natur&ëmwelt / Klimakrise darf wegen Corona nicht vergessen werden
Für die Umweltorganisationen ist es jetzt der richtige Zeitpunkt, sich zu Wort zu melden. Sie befürchten, dass aufgrund der Corona-Krise zwei andere vergessen werden: die Klima- und die Biodiversitätskrise. Beide dauern an. Ein Gespräch mit Mathieu Wittmann (26), zuständig für die politische Arbeit bei der Umweltorganisation „natur&ëmwelt”, über die Chancen nach Corona.
Tageblatt: Zurzeit berät die Regierung darüber, wie die Rettungsgelder für die Wirtschaft an ökologische und nachhaltige Kriterien gebunden werden können. „natur&ëmwelt“ hat einen offenen Brief an den Premier geschrieben.
Mathieu Wittmann: Ja. Energieminister Claude Turmes („déi gréng“) hat gerade bekannt gegeben, dass die Regierung darüber debattieren wird. Diese ökologischen Kriterien und Konditionen müssen kommen. Das ist unserer Meinung nach genau das Richtige. Wir sind in einem Wandel.
Sind wir das? Es wird doch gerade europaweit sehr viel Geld ausgegeben, um die existierende Wirtschaftsform zu stützen…
Vor der Corona-Krise gab es viele Ansätze, um den Wandel zugunsten des Klimas und der Biodiversität zu fördern. Die aktuelle Krise hat aber viele Lobbyisten auf den Plan gerufen, die sagen: „Es ist jetzt nicht der Moment, um Änderungen anzugehen. Das, was wir hatten, ist gut genug.“
Der europäische „Green Deal“ der EU-Kommission will bis 2050 Netto-Treibhausgasneutralität in der EU erreichen. Ist das nicht zu spät?
Das ist schon mal besser als nichts. Es gilt natürlich: Je schneller, desto besser. Aber es wird schwierig, das umzusetzen, wenn nicht konkrete Zwischenetappen formuliert werden.
Was wären denn Zwischenziele?
Intakte Ökosysteme sind die beste Prävention gegen die zahlreichen Folgen des Klimawandels und werden als CO2-Speicher zur Klimaneutralität beitragen können. Der Umbau der Landwirtschaft und ein Umdenken bei der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP) werden ein Riesenberg an Arbeit. Weniger Verkehr ist ein weiteres Zwischenziel.
Bleiben wir beim Verkehr: 200.000 Pendler täglich, wäre da nicht Home-Office eine Alternative? In der Corona-Krise war das kein Thema und wurde schnell umgesetzt.
Dass vieles in der Corona-Krise möglich war, was vorher undenkbar war, ist der springende Punkt. Auf einmal sind Riesensummen da, die bei der Bekämpfung des Klimawandels immer gefehlt haben. Die Politik hat gerade gezeigt, dass sie bei Notfällen schnell handeln kann. Das ist sehr positiv. Genauso wie die Gesellschaft sich schnell solidarisch gezeigt, an einem Strang mit der Politik gezogen und viel bewirkt hat. Das macht Hoffnung.
Sie denken bei der Hoffnung an die „Green Recovery Alliance“, die vier luxemburgische Minister mitunterschrieben haben?
Genau. Darin sprechen sich europaweit Politiker, Umweltverbände, Thinktanks wie Unternehmen dafür aus, das der europäische „Green Deal“ nicht fallen gelassen wird. Die Unterzeichner fordern wie wir, dass die Rettungspakete der Umwelt und dem Klima zugutekommen. Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um das zu tun. Alle Parteien wissen, dass der Klimawandel eine reelle Gefahr ist.
Wissenschaftler reden seit Jahren davon und warnen …
Mich erstaunt, wie unterschiedlich Wissenschaftler wahrgenommen werden. In der Corona-Krise waren sie im Zentrum der medialen Berichterstattung und im Zentrum der Gesellschaft. Ihre Kollegen aus anderen Bereichen reden schon seit Jahrzehnten über die Gefahren des Klimawandels. Das sind auch Wissenschaftler. Leider finden sie wenig Gehör und lösen auch kein Handeln aus wie jetzt bei Corona.
Es haben viele CEOs namhafter Unternehmen den „Alliance“-Appell unterschrieben. Sind „grüne“ Bekenntnisse nicht gerade sehr en vogue?
„Eco-Responsibility“ und „Green“ sind Trendwörter. Aber natürlich bergen solche Bekenntnisse das Risiko, dass es „Green-Washing“ ist. Man muss aufpassen, dass diese Versprechen nicht leer bleiben.
Wenn in Luxemburg die Rettungspakete an ökologische Standards geknüpft werden, wäre das ja eine echte Pionierleistung.
