Forum / Klassenkampf und Kleinbürger, Eliten und Eiferer: Kann die LSAP sich dem Niedergang der Linken entziehen?
Als intellektuelle Vordenker der linken Bewegung im 19. Jahrhundert die „Diktatur des Proletariats“ anstrebten, war das Konzept gerechtfertigt. Die große Masse der Menschen war geknechtet und der Willkür des Adels und weniger Besitzender ausgesetzt. Dort, wo ein Ansatz von Demokratie herrschte, etwa in Großbritannien, blieb das Wahlrecht an ein hohes Einkommen gekoppelt. Die viel gerühmte „Magna Carta“ schützte nur die Rechte der Oberschicht gegen königliche Allmacht. Barone und Kirche konnten sich königlicher Steuern erwehren. Das gemeine Volk hatte keinerlei Rechte.
Die wichtigsten Theorien von Marx und Engels entstanden im britischen Königsreich, dem Geburtsland der industriellen Revolution. Wo ein Lumpenproletariat in den Kohlengruben oder Webereien 12 Stunden am Tag schuftete. Die meisten Bauern waren Leibeigene, im Dauerfron für einen gelangweilten Landadel. Der von Golf und Tennis, Rugby und Football, Fuchsjagd und Tourismus alle Freizeit-Beschäftigungen der Moderne erfand.
Die Arbeiterbewegung setzte in Großbritannien und in den aufkommenden Industrienationen auf dem Kontinent graduell bessere Arbeitsbedingungen durch. Zum Kontern der erstarkenden Sozialdemokratie erfand Preußens Kanzler Bismarck das Recht auf Rente ab 70 Jahren. Da damals kaum ein Arbeiter so alt wurde, waren die ersten Rentenbezieher Beamte. Die Spaltung der Lohnabhängigen war geboren.
Der moderne Sozialstaat entstand ebenfalls in Großbritannien. Lord Beveridge, ein Liberaler, entwarf 1942 die großen Linien des „Welfare State“. Das Konzept der sozialen Absicherung „von der Wiege bis zur Bahre“. Das in der Nachkriegszeit in den westlichen Demokratien umgesetzt wurde. Mit höchster Vollendung in Skandinavien.
Opfer des Erfolges
Doch je größer die soziale Absicherung, je schneller die Machtverluste für Sozialisten und Sozialdemokraten. Aus der ursprünglichen Arbeiterklasse erwuchsen Besitzende. Zwar Kleinbürger, immer stärker abgehängt von den wirklichen Reichen. Dennoch: In Luxemburg besitzen rund 80% der im Land geborenen Bürger ein Eigenheim. Linke Vorschläge für eine „gerechtere“ Besteuerung von Eigentum, für höhere Grundsteuern, für Erbschaftssteuern in direkter Linie sind daher nicht gerade politische Erfolgsrezepte.
Die erwünschte „Soziale Sicherheit“ geht einher mit hohen Abgaben, mit immer mehr Taxen und Steuern. Kein Wunder, dass Versprechen wie mehr „Netto vom Brutto“ eine größere Anziehungskraft haben als das oft nebulöse Konzept „gerechter Steuern“. Weil sie nicht nur die wenigen Prozent Superreiche treffen, sondern ebenfalls die undefinierbaren Mittelschichten, kommen solche Vorschläge beim Wähler wenig an.
Von Thatcher über Reagan bis Trump war das Verheißen von Steuererleichterungen immer wirkungsvoll. Obwohl die Steuergeschenke der Oberschicht mehr brachten als der Mittelschicht. Wirklich Arme bezahlen nur indirekte und damit sehr ungerechte Steuern. In Luxemburg zahlt die Hälfte der Steuerpflichtigen keine oder nur sehr geringe Einkommenssteuer. Hat deshalb nicht mehr „Netto vom Brutto“, wenn etwa die Steuertabellen an die Inflation anpasst werden.
In praktisch allen europäischen Staaten gingen bei den letzten Wahlgängen linke Parteien nicht gerade als strahlende Sieger hervor. Gewiss, in Großbritannien löste die Labour Party die Konservativen ab. Die sich selbst zerstörten und letztlich am britischen Wahlrecht scheiterten. In jedem Wahlkreis genügt die einfache Mehrheit. Mit einem globalen Stimmenanteil von bloß 34% eroberte die Labour Party eine absolute Mehrheit der Sitze. In Frankreich, wo das Wahlrecht die Parteien zu unheiligen Allianzen verdammt, heimste der „Nouveau Front Populaire“ im zweiten Wahlgang zwar die meisten Sitze ein. Besitzt dennoch keine Mehrheit zur Durchsetzung seines Programms.
Ansonsten sind Sozialdemokraten, Sozialisten, Grüne und andere linke Gruppierungen eher auf der Verliererseite. Im Europäischen Parlament stellen nach der jüngsten Wahl die Sozialisten bei einem Total von 720 Angeordneten deren 136, die Grünen 53 und die Linken 46. Rechte, vor allem extreme Rechte, sind auf dem Vormarsch.
Vergessene Arbeiterschaft?
