Forschung zu „Covid-Kids“ / „Kinder wollen wirklich in die Schule“: Der Einfluss des Zugangs zu Bildungseinrichtungen in der Pandemie
Welchen Einfluss hatte die Pandemie bislang auf das Wohlbefinden der Kinder und welche Erfahrungen haben sie in der Schule und im Homeschooling gemacht? Diesen Fragen gingen Claudine Kirsch und Dzoen Bebic-Crestany, beide Forscherinnen an der Universität Luxemburg, in der Studie Covid-Kids II nach.
Im März 2020 gab es einen Lockdown und die Schulen mussten schließen. Im Dezember 2020 und Januar 2021 gab es einen weiteren Lockdown. Kinder und Jugendliche konnten nicht zur Schule gehen, auch wenn diese im Prinzip offen waren. Hinzu kam, dass sie aufgrund einer eigenen Covid-Infektion oder wegen Quarantänen dem Unterricht vor Ort fernbleiben mussten. In der Studie wurden Präsenzunterricht und Homeschooling miteinander verglichen. „Wir fragten die Kinder, wie sie unter beiden Bedingungen lernten und wie sie ihre Aufgaben empfanden“, sagt Forscherin Claudine Kirsch im Tageblatt-Gespräch.
In den beiden relevanten Teilen der Studie wurden Grundschüler im Alter von 6 bis 11 Jahren sowie 12- bis 16-jährige Jugendliche befragt.
Die Angst galt nicht unbedingt dem Virus, sondern vielmehr der Sorge, nicht mehr in die Schule gehen zu können und weniger zu lernenUni.lu-Forscherin
Wie zufrieden waren die Kinder mit der Schule? Die Studie ergab, dass 95 Prozent der jüngeren Kinder zufrieden mit der Schule waren. Bei den Älteren waren es nur noch 75 Prozent. Claudine Kirsch mutmaßt, dass hier auch der Zeitpunkt der Datenerhebung eine Rolle spielte. Die Daten bei den Kleineren wurden gleich nach den Sommerferien im September 2021 erhoben. Damals habe die Tatsache, dass die Kinder froh waren, überhaupt wieder in die Schule gehen zu können, eine wesentliche Rolle bei der Zufriedenheit gespielt, so die Forscherin. Die Datenerhebung bei den größeren Schülern hingegen wurde im Juli 2021 gemacht, also kurz vor den Sommerferien.
Mehr Angst vor Abwesenheit als vor Covid
Wie war das emotionale Wohlbefinden der Kinder? „Die Kinder haben sich wirklich Gedanken gemacht“, sagt Kirsch. Dabei wurde festgestellt, dass die größeren Kinder öfter negative Gefühle (z.B. Angst, Einsamkeit, Traurigkeit) und mehr Sorgen hatten als die kleineren. Auch Mädchen zeigten häufiger negative Emotionen und waren besorgter als Jungs. Internationale Studien würden diese Tendenzen aus der Covid-Kids-Studie bestätigen. „Bei den größeren Kindern hatten 36 Prozent Angst, an Covid zu erkranken, wobei 26 Prozent angaben, dass sie oder Familienmitglieder das Virus bereits hatten“, sagt Kirsch. Bei den Kleinen seien es nur 19 Prozent gewesen, die Angst hatten, sich zu infizieren. „Eine der Ängste bei den Großen galt nicht unbedingt dem Virus, aber vielmehr der Sorge, nicht mehr in die Schule gehen zu können und weniger zu lernen“, sagt Kirsch.
Wie lange waren die Kinder nicht in der Schule? Der Lockdown dauerte mehrere Wochen, hinzu kamen Quarantänen beziehungsweise Isolationen. Laut Studie haben fast 50 Prozent aller Kinder mehr als vier Wochen gefehlt. „Das ist sehr viel“, sagt Kirsch. Ein Drittel der Kinder hat mehr als sechs Wochen gefehlt. „Sechs Wochen sind ein halbes Trimester“, so die Forscherin. „Da versteht man, dass die Kinder sich Sorgen über ihre schulischen Leistungen machten.“ Von den Jugendlichen waren 46 Prozent besorgt, dass sie weniger gut in der Schule sein werden.
Wo lernen Kinder am besten? Die Studie besagt eindeutig, dass Kinder viel besser lernen, wenn sie in die Schule gehen dürfen: 96 Prozent der 12- bis 16-Jährigen gaben an, viel weniger in den Homeschooling-Perioden gelernt zu haben. „Sie wollen wirklich in die Schule“, unterstreicht Kirsch. Laut Studie waren die Probleme, mit denen die Kinder zu Hause beim Lernen konfrontiert waren: lange Bildschirmzeiten, technische Störungen und Konzentrationsstörungen. In den Interviews sagten die Kinder, sie würden zu Hause abdriften, spielen und weniger Lust auf Lernen verspüren. Positiv war, dass sie später aufstehen konnten und keinen Schulweg bewältigen mussten.
