Ausstellung / Keine Kunst für weiße Wände: die Urban Art Biennale in der Völklinger Hütte
Im post-industriellen Dschungel des Weltkulturerbes startet die siebte Urban Art Biennale. Der perfekte Ort für eine Kunstschau mit Kunst, die man nicht zur Schau stellen kann.
Als sich eine Wolke vor die Sonne schiebt, stoppt der Hammerkopf der Ölförderpumpe und sinkt in sich zusammen. „Was wir hier erleben“, sagt Vladimir Turner, „ist der Zusammenbruch des fossilen Brennstoffkapitalismus.“ Turner, Künstler aus Prag, grinst. Er steht auf dem Weg neben der Hochofengruppe der Völklinger Hütte. Hinter ihm fällt die aufblasbare Industriefigur immer weiter in sich zusammen. „Das Ding ist aus demselben Material wie eine Hüpfburg“, sagt Turner. Betrieben wird die Pumpe durch Solarpanels direkt vor ihr. Wenn die Sonne nicht scheint, kann die Förderpumpe nicht mehr „pumpen“. Ohne erneuerbare Energie keine Industrie.
„Mockup“ hat Turner sein Kunstwerk genannt, eine Attrappe. Die falsche Förderpumpe ist für ihn genauso fake wie die Versprechen von Politik und Unternehmen, gegen den Klimawandel vorzugehen. „Mockup“ ist eines von 150 Werken, das aktuell bei der Urban Art Biennale 2024 im Weltkulturerbe Völklinger Hütte zu sehen ist. 80 Künstler aus 21 Ländern bespielen Gebäude und Gelände des ehemaligen Eisenwerkes und Teile der Stadt. Bereits zum siebten Mal findet die Kunstschau für Urban Art im saarländischen Völklingen statt – und auch in diesem Jahr hat sie sich einmal mehr vergrößert.
Es beginnt zu regnen. Wie so oft in den vergangenen Tagen. „Das Wetter hat uns beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht“, sagt Frank Krämer, Kurator der Biennale. Alle Kunstwerke, die in Völklingen zu sehen sind, sind auch vor Ort entstanden. Vom kleinsten Graffiti über Wandzeichnungen bis hin zu Skulpturen. Die Künstler kommen in die Stadt, wohnen her, arbeiten in der Hütte. „Normalerweise haben wir den ganzen April Zeit zum Aufbau“, sagt Krämer. Aber in diesem Jahr: Kälte, Regen, Hagel. Ein Problem, denn der größte Teil der Ausstellung befindet sich unter freiem Himmel.
Ein paar Meter entfernt von der Ölförderpumpenhüpfburg ragt eine glimmende Zigarette in den grauen Himmel über Völklingen. „Ragt in den Himmel“ ist hier ausnahmsweise kein überstrapaziert-übertriebenes Bild, sondern: die verdammte Kippe ist tatsächlich turmhoch. Überschattet alles. Aus Kilometern Entfernung zu sehen. Der höchste Schornstein der ehemaligen Eisenhütte, ummantelt mit bemalten Papierbahnen, sodass er aussieht wie eine 70 Meter hohe, stehende Zigarette. Der französische Künstler The Wa hat dieses Werk geschaffen. Es trägt den Titel „Torches of Freedom“, Fackeln der Freiheit. Mit diesem Begriff wurden Frauen Anfang des 20. Jahrhundert zum Rauchen aufgefordert – damals Tabu und Befreiungsakt, heute Gesundheitsrisiko. „Manchmal werden den Leuten die falschen Träume verkauft“, sagt The Wa. Und schafft den Bezug zur Industrialisierung: „Manchmal wird eine ganze Stadt um diesen Traum herumgebaut und dann allein gelassen.“
Musealisierung zerstört den Wesenskern
Ein „temporäres Wahrzeichen“ für das Weltkulturerbe und die Stadt nennt Ralf Beil, Generaldirektor des Weltkulturerbes, dieses Kunstwerk. Und damit ist er auch schon ganz dicht dran am Herzen dieser Ausstellung, am Reiz der Biennale in Völklingen. Urban Art ist in ihrer Natur vergänglich. Eine Momentaufnahme im Reizdschungel der Stadt. Jeder Versuch der Musealisierung zerstört sofort den Wesenskern dieser Kunst. Wie also eine Kunstschau machen mit Kunst, die man nicht zur Schau stellen kann? Indem man sie genauso flüchtig sein lässt, wie sie ist. An der weißen Museumswand funktioniert das nicht. Wohl aber im post-industriellen Dschungel der Völklinger Hütte.
Manches bleibt. Das meiste verschwindet. Wind und Wetter werden die Papierbahnen von „Torches of Freedom“ nach und nach beschädigen, auflösen. Das Kunstwerk, die Kippe, wird sich irgendwann einfach verflüchtigen. Gone with the wind. Up in smoke. „Ich liebe das Temporäre an dieser Kunst“, sagt Kurator Krämer. Und dass man genau das zulässt, ist die große Stärke der Urban Art Biennale.
In der alten Industriestätte dreht sich vieles um das Zusammenspiel von Industrie und Menschen, das Anthropozän und die Schäden, die die Menschheit angerichtet hat. Da ist die Turmzigarette, einerseits Luftverpester, andererseits Emanzipationssymbol. Die aufblasbare Ölpumpe, die nur „fördert“, wenn erneuerbare Energie vorhanden ist. Oder – ein weiteres Highlight – die mit Blattgold überzogene Plastiktüte der beiden Künstler Baptiste Debombourg und David Marin. Ein Ready-made im Geiste Marcel Duchamps, die Überhöhung eines Alltagsgegenstands, der wie kaum ein Zweiter für die außer Kontrolle gerate Müllproduktion des Plastikzeitalters steht.
Was in Völklingen gelingt, ist Urban Art im besten Sinne. Trainiert an der Aufmerksamkeitsspanne des flüchtigen Großstadtblicks. Als Betrachter muss man nicht lange grübeln, die Botschaft wird einem ins Gesicht geschleudert. Das ist meistens plakativ, hat aber immense Wirkmacht und Dringlichkeit. So wie die 27 Hasen des Londoner Künstlers Benjamin Irritant. „Street Art war früher mal ziemlich politisch“, sagt der. Heute vermisse er echte Botschaften. Deshalb lässt der Künstler seine Hasen agitieren.
Das Spannungsfeld zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Straße und Museum, in dem die Urban Art nicht erst seit Banksy steckt, zeigt sich bei dieser Biennale am schönsten in den Werken des Hamburger Duos Moses & Taps, irgendwo zwischen Vandalismus und Kunstmarkt. Die beiden Künstler haben die Abdeckplane eines Güterzugs mit einem Graffiti besprüht. „Im wohlbehüteten Museum bekommt man aber nur einen kleinen Einblick“, sagt Krämer und deutet auf die Wand mit der wie ein Vorhang zusammengerafften Cargo-Plane. „Das ganze Kunstwerk entfaltet sich nur draußen, in der Realität, auf dem vorbeifahrenden Zug.“
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