/ Klangwelten: Von Trauerarbeit, Blues aus der Zeitmaschine und einem Workaholic
Unsere neue Ausgabe der Klangwelten ist da, in der unsere Kulturredakteure neue Alben unter die Lupe nehmen. Diesmal mit Pijn, Bob Corritore & Friends und Van Morrison. Letzterer war übrigens beim Auftakt dieser Rubrik schon dabei.
Von Jeff Schinker, Claude Molinaro und Gil Max
Pijn
Loss
Pijns erste LP überzeugt mit einem dunklen, facettenreichen Post-Rock, der seine zahlreichen Inspirationsquellen jedoch etwas zu deutlich zur Schau stellt.
Als instrumentale Band hat man es nicht immer leicht. Wenn Michel Houellebecq in seinem neuen Roman „Serotonin“ von Trauer und Verlust redet, verfolgt man das Innenleben der Erzählfigur sehr genau und kann sein Empfinden nachvollziehen (oder zumindest sich bewusst entscheiden, es nicht nachzuvollziehen). Instrumentale Musik ist zu abstrakt, um den Emotionsausdruck semantisch zu kanalisieren, hier sind lediglich der Album- und Songtitel da, um die emotionale Rezeption im Vorfeld zu leiten. Pijns erstes Album heißt „Loss“, die Songtitel deklinieren Phasen der Trauerarbeit durch oder drücken Gefühlszustände aus: „Denial“, „Detach“, „Distress“, „Squalor“ deuten an, in welche (düstere) Richtung das Album uns führen wird.
Stilistisch verbindet die Band so einiges, was in den letzten Dekaden im meist instrumentalen Post-Rock-Genre probiert wurde – die sanften Gesangspassagen in „Detach“ erinnern an Ef, der Opener „Denial“ kann seine Anleihen an die Kanadier von Godspeed You! Black Emperor nicht verneinen (diese tauchen auch auf vielen anderen Tracks auf) und auf „Distress“ klingt das Schlagzeug so wuchtig, der Bass so fräsend, dass der Track auch seinen Platz auf „Empros“, der dritten Platte von Russian Circles, gehabt hätte.
Neben diesen melancholischen Stücken herrscht in der Albummitte verstärkt die Auflehnung, die sich in Wutausbrüchen inklusive Growls spiegelt – hier gibt es also sehr wohl Gesang, man versteht nur natürlich nicht, was geschrien wird, die Stimme taugt mehr als Emotionsausdruck, als dass die Wörter eine semantische Botschaft liefern sollen. In solchen Momenten erinnert die Band dann phasenweise an Post-Metal-Acts wie beispielsweise Neurosis.
Das 18-minütige Herzstück „Unspoken“ wechselt zwischen Post-Metal und delikaten Streichern, die Resignation ausdrücken, fällt aber eventuell etwas zu lang aus. Am schönsten ist „Blush“, das auch zwischen den Stimmungen pendelt, in der Mitte aber mit einem verdammt eingängigen Riff daherkommt und sich von den etwas zu zahlreichen (zugegebenermaßen sehr passenden) Genre-Zitaten löst. Eine vielversprechende erste LP.
Bob Corritore & Friends
Don’t Let The Devil Ride!
Gedanken-Assoziationen sind per se subjektiv, und nur bedingt nachvollziehbar, doch erinnert das neueste Werk von Bob Corritore & Friends „Don’t Let The Devil Ride!“ irgendwie an Howlin’ Wolfs legendäre „London Session“. Das Album hat einen Klang, als wäre es aus der Vergangenheit zu uns „gebeamt“ worden.
Es ist Chicago Blues (Achtung: Floskel!) „vom feinsten“. An sich dürfte das nicht verwundern, da Corritore ja auch 1956 in Chicago geboren wurde und noch das Glück hatte, ganz Große des Genres, wie z.B. Big Walter Horton, Howlin’ Wolf und „of course“ Muddy Waters live zu erleben.
Die größte Überraschung des Albums dürfte sein, dass es ihm wunderbar gelingt, die Atmosphäre der Gründerjahre des Chicago Blues in unser Jahrzehnt zu retten. Dieser Zeitsprung wird übrigens auf dem Albumcover grafisch durch den Retro-Look unterstrichen. Hier ist die Zeitmaschine kein DeLorean DMC-12, wie in „Back To The Futures“, sondern ein amerikanischer Oldtimer aus den 1950er- oder 1960er-Jahren.
Es ist Musik, die man sich in schummerigen Rotlichtbars vorstellt, meilenweit entfernt vom Baumwollpflücker-Bblues des Mississippi-Delta. „Don’t Let The Devil Ride!“ ist das, was ich persönlich als reines Blues-Album verstehe. Es besitzt alles, worauf es bei dieser Musik ankommt: (eine) Stimme(n), die Emotionen übermittelt/n, ein Groove, der unter die Haut geht, und Melodien, bei denen sich Gitarre und Mundharmonika die Waage halten. Und die Harp von Corritore, der zu den Meistern seines Fachs zählt, ist allein schon das Album wert. „Tell Me Mama“ z.B. ist eine Hommage an Mundharmonika-Gott Little Walter.
Obwohl die zwölf Stücke des Albums zwischen 2014 und 2017 aufgenommen wurden, passen sie wunderbar zusammen und ergeben ein Werk, bei dem man nicht den Eindruck hat, es wäre eine bunt zusammengewürfelte Collage. Auch die vielen Freunde, die hier mitwirkten, verderben nicht den Brei.
Van Morrison
The Prophet Speaks
Diese Rubrik wurde im Oktober 2016 eröffnet mit einer Rezension des Albums „Keep Me Singing“ von Van Morrison.
Seither hat der mittlerweile 73-jährige Nordire vier weitere Platten veröffentlicht – eine besser als die andere. Van the Man ist unermüdlich, ein veritabler Workaholic.
Auf seinem jüngsten Werk bleibt er seiner Formel treu, nach der er im Grunde alle seine Alben in den letzten 20 Jahren konzipiert hat: Er huldigt den Altvorderen, das heißt den Großmeistern des Blues und des Soul, drückt deren Evergreens seinen eigenen Stempel auf und steuert in demselben Spirit Eigenkompositionen bei. Coverversionen gibt es diesmal u.a. von Sam Cooke, Solomon Burke, John Lee Hooker und Willie Dixon, doch die eigenen Stücke sind noch besser.
Zusammen mit Joey DeFrancesco an der Hammond-Orgel und Trompete läuft Van zur Höchstform auf. Am Ende von „Rollin And Tumblin“ sowie bei „Ain’t Gonna Moan No More“ tut er genau das: stöhnen, stammeln, grochsen, grunzen, weil er es so stark fühlt, dass es ihn übermannt, als würde er vom Tourette-Syndrom erfasst. Der ewige Nörgler und Miesepeter, der früher in den Keller lief, um loszuprusten, scheint endlich sogar Spaß an seiner Arbeit zu haben und so etwas wie Altersheiterkeit zu entwickeln. Alter!
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