Keine Motivation, keine Lust auf gute Noten
Bessere Noten vor der Pandemie? „Einige der älteren Kinder gaben an, dass sie vor der Pandemie bessere Noten hatten“, sagt Claudine Kirsch. Auf die Kleinen habe diese Aussage allerdings nicht zugetroffen. „Einige Jugendliche gaben in den Gesprächen an, während der Pandemie weniger gelernt zu haben. Ihre Noten wurden schlechter“, so die Forscherin. „Sie hatten viel Unterricht verpasst, waren weniger motiviert, unzufrieden und besorgt.“
Aber auch das Gegenteil konnten die Forscherinnen beobachten. „Ein Kind sagte, dass es während der Pandemie viel bessere Noten hatte, weil es mehr Zeit hatte, zu wiederholen“, sagt Dzoen Bebic-Crestany. Die Mehrheit aber habe sich Sorgen gemacht. Manche hätten beim Online-Unterricht die Kamera ausgeschaltet und im Pyjama vor dem Rechner gesessen, andere wiederum hätten keine Lust gehabt, irgendetwas abzugeben. Bei vielen war die Motivation weg, hatten keine Lust auf gute Noten. Die Aussage „Hauptsache durchkommen“ traf laut Bebic-Crestany eher auf die älteren als auf die jüngeren Kinder zu. Während bei den einen die Noten schlechter wurden, und dies auch ohne Weiteres hinnahmen, arbeiteten andere härter, um besser zu werden. Trotz dieser Spannweite an Aussagen schlussfolgert die Forscherin, dass die Unzufriedenheit, von zu Hause zu arbeiten, groß gewesen sei, weil die Schüler den Lernstoff schwieriger und unverständlicher fanden. „Es ist ganz verschieden und jedes Kind kommt anders damit klar“, sagt sie.
Gab es heftige Reaktionen? „2021 haben wir ein Kind interviewt, das drei Monate lang nicht mehr zur Schule gegangen war“, sagt Claudine Kirsch. Ein anderes Kind habe einfach im Oktober 2020 aufgehört und habe sich im September 2021 wieder eingeschrieben. Der Grund: Die Schule hätte es nicht gut auf seine Zukunft vorbereitet. „Das sind krasse Reaktionen.“ Manche Kinder seien in ihrem Wohlbefinden dermaßen gestört gewesen, dass sie nicht mehr in die Schule gehen konnten.
Mehr Wohlbefinden, wenn Lehrer zuhört
Helfen die Eltern ihren Kindern zu Hause bei den Aufgaben? Bei den 6- bis 11-Jährigen halfen 80 Prozent der Eltern ihren Kindern bei den Aufgaben. Ältere Schüler bekamen weniger Hilfe von ihren Eltern. „Wenn man bedenkt, dass fast die Hälfte aller Kinder sechs Wochen lang zu Hause gelernt hat, dann hatten die Eltern während dieser Zeit unglaublich viel Arbeit“, sagt Claudine Kirsch.
Wie haben sich die Lehrer um die Schüler gekümmert? „2020, im ersten Lockdown, haben viele Kinder, laut eigenen Aussagen, ihre Lehrpersonen einmal pro Woche gesehen“, so Kirsch. Bei den Großen sei dies einmal am Tag gewesen. 2021, als die Kinder in Quarantäne oder Isolierung waren, hatten 85 Prozent der Großen nur virtuellen Kontakt mit ihrer Lehrperson. Das Bildungsministerium habe in dieser Zeit mehrmals wiederholt, dass das Lehrpersonal die Kinder fragen sollte, wie es ihnen gehe. Deshalb habe man diese Frage in der Studie eingebaut. „In den Interviews sagten manche, dass dies der Lehrperson komplett egal gewesen sei, andere sagten, man habe sich gut um sie gekümmert“, so Kirsch. Allgemein könne man aber sagen, dass viele Kinder sich besser fühlten, wenn der Lehrer ihnen zugehört und sie nach ihrem Wohlbefinden befragt habe, so die Forscherin.
Wie geht es den Kindern, wenn sie in die Schule gehen? Wie geht es ihnen, wenn sie nicht dorthin dürfen? „Es gibt einen signifikanten Unterschied, wie die Kinder ihre Schulaufgaben empfinden“, so Claudine Kirsch. Dies gelte sowohl für die kleineren als auch für die größeren Schüler. „Wenn sie in die Schule gehen dürfen, empfinden sie den Lernstoff als erheblich einfacher, interessanter und viel nützlicher“, sagt sie. „Wenn sie in der Schule sind, mit ihren Freunden, fühlen sie sich signifikant weniger einsam als zu Hause.“ Bei den jüngeren Kindern sei die Angst größer, wenn sie zu Hause hocken würden. Kirsch sagt, dass die Perspektive der Kinder ganz klar ist: „Sie wollen in die Schule, es geht ihnen besser, wenn sie dort sein können und sie lernen dort besser und mehr.“
Zur Datenerhebung
Die Datenerhebung fand in Form von Umfragen und Interviews statt. Die Umfragen wurden in Papierform an einige „Maisons relais“ verteilt (und von Kindern in staatlichen Schulen ausgefüllt) und online an ausgewählte Schulen versendet. In der Mehrheit handelt es sich um Privatschulen. Die Forscherinnen betonen, dass sie darauf geachtet haben, die gesamte Spannweite an unterschiedlichen Privatschulen abzudecken, damit die Studie ihrem repräsentativen Anspruch gerecht werde. Darunter sind demnach sowohl Schulen, die keine Einschreibegebühr erheben, als auch welche, die niedrige oder sehr hohe Gebühren verlangen. Der sozioökonomische Status der Eltern entspricht dem Durchschnittswert der Teilnehmer aus den staatlichen Schulen. Die Forscherinnen haben sich beim Covid-II-Projekt mehrheitlich für Privatschulen entschieden, weil zu dem Zeitpunkt mehrere Studien vom Bildungsministerium an staatlichen Schulen durchgeführt wurden. Zudem habe man bislang nur wenig Datenerhebungen zu Schülern aus privaten Schulen, sagen sie. Immerhin besuchen 18 Prozent der Kinder letztere.
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