Gemeindepolitik / Keine Zeit zum Durchatmen: Das Syvicol hat ein arbeitsreiches Jahr hinter sich
Die Reform des Gemeindegesetzes hat das „Syndicat des villes et communes luxembourgeoises“ (Syvicol), dem derzeit 102 Kommunen angehören, in den letzten zwölf Monaten auf Trab gehalten. Präsident Emile Eicher (67) bleiben im zehnten Jahr seiner Amtszeit vor allem die Solidarität unter den Gemeinden und die Loyalität seines Teams während der Pandemie in Erinnerung.
Tageblatt: Ein aufregendes Jahr 2021 liegt hinter Ihnen und 2022 ist erst halb vergangen. So richtig Zeit zum Luftholen hat das Syvicol aber nicht, oder?
Emile Eicher: Es geht gerade so weiter und personalmäßig stoßen wir an unsere Grenzen. Wir brauchen mehr Personal, das ist eine Einsicht aus den vergangenen Jahren. Denn die nächste Krise ist schon da: die Energiekrise. Da müssen auch die Gemeinden ihre Rolle spielen, allerdings wurden wir bislang noch nicht von der Regierung konsultiert. Klar ist: Wir müssen umdenken. Außerdem werden uns die allgemeine Preisexplosion verbunden mit den Schwierigkeiten bei den Lieferketten und die „Logement“-Problematik als Dauerbrenner begleiten.
Sie haben sich während Ihrer Amtszeit als Syvicol-Präsident immer für mehr Gewicht des Verbandes bei politischen Entscheidungen eingesetzt. Wie steht es damit?
Ich meine, das ist uns auch gelungen. Wir werden bedeutend öfter nach unserer Einschätzung gefragt als früher – oft schon bevor Gesetzestexte geschrieben werden. Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass unsere Vorschläge einfließen. Wir werden ernst genommen. Wir halten trotzdem an der Forderung fest, den Gemeindeverband auf eine Stufe mit den Berufskammern zu stellen und seine Konsultation obligatorisch zu machen.
Wie fällt die Syvicol-Bilanz 2021/2022 aus?
Rückblickend betrachtet war 2021 ein intensives Jahr. Wir haben es gespürt und es gibt Zahlen, die das belegen. 2017 haben wir gerade mal acht Gutachten („Avis“) abgegeben, 2021 waren es 49. Und im ersten Halbjahr 2022 sind es jetzt schon 33.
Die Reform des Gemeindegesetzes ist in Arbeit. Fällt es so aus, wie der Syvicol es sich für seine Mitglieder wünscht?
Die Reform des Gemeindegesetzes wurde bekanntlich aufgeteilt, da sie sehr umfangreich ist. Bei der „Tutelle administrative“ wurden unsere Vorschläge zum Großteil angenommen. Der „Congé politique“, die „Responsabilité pénale“ des Lokalpolitikers sowie der „Code de déontologie“ haben kürzlich den Regierungsrat passiert. Wir werden diese Gesetzestexte nun begutachten.
Mit der Änderung der „Tutelle administrative“ ist ein erster Schritt getan. Ein Ende des Amtsschimmels und mehr Autonomie für die Gemeinden?
Schön wär’s … Es ist ein sehr guter Anfang, aber da ist noch einiges an Luft nach oben. Wir haben extrem langwierige Verfahren hier im Land für verschiedene Prozeduren und keine richtige zeitliche Begrenzung, was die Bearbeitung in den Ministerien und Verwaltungen angeht. Das heißt, es hängt vom guten Willen des jeweiligen Sachbearbeiters ab. Darüber hinaus wäre es schön, wenn es irgendwann einmal, wie beispielsweise in Belgien, ein einziges Dossier („dossier unique“) für das jeweilige Projekt gäbe, das auf den Instanzenweg geht und dann für alle Parteien zu jeder Zeit einsehbar ist.
Das klingt nicht danach, als wären Sie zufrieden …
Doch, aber die Abläufe müssen einfach schneller werden und vor allem papierlos. Beim Innenministerium bringt die „Tutelle administrative“ immense Verbesserungen, bei anderen Ministerien hakt es noch. Dahinter steht letztlich auch die Frage: Sind die Gemeinden Partner der Regierung oder nicht? Wenn wir Partner sein sollen, dann müssen wir auch so behandelt werden.
Wie ist der Stand der Dinge beim „Code de déontologie“ für Gemeindepolitiker?
