Déi gréng / Killerinstinkt mit grün-rotem Gewissen: François Bausch zieht sich zurück
„Kein Minister hat das Luxemburger Land dermaßen geprägt wie François Bausch.“ Mit diesen Worten verabschiedet Sam Tanson am Montag den langjährigen Grünen-Abgeordneten und Minister in den politischen Ruhestand. Porträt einer politischen Karriere.
Natürlich ist es die Mobilitätspolitik, die ihn immer noch fesselt. Was auch sonst. François Bausch wirkt ruhig, entspannt und gelassen, als er das Tageblatt in der Grünen-Fraktion in Luxemburg empfängt. Der Anlass: Am Mittwoch zieht der Grünen-Politiker mit seiner letzten Chamber-Sitzung einen Schlussstrich unter seine aktive politische Karriere – nach mehr als 40 Jahren. Wirklich vorbei? Bausch lacht. Ein Hintertürchen lässt er sich offen. „Mich hat noch immer gereizt, etwas in Europa zu machen“, gesteht Bausch. „Wenn mir was angeboten wird, was nicht meine ganze Zeit in Anspruch nimmt …“
Als Mobilitätsminister hat François Bausch mit dem Bau der Tram und dem kostenlosen öffentlichen Transport „das Luxemburger Land geprägt wie kaum ein anderer Minister vor ihm“, meint etwa Sam Tanson. Man ist geneigt, ihr zuzustimmen: Besonders im Ausland hat der in Luxemburg eingeführte Gratis-Transport hohe Wellen geschlagen – bis nach Berlin und über den Atlantik. „Null-Euro-Ticket: Luxemburg – das weltweit erste Land, in dem man gratis reist“, titelte etwa der Berliner Tagesspiegel im Juni 2022. „Luxembourg to Become the First Country to Offer Free Mass Transit for All“, schrieb die New York Times.
„Sie werden bestimmt noch von mir hören“, antwortet François Bausch mit einem verschmitzten Grinsen auf die Frage, ob er sich tatsächlich komplett aus der Politik zurückziehen werde. Sein ganzes Leben habe aus Politik bestanden und das werde auch weiterhin so bleiben. Jeden Tag Zeitung lesen, die Aktualität kommentieren und sich mit Stellungnahmen zu Wort melden, sei aber nicht sein Stil. Jetzt brauche er erst mal eine Auszeit. „Familie und Freizeit sind in den vergangenen 18 Jahren zu kurz gekommen.“ Zehn Jahre als Minister in der Dreierkoalition, davor Schöffe der Stadt Luxemburg und Fraktionspräsident in der Chamber – „das war eine intensive Zeit“.
Politisierung „de gauche“
Eine intensive Zeit, der bereits ein langjähriges politisches Engagement vorausging. Bauschs politischer Werdegang beginnt in den Reihen der LSAP, er sympathisierte mit den Trotzkisten. Eine Politisierung „de gauche“, wie er selbst sagt. Als großes politisches Vorbild nennt François Bausch neben Nelson Mandela den ehemaligen LSAP-Politiker Robert Krieps.
Mat Leidenschaft eragoen, den Debat féieren … Leidenschaft an der Politik, dat feelt einfachdéi gréng-Politiker
Und auch heute ist der soziale Sockel, auf dem die politische Karriere des François Bausch fußt, deutlich zu spüren. So macht er den Aufstieg des Rassemblement national nicht am Scheitern des Macronismus fest, sondern an ein paar grundsätzlichen Problemen: immer mehr Verlierer, steigendes Demokratiedefizit. Kurzum: eine soziale Katastrophe. „Die Menschen fühlen sich alleingelassen und wählen aus Verzweiflung“, so die Analyse von Bausch. „Luxemburg bleibt bisher verschont, weil die sozialen Verlierer in Luxemburg nicht wählen dürfen.“
Ein sozialer Reflex, der schon in jungen Jahren stark ausgeprägt war und letzten Endes zu einer Abkehr von der LSAP beigetragen hat. Mit 17 Jahren fing François Bausch als Schienenarbeiter bei der CFL an, politisierte sich aufgrund eines Vortrages von Autor und Journalist Pierre Puth über Freizeitgestaltung und Massenmedien. Es folgten Seminare über arbeits- und gesellschaftspolitische Ungleichheiten. „Ausschlaggebender Punkt war aber meine eigene Situation“, sagt Bausch, der von sich selbst sagt, aus „kleinen Verhältnissen“ zu stammen – weswegen die soziale Frage zentral in seinem politischen Engagement war.
Rückblickend sagt Bausch auch: „Wenn in der LSAP nur Politiker wie Robert Krieps gewesen wären, wäre ich wohl nie ausgetreten.“ Nach dem Indexstreik 1982 war die LSAP 1984 als großer Gewinner der Parlamentswahlen hervorgegangen. Während die Parteioberen sich für eine große Koalition entschieden hatten, setzte sich Bausch dafür ein, dass die LSAP als großer Gewinner der Wahlen andere Wege beschreiten und den Premier stellen sollte. Es kam bekanntlich anders – und nach den internen Diskussionen über eine Abänderung oder ein komplettes Abschaffen des Index im Vorfeld der Wahlen wandte sich Bausch von der Partei ab.