Der Ökonom Daron Acemoglu sieht die Ursache des Rückgangs der traditionellen Linken in ihrem Kontaktverlust mit der Arbeiterklasse. Die Linke kenne deren Sorgen nicht mehr. Klassenkampf sei vergessen. Überall hätten gut ausgebildete Eliten die Mitte-links-Parteien übernommen. Wo sie sich vornehmlich „woken“ Themen widmen: Gegen sexistische und homophobe Diskriminierungen, für LGBTQ-Rechte, für die „Rettung des Planeten“ (der mit Sicherheit die Menschheit überleben wird).
Diese Themen sind wichtig. Entsprechen aber nicht unbedingt dem Weltbild der Arbeiterklasse. In Frankreich entstanden die „Gilets Jaunes“ als Reaktion auf höhere „Umwelt-Taxen“ auf Benzin und Diesel. Die Wut der „Rond Point“- Besetzer richtete sich u.a. gegen die „Blitzer“ an den Straßen. Die zugeklebt, gar umgelegt wurden. Bei den nachfolgenden Wahlen stimmten die „gelben“ Protestler mehrheitlich für die Partei der Marine Le Pen. Auch in den USA stimmte die Mehrheit der Arbeiterschaft für Trump. Bei vielen Wahlen behaupten sich Linke wie Grüne noch in den Städten, während rechte und ultrarechte Parteien in den Landgemeinden abgrasen.
Der französische Publizist Jean-François Kahn fragte spöttisch, ob das „peuple de gauche“, für das Mélenchon und andere Eiferer zu sprechen vorgeben, wirklich „le mariage pour tous“ herbeisehnte? Linke Parteien verteidigen oft gesellschaftspolitische Fortschritte, die nicht immer im Weltbild des einfachen Menschen verankert sind.
Es wäre wohl kaum zur Abschaffung der Todesstrafe gekommen, hätte man in Frankreich und anderswo eine Volksabstimmung organisiert. In Luxemburg gingen 2015 beim dreifachen Referendum die eher linken Forderungen nach Wahlrecht für Ausländer, Mandatsbeschränkung und Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre massiv baden.
Auch in der Schweiz finden linke Themen wie mehr Steuern für Reiche, Schließung der Kernkraftwerke, stärkere Auflagen für Klimaschutz bei den „Votationen“ der Bürger keine Mehrheit. Dagegen stimmten die Schweizer für bessere Renten. Obwohl deren Finanzierung ungesichert bleibt.
Gerade linke Eliten vergessen in ihrem Sendungsbewusstsein oft die wirklichen Sorgen der angeblich von ihnen vertretenen „kleinen Leute“. Rauchen und starker Alkohol-Konsum sind sicherlich ungesund. Doch die missionarischen Taxenerhöhungen auf Tabak- oder Alkohol-Produkte treffen hauptsächlich Proleten, für die der Glimmstängel und der Humpen noch immer reizvoll sind. Die ständige Verteuerung des Autofahrens belastet Kleinverdiener mehr als gut situierte Intellektuelle. Für viele Mitbürger ist der eigene Wagen weiterhin ein Statussymbol, ein Instrument der persönlichen Freiheit. Unter den generös bezuschussten Tesla-Besitzern findet man vor allem Reiche, die ihr ökologisches Gewissen durch ein Elektroauto als Zweit- oder Drittwagen dokumentieren. Zwei Drittel aller E-Autos in Luxemburg gehören Firmen.
„Alles op de Vëlo“?
Die LSAP erreicht mit ihrer Kampagne „Alles op de Vëlo“ vielleicht jene Mitbürger, die in den Ferien auf ihren Karbon-Rädern über die Berge kraxeln. Mit Sicherheit nicht die Arbeitnehmer, die sich jeden Tag in überfüllte öffentliche Transportmittel zwängen müssen oder im Stau stehen.
In Luxemburg ist die Soziologie des Landes nicht gerade günstig für eine Partei, die vorgibt, die Arbeiterklasse zu repräsentieren. Der „A“ im Parteinamen der sozialistischen Arbeiterpartei entspricht weder der politischen Praxis der LSAP noch der Klassen-Struktur der Bevölkerung.
Offiziell gibt es keine „Arbeiter“ mehr, nur mehr ein Salariat, repräsentiert durch die „Chambre des salariés“. Als Vertretung aller luxemburgischen und ausländischen Arbeitnehmer, Grenzgänger inklusive. Beamte, seit Bismarck nicht mehr der Arbeiterklasse zugehörend, haben weiterhin ihre eigene, korporatistische Vertretung. Das „Klassen-Bewusstsein“ der Arbeitnehmer, ob Arbeiter oder Angestellte, misst sich an der Wahl-Beteiligung zur Salariats-Kammer: Nur ein Drittel aller Wahlberechtigten gab einen Stimmzettel ab!
Als Oppositionspartei muss die LSAP sich schon Fragen stellen. Wie das Beispiel CSV zeigte, regeneriert man sich nicht automatisch in der Opposition. Die Kongresse der Partei sind zu elektronischen Shows verkommen, mit theatralisch abgestimmten Rede-Einlagen der Ko-Präsidenten. Eine politische Diskussion findet kaum noch statt. Doch genügt es nicht, von sich zu behaupten, man habe hehre Prinzipien. Eine linke Partei muss Antworten formulieren auf die realen Probleme der meisten Mitmenschen. Die vom „Gendern“ und ähnlichen modischen Konzepten nichts halten.
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