/ Klangwelten: Das hören unsere Musik-Experten
Bier statt Champagner – „THEES UHLMANN – Junkies und Scientologen“
Von Oliver Seifert
Sechs Jahre sind seit seinem letzten Soloalbum vergangen. Jetzt wagt Thees Uhlmann einen kleinen Neuanfang, bleibt aber der hemdsärmelige, verschwitzte Arbeiter, der für redliches, souveränes Handwerk steht und noch immer ausschließlich Bier statt Champagner trinkt, wie im letzten Song angemerkt wird.
Ein grundsympathischer Typ eben, der sich wirklich fürs Leben interessiert, der Gefühle zeigt, für Überzeugungen einsteht, voller Zweifel ist und auch voller Enthusiasmus. Der Mann hat Mut, sich das Scheitern einzugestehen, auch wenn es wie im Opener verdammt wehtut („Ich habe alles versucht, es hat nicht gereicht“), und zur trostlosen Einsicht kommt: „Menschen wie ich bleiben besser allein.“ Weil er das so beherzt und entschlossen vorträgt, mit knackiger Instrumentierung im Rücken, müssen wir uns wohl nicht ganz so große Sorgen machen. Hinfallen und aufstehen – so läuft es halt, das Leben, welches Uhlmann interessiert aus verschiedenen Blickwinkeln beobachtet. In Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, auf dem Land oder in der Stadt, im Ausland oder im Kiez, am Tag oder in der Nacht, als Frau (im Hip-Hop) oder Mann (im Eigenheim mit Familie).
Obendrein macht sich Uhlmann, mittlerweile 45 und früher mal mit der Band Tomte unterwegs, Sorgen um Hannover (mit melancholischem Pop) und Kate Perry (mit aggressivem Punk). Hoffnung gibt es für alle, nur nicht für Avicii, den schwedischen Techno-DJ-Star, im Alter von 28 Jahren tragisch zu Tode gekommen. „Eine gute letzte Reise“ wird ihm gewünscht, und während sich die Stimme hier und da überschlägt, untermauert der Indie-Rock mit lärmenden E-Gitarren und polterndem Schlagzeug den kolossalen Verlust: „Du warst die neuen ABBA.“
Daran lässt sich ein Trend erkennen zum Weniger-ist-mehr auf dem neuen Album. Es waren zuletzt doch etwas zu viele Zutaten in einem etwas zu vollendet produzierten Produkt. Uhlmann ist allerdings mehr ein Musiker mit rauer Schale, aber weichem Kern. Da umhüllen spröde, simple Klänge viel plausibler seine empathischen, lebensklug verbeulten Verse über den täglichen Wahnsinn im Kleinen und Großen. Das Warten hat sich gelohnt, auch weil die neuen Songs im Umgang mit den Konstanten Liebe, Tod, Hoffnung, Trauer, Wut, Einsamkeit, Angst, Schmerz immer wieder zu überraschen wissen.
WERTUNG: Oliver Seifert vergibt acht von möglichen zehn Punkten.
Anspieltipps: Fünf Jahre nicht gesungen, Danke für die Angst, Avicii, Was wird aus Hannover
Klarer Gewinner im ewigen Bruderduell – „LIAM GALLAGHER – Why Me? Why Not.“
Von Kai Florian Becker
Vor einigen Monaten sagte Liam Gallagher sein Konzert in Luxemburg ab, weil er stattdessen mit seinen externen Songschreibern an seinem zweiten Soloalbum arbeiten müsse. So bitter die Absage war, sie hat immerhin dazu geführt, dass der frühere Oasis-Sänger das beachtliche Album „Why Me? Why Not.“ abliefern konnte.
Im Gegensatz zu seinem Bruder Noel Gallagher, der neuerdings mit Electro und Pop experimentiert, bleibt der fünf Jahre jüngere Liam mehr oder weniger dem Oasis-Pfad treu. Was nicht heißt, er ruhe sich auf den einstigen Britpop-Lorbeeren aus. Das Album klingt aber stellenweise so wie Oasis vielleicht anno 2019 klingen würden, hätten sich die beiden Hitzköpfe nicht vor zehn Jahren überworfen – siehe „One Of Us“ und das stampfende „The River“. Daneben stehen im Titelsong und in „Now That I’ve Found You“ unüberhörbare Verbeugungen vor den übermächtigen Beatles.
Das Gros der Stücke hat er – wie eingangs erwähnt – mithilfe versierter Experten geschrieben: mit Greg Kurstin (Beck, Lilly Allen, Adele) und Miike-Snow-Sänger Andrew Wyatt (Bruno Mars, Carl Barât, Charli XCX), die beide schon an seinem 2017er-Debüt „As You Were“ mitgewirkt hatten und diesmal beide als Produzenten involviert waren.