Vom Idealisten zum Realo
1986 trat er einer damals gerade drei Jahre alten Partei bei: „déi gréng“. 1989 wird Bausch in die Chamber gewählt. Ein Mann mit einem ausgeprägten politischen Riecher. Den attestieren ihm auch ehemalige Weggefährten. Zum Beispiel beim Referendum zum Ausländerwahlrecht 2015, eines der ersten großen Projekte der „neuen, reformwilligen“ Regierung. Bausch sah die Abstimmung – neben Jean Asselborn und Nicolas Schmit – schon damals sehr kritisch. Nicht etwa, weil die drei Politiker gegen das Ausländerwahlrecht gewesen wären, sondern es die Gesellschaft vollends unvorbereitet getroffen hat. Und es kam, wie es kommen musste: „Es sind diejenigen aus ihren Löchern gekrochen, die richtig Zauber gemacht haben.“
„Ich habe François Bausch als einen sehr aktiven, jedoch total ideologischen Oppositionspolitiker im Parlament erlebt“, erinnert sich Robert Goebbels, ehemaliger LSAP-Bautenminister, an seinen politischen Kontrahenten zurück. „Es war eine totale Opposition.“ Mit Bauschs Ernennung zum Minister will Goebbels einen Wandel von einem „Ideologen zum Realo“ erkannt haben. Und selbst Robert Goebbels, der eigentlich wenig Lob für Politiker aus dem Grünen-Spektrum übrig hat, muss anerkennen, dass Bausch beim Projekt der Tram eine „geniale Idee“ hatte, die Baustelle auf Kirchberg und nicht im Stadtzentrum beginnen zu lassen.
Bausch hingegen sieht seine Entwicklung vom Idealisten zum Realpolitiker schon viel früher, Mitte der 90er Jahre, beginnen. „Ich war immer der Meinung, dass man durch außerparlamentarischen Druck oder als Oppositionsabgeordneter eben durch parlamentarischen Druck Veränderungen erwirken kann“, sagt Bausch. Das sei auch ein wichtiger Aspekt – „jedoch wollte ich auch gestalterisch tätig werden“. Dazu aber müsse man Kompromisse eingehen können. „Man verliert ein Stück weit seine Unschuld“, erkennt Bausch an. Ein Sinneswandel, mit dem er die Grünen zusammen mit dem ehemaligen Minister Félix Braz 20 Jahre später in die Regierungsverantwortung führte. Keine Selbstverständlichkeit: Nach der SREL-Affäre dachte Bausch ans Aufhören. Seine Familie und Freunde überzeugten ihn vom Weitermachen. Kurze Zeit später war er Minister.
Ich habe meiner Partei immer gesagt, dass man aufhören müsse, mit dem moralischen Zeigefinger durch die Gegend zu laufen
Neuanfang
Der Absturz der Grünen bei den vergangenen Chamber-Wahlen kam auch für den langjährigen Minister mit dem ausgeprägten politischen Gespür überraschend. Heute, mit etwas Abstand, stellt Bausch fest, dass die Grünen die zahlreichen politischen Attacken der vergangenen Jahre, die den Nährboden fürs Grünen-Bashing vorbereitet haben, komplett unterschätzt haben. Die Wahlniederlage aber will er nicht allein auf auswärtige Faktoren schieben. „Ich habe meiner Partei immer gesagt, dass man aufhören müsse, mit dem moralischen Zeigefinger durch die Gegend zu laufen“, sagt Bausch. Gerade in Bezug auf das Alltagsleben der Menschen – Stichwort Mobilität – hätte das zuweilen überhandgenommen. „Letztendlich haben wir es nicht geschafft zu vermitteln, dass die von uns angestoßenen ökologischen Veränderungen ein Schritt in eine gesamtgesellschaftlich bessere Zukunft sind.“ Und beim Wähler sei nur hängen geblieben, dass die Grünen dafür sorgen, dass man alte Heizungen und Dieselautos entsorgen müsse.
Insgesamt scheint François Bausch mit der heutigen politischen Debatte – oder dem Nichtvorhandensein einer politischen Auseinandersetzung – etwas zu fremdeln. „Et geet nëmmen nach drëm, de Géigner futtizemaachen“, meint Bausch. In der Chamber würden mittlerweile sogar Minister ihre Reden ablesen. Er vermisse Leidenschaft und Risiko für Veränderungen. Und will einen Trend in die falsche Richtung erkannt haben: „Wenn wir nur noch Studien machen und Politiker sich als Verwalter sehen, die keine Fehler machen wollen, machen wir schlussendlich alles falsch“, meint Bausch. Woran das liege? Heute würde Politik als Karriere anstelle eines Engagements wahrgenommen werden.
Bausch erinnert sich an den Abschied von Joschka Fischer, Ikone der deutschen Grünen. Der sagte damals von sich selbst, dass der letzte Rock ’n’ Roller die politische Bühne verlässt. „Ich meine, dass die Politiker-Generationen der 60er, 70er und 80er Jahre mit mehr Leidenschaft agierten“, sagt Bausch. „Mat Leidenschaft eragoen, den Debat féieren … Leidenschaft an der Politik, dat feelt einfach.“
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