Ganz sicher. Wir haben sowieso nicht den besten ökologischen Fußabdruck. Aber wir wollen ein fortschrittliches Land sein und das sind wir auch. Wenn wir es schaffen, das Rettungsgeld an grüne Kriterien zu binden, ist das ein gutes Signal. Das könnte ein Präzedenzfall sein. Wir müssen das dann aber auch einlösen, sonst bleibt es „Nation Branding“.
„natur&ëmwelt“ liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum „Parc Luxite“, einer Businesszone. Flächenversiegelung für Bürohäuser kann Ihnen nicht gefallen …
Nein. Aber man muss realistisch bleiben. Wir brauchen Industrie und Arbeitsplätze. Aber es ist gut, dass diese Zonen auf drei Zentren im Land konzentriert werden: den Süden rund um Esch, die Hauptstadt und Diekirch. Ja, da werden Flächen versiegelt, aber es gibt in diesem Bereich schon fortschrittliche, ökologische Ansätze.
Viele Menschen haben gerade Angst um ihren Arbeitsplatz.
Das verstehen wir. Wir sind als Umweltorganisation keine Unmenschen. Wir wollen nicht, dass Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Es werden wahrscheinlich Stellen in nicht zukunftsfähigen Branchen wegfallen, aber es werden neue im Bereich Umwelt und Ökologie entstehen. Darauf müssen wir bauen. Wir verpassen ja seit Jahren die Chance, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Wann, wenn nicht jetzt? Mit Abwarten gewinnen wir nichts. Das betrifft vor allem eine lebenswerte Zukunft für uns und die nächsten Generationen.
Wir rufen ein globales Bündnis von parteiübergreifenden politischen Entscheidungsträgern, Wirtschafts- und Finanzführern, Gewerkschaften, NGOs, Thinktankern und Interessenvertretern auf, die Einrichtung von Green-Recovery-Investitionspaketen zu unterstützen und umzusetzen. Diese sollen als Beschleuniger des Übergangs zu Klimaneutralität und zu gesunden Ökosystemen fungieren. Wir verpflichten uns daher zur Zusammenarbeit, zur gemeinsamen Nutzung von Wissen, zum Austausch von Fachwissen und zur Schaffung von Synergien, um die von uns benötigten Investitionsentscheidungen zu treffen.
„Green Recovery Alliance“
Die „Green Recovery Alliance“ ist ein „Suivi“ des Appells von 13 EU-Ländern, darunter Luxemburg, den „Green Deal“ als Basis zu nehmen, um nach Corona die europäische Wirtschaft klimaneutral wiederaufzubauen. Man solle „den Versuchungen kurzfristiger Lösungen als Antwort auf die gegenwärtige Krise widerstehen“, mahnen die Politiker. Auf Initiative des französischen liberalen Europaabgeordneten Pascal Canfin zog das EU-Parlament nach und gründete die „Alliance“. Vonseiten Luxemburgs haben vier luxemburgische Minister sie unterzeichnet: Franz Fayot (LSAP, Wirtschaft), Carole Dieschbourg („déi gréng“, Umwelt), Pierre Gramegna (DP, Finanzen) und Claude Turmes („déi gréng“, Energie). Firmen wie Unilever, Ikea, Volvo, EON oder L’Oréal haben ebenfalls unterschrieben.
Der „Green Deal“ der EU
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will das Ziel der „Klimaneutralität“ bis 2050 in der Europäischen Union gesetzlich festschreiben und hat Anfang März einen Entwurf vorgestellt. Er soll helfen, die Erwärmung der Erde bei einem verträglichen Maß zu stoppen. Der Mechanismus zur Umsetzung sieht vor, dass die EU nach 2030 regelmäßig Zwischenziele nachschärfen kann, und fordert dafür mehr Befugnisse.
Zur Person: Mathieu Wittmann
Der 26-Jährige ist in Waldbredimus aufgewachsen. Er hat einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften an der Universität in Montpellier und in Luxemburg absolviert. Den Master im Fach Interkulturelle Kommunikation hat er an der Uni.lu erworben. Nach Stationen in der Presseabteilung von „Sea Shepherd Global“ und an der luxemburgischen Botschaft bei der UNO in Genf arbeitet er nun seit einem knappen halben Jahr bei der Naturschutzorganisation „natur&ëmwelt“. Er ist dort zuständig für die politische Arbeit.
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Es gibt Prioritäten wenn man vor der Wahl steht wie schnell man stirbt. Auch die Überbevölkerung wurde vor Corona gerne totgeschwiegen.Aber keine Angst ,wenn wir erst eine Impfung gegen Corona haben dann werden Orkane, Tornados und Missernten auch wieder ein Thema.
Aber mit Trumps,Putins oder Bolsonaros wird’s halt schwer.