Im Vorfeld der Veröffentlichung sagte Liam Gallagher: „Das zweite Album soll eine Steigerung sein, denn es gibt nichts Schwereres, als dieselbe Sache noch einmal zu machen, nur besser. Und genau das haben wir getan. Es ist ein besseres Album als ‚As You Were‘. Was eine Menge aussagt, denn das war bereits gigantisch, oder etwa nicht?“ An Selbstbewusstsein mangelt es ihm nach wie vor nicht. Aber „why not“? Im ewigen Bruderduell ist Liam aktuell der klare Gewinner.
WERTUNG: Kai Florian Becker vergibt acht von möglichen zehn Punkten.
Anspieltipps: One Of Us, The River, Now That I’ve Found You
Mehr Voodoo als Zen – „TIDES FROM NEBULA – From Voodoo To Zen“
Von Jeff Schinker
Mit „From Voodoo To Zen“ veröffentlicht die instrumentale Post-Rock-Band aus Polen ihre bisher stärkste Platte – auch wenn das Album gegen Ende zu sehr dem titelgebenden „Zen“ verfällt.
Der Titel der Platte ist Programm und Struktur: Das fünfte Album von Tides From Nebula beginnt mit dem wuchtigen „Ghost Horses“ wie eine unheilvolle Voodoo-Zeremonie und findet gegen Ende mit dem Titelstück „Nothing To Fear And Nothing To Doubt“ eine Gelassenheit, die ihr nur teilweise gut zu Gesicht steht. Dazwischen passiert erstaunlich viel: Im Opener „Ghost Horses“ münden brodelnde Synthies in ein tolles Gitarrenriff, man fühlt sich teilweise an die grandiosen Schweden von pg.lost erinnert. Die Keyboards auf „The New Delta“ erinnern an die Iren von God Is An Astronaut, die darauf folgende progressive Songstruktur eher an Long Distance Calling.
Auf „Dopamine“ wird den stärkeren Elektro-Einflüssen gehuldigt, „Radionoize“ erinnert teilweise an Grails, auf „Voodoo To Zen“ traut sich die Band, Blasinstrumente ins Klangbild einzuweben. „Nothing To Fear, Nothing To Doubt“ (übrigens mit „Ghost Horses“ der zweite Song, der nach Lyrics des Radiohead-Albums „Amnesiac“ benannt ist) tritt leider etwas auf der Stelle, was dank des starken Finales „Eve White, Eve Black, Jane“ aber nicht weiter stört. Dass die Band seit dieser Platte zum Trio geschrumpft ist, fällt nicht weiter ins Gewicht: Tides From Nebula klingen kompakter und atmosphärisch dichter denn je.
WERTUNG: Jeff Schinker vergibt acht von möglichen zehn Punkten.
Anspieltipps: Ghost Horses, The New Delta, From Voodoo To Zen
Dunkel und schillernd – „ELBOW – Giants Of All Sizes“
Von Jeff Schinker
Im November bringen Coldplay ein Doppelalbum heraus. Wen das (zu Recht) nicht die Bohne interessiert und wer trotzdem nicht auf angelsächsischen Indie-Pop verzichten will, der sollte sich das achte Album von Elbow nicht entgehen lassen.
Mit der Platte „The Seldom Seen Kid“ (2008) verschafften sich Elbow genau die Anerkennung bei Masse und Kritikern, die das Zeichen eines künftigen kommerziellen Erfolges sein kann. Der ganz große Durchbruch gelang dieser sympathischen Gruppe von befreundeten Musikern dann doch nicht: Mit den Folgeplatten zementierten sie ihren Ruf aber vor allem in Großbritannien – für den weltweiten Erfolg ist diese Band dann doch zu kauzig, Sänger Guy Garveys Texte, die er mit seiner Rotweinstimme immer zwischen Pathos und Intimität abliefert, sind zu komplex und seine Mitstreiter sind nicht gewollt, irgendeinem Zeitgeist nachzulaufen. Nach dem tollen „Little Fictions“ (2017) verarbeitet Garvey auf „Giants Of All Sizes“ den Tod seines Vaters und von zwei Freunden. Statt Larmoyanz bieten Elbow eine beeindruckende Sammlung von neun Tracks, die den gewohnten Indie-Britpop um einige Nuancen ergänzen.
Denn so dunkel die angesprochenen Themen, so schillernd sind diese zeitlosen Songs, die von Carveys tollen Stimme getragen werden und nach dem stampfenden Opener „Dexter & Sinister“ immer feinere Klanggerüste weben, die teilweise an Calexico („The Delayed 3:15“) und die Doves („Weightless“) erinnern und vor Gospel und Soul nicht zurückschrecken („On Deronda Road“). Mit „My Trouble“ schreiben sie zudem den vielleicht besten Song ihrer späten Karriere.
WERTUNG: Jeff Schinker vergibt acht von möglichen zehn Punkten.
Anspieltipps: My Trouble, Weightless, The Delayed 3:15
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