der Gewerkschaft hieß es weiter, dass die sanitäre Krise in erster Linie von traditionell weiblich besetzten Berufsgruppen bewältigt wird. Darunter fällt der Gesundheits- und Sozialsektor, in dem 76 Prozent der Angestellten Frauen sind, und der Putzsektor, in dem 83 Prozent der Beschäftigten weiblich sind. Auch den direkten Kontakt mit Kunden bewältigen in erster Linie Frauen – zum Beispiel Kassiererinnen und Verkäuferinnen –, die dadurch einem erhöhten Risiko ausgesetzt waren und immer noch sind.
Frauen übernehmen also einen großen Teil der bezahlten Care-Arbeit, sind gleichzeitig aber auch diejenigen, die zu Hause häufiger für die Pflege verantwortlich sind. Sie sind es, die sich meist um Kinder, ältere und kranke Familienmitglieder kümmern und zusätzlich den Großteil der Hausarbeit erledigen. Dazu kommt, dass 82 Prozent der alleinerziehenden Eltern in Luxemburg Frauen sind. Durch die Krise hat sich der Druck auf sie verdoppelt. Zum Schluss der Mitteilung fordert der OGBL die Politik unter anderem dazu auf, Daten zu erheben, um die Auswirkungen der Krise auf Haushalte und Arbeitswelt zu messen.
Die Plattform JIF tat es der Gewerkschaft am 24. April gleich. Sie appellierte an die Regierung und Abgeordneten und bat darum, verschiedene sozioökonomische Daten zu erheben und zu veröffentlichen mit dem Ziel, die Folgen der Corona-Krise auf einzelne Geschlechter wie auch auf verschiedene Einkommensschichten zu analysieren.
Datenerhebung zu kompliziert
Diesen Appell griffen die Abgeordneten Marc Goergen und Sven Clement der Piraten-Partei auf. In einer parlamentarischen Anfrage wollten Goergen und Clement wissen, ob die Regierung Kenntnis von dieser Forderung genommen habe und vorhabe, dieser nachzukommen. Zudem fragten sie, wie lange die Erhebung, Verarbeitung und Veröffentlichung der Daten brauchen würde und ob diese der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollen.
Die Antwort auf die parlamentarische Anfrage kam am Dienstag. Darin ist zu lesen, dass die Regierung zwar Kenntnis von der Anfrage genommen habe, leider würden jedoch keine sozioökonomischen Daten unter der gefragten Form existieren. „Diese müssten extra angefragt, gesammelt und bearbeitet werden“, heißt es von der Regierung. Die große Diversität und Zahl der beantragten Daten und die vielen Akteure, auf die sie sich beziehen, aber auch wegen des Ausmaßes der Fragen gehe dieses Vorhaben weit über den Rahmen des Gesetzes vom 14. September 2018 zur „administration transparente et ouverte“ hinaus. „Aus diesem Grund kann die Regierung keine positive Antwort auf diese Anfrage geben“, schreiben die Minister abschließend.
Wie will jemand gute und angepasste Politik machen, wenn er den Status quo nicht kennt?JIF
Isabelle Schmoetten von der Plattform JIF bezeichnet die Antwort als enttäuschend. Die Daten wären schließlich nicht nur für die Plattform, sondern vor allem für die Regierung selbst. „Wie will jemand gute und angepasste Politik machen, wenn er den Status quo nicht kennt?“, fragt sie.
Die Plattform, die auch den Frauenstreik am 7. März organisiert hat, ist sich sicher, dass sich besonders Mütter in der Krise um die Care-Arbeit gekümmert haben. „Daneben haben sie selbst im Homeoffice gearbeitet und den Kindern beim Homeschooling geholfen“, sagt Schmoetten.
Familien, in denen die Frau im Putzsektor arbeitet und deren Mann im Bausektor, seien ebenfalls in eine ungewohnte Situation geraten. „Als der Bausektor geschlossen wurde, war es klar, dass die Männer zu Hause bleiben. Wir wissen von Fällen, in denen die Frauen dadurch extrem unter Druck gerieten“, sagt sie. Einerseits von ihrem Partner, der von ihnen verlangte, den „Congé pour raisons familiales“ zu nehmen – andererseits von ihrem Arbeitgeber und Arbeitskollegen, die sozusagen nicht im Stich gelassen werden wollten. Neben Familien, wie der von Liz Thomé, gibt es demnach auch jene, die nicht so gut durch die Krise gekommen sind.
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Der heutige Mensch möchte alles Handeln in Daten und Statistiken erfassen und vergisst dabei zu leben und leben zulassen. Daten und Statistiken werden zum Leitfaden des Handelns, der Rechtfertigung politischer, gesellschaftlicher Entscheidungen, dem Oktroyieren von Meinungen, der menschliche Verstand auf der Strecke bleibt.