Wir haben bereits 2016 einen Textvorschlag gemacht. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass es nun endlich einen Text gibt, den die Lokalpolitiker als Richtlinie nehmen können. Das Gemeindegesetz gibt heute schon viele Verhaltensregeln vor, jedoch fehlt ein richtiger Kodex
Der Fall des Bettemburger Bürgermeisters hat gezeigt: In der Kombination Lokalpolitiker/Beruf sind sie als Bürgermeister nicht geschützt. Das Syvicol fordert ein „Statut de l’élu communal“. Was steckt dahinter?
Auch hier haben wir eine Stellungnahme („prise de position“) ausgearbeitet und uns bei den Nachbarn Belgien, Frankreich und Deutschland inspiriert. In Belgien sind die Lokalpolitiker schon gegen Entlassungen geschützt, wenn sie für die Kommunalwahlen kandidieren. Nach Ende des politischen Mandats muss dem Arbeitnehmer ein gleichwertiger Posten angeboten werden. Das wird in kleineren Betrieben wahrscheinlich schwer, aber wenn es in Belgien geht, warum nicht auch bei uns?
Der „Congé politique“ ist ein Reizthema – außer der Bürgermeister ist bereits in Rente. Wie ist die Position des Syvicol?
Wir fordern seit Jahrzehnten mehr Stunden. Auf Wunsch der Innenministerin haben wir kürzlich einen konkreten Vorschlag gemacht. Das Ministerium ist nun sogar noch über unsere Vorschläge hinausgegangen, wobei hier anzumerken ist, dass die Gemeinden diese Mehrkosten selbst tragen. Sowohl die feste Stundenzahl, die jedem Gewählten mandatsabhängig zugutekommt, als auch die flexiblen Stunden für die politische Arbeit in einem Syndikat werden teilweise angehoben. Das betrifft die Bürgermeister und Schöffen. Für die Räte in den kleineren und mittelgroßen Gemeinden bleibt die Stundenzahl gleich. Dazu muss man wissen, dass kleine Gemeinden anders als die großen funktionieren. Ich habe das selbst mitgemacht. In einer kleinen Gemeinde landen viele Anliegen und Anfragen der Bürger direkt beim Bürgermeister. Die Leute denken: Den kennen wir, der soll das regeln. Die größeren Gemeinden haben ihre Spezialisten und verfügen über viel mehr Personal. Andererseits bleibt auch die neue Regelung ein indirekter Druck zu fusionieren. So sehe ich das jedenfalls.
Was bedeutet die Ankündigung, Schulkinder gratis in den „Maison relais“ zu betreuen, für die Gemeinden?
Das ist eine Frage von Platz und Personal. Es gibt Gemeinden, die haben vorgesorgt und ausreichend Kapazitäten. Andere haben erweitert oder neu gebaut, sind aber vom zusätzlichen Wachstum überrollt worden. Außerdem muss nun mehr Personal eingestellt werden. Und gegenwärtig ist es schwierig, das geeignete Personal, sei es „Educateur(e)s gradué(e)s“ oder „diplomé(e)s“ zu finden. Und das nächste ist: Wir bekommen zwar bei Neubauten Beihilfen vom Staat, aber die Obergrenze der finanziellen Zuwendungen ist seit 20 Jahren gleich geblieben. Da muss der Staat der Realität der Preisentwicklungen auf dem „Terrain“ endlich Rechnung tragen.
Sie sind selbst Bürgermeister in Clerf. Treten Sie nächstes Jahr noch einmal an?
Ja. Wenn sie mich noch wollen …
Congé politique
Das neue Gesetz ersetzt den „Congé politique“ durch „Décharge pour activité politique“, was der Aufgabe wesentlich näherkommt.
Die wichtigsten Neuerungen auf einen Blick (diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
– Gemeinde mit sieben Räten (Saeul): elf Stunden pro Woche für den Bürgermeister, sechs für jeden Schöffen, drei Stunden für jeden Rat;
– Gemeinden mit elf Räten wie beispielsweise Grevenmacher, Remich oder Mertert-Wasserbillig: 24 Stunden pro Woche für den Bürgermeister, zwölf Stunden für Schöffen und fünf Stunden für jeden Rat;
– Gemeinden mit 13 Räten wie beispielsweise Bartringen, Kayl oder Park Hosingen: 34 Stunden pro Woche für Bürgermeister, 18 Stunden für Schöffen, fünf Stunden für jeden Rat;
– Gemeinden mit 19 Räten wie beispielsweise Esch/Alzette, Differdingen oder Düdelingen: 40 Stunden pro Woche für den Bürgermeister, 24 Stunden für die Schöffen und acht Stunden für jeden Rat.
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