Präsident der Kommission für Menschenrechte / „Ich hoffe, dass wir schnell dahinkommen, dass Solidarität wieder Vorrang hat“
Gilbert Pregno (68) ist ein Urgestein in der Menschenrechtskommission. Er ist seit der Gründung 1999 Mitglied und seit acht Jahren deren Präsident. Das Wort der Kommission gilt etwas. Als Psychotherapeut betreut er seit Jahrzehnten Familien, Erwachsene, Kinder und Jugendliche. Mit dem Leid von Menschen kenne er sich aus, sagt er über sich. Ein Gespräch zum internationalen Tag der Menschenrechte.
Tageblatt: 21 Jahre nach der Gründung hat die Kommission gerade mehr als genug zu tun, oder?
Gilbert Pregno: Das stimmt. Die Menschenrechte haben mittlerweile einen hohen Stellenwert und wir haben als Aufgabe, sie zu schützen. Gleichzeitig analysieren wir, wo Menschen diskriminiert werden und melden uns dann zu Wort.
Wird inzwischen nur genauer hingeschaut oder gibt es mehr Verletzungen?
Beides. Menschenrechte sind eine Utopie. Aber es ist ein Weg, den wir gehen müssen. Ein zentraler Begriff für die Kommission ist das Zusammenleben in der Gesellschaft. Dafür bieten die Menschenrechte einen guten Rahmen.
Sie sind Familientherapeut und beraten psychologisches Personal. Pflichten Sie dem Ombudsmann für Kinderrechte bei, wenn er sagt, Kinder und Jugendliche leiden gerade sehr?
Ja. Kinder und Jugendliche wurden durch die Pandemie sehr getroffen. Das stellt der letzte Bericht deutlich heraus. Das wiegt umso schwerer, denn alles, was wir für Kinder tun, tun wir für die Zukunft der Gesellschaft.
Dann ist es umso schlimmer, dass Therapien immer noch nicht von der Krankenkasse anerkannt werden …
Das Thema ist alt. Es hat jetzt eine besondere Brisanz bekommen, weil viele Menschen unter der Pandemie leiden.
Bleiben wir beim Zusammenleben. Im letzten „Avis“ der Kommission von Oktober kritisiert sie an den Covid-Regeln der Regierung Grundrechtsverletzungen und befürchtet eine Spaltung der Gesellschaft. Haben wir das jetzt gerade?
Ja. Es hat sich noch mehr polarisiert. Die Kommission hat sich jedoch immer für die Impfung ausgesprochen. Wir haben uns dabei an der Forschung orientiert. Wir sind der Meinung, dass die Impfung der Weg aus der Pandemie ist. Diese Meinung wird nicht von allen geteilt.
Sie sprechen Ungeimpfte an …
Es gehört zu unserer DNA, dass vernünftige Aufklärung Menschen dazu bewegt, sich impfen zu lassen. Das ist aber so nicht eingetreten. Menschen haben Angst, können nicht nachvollziehen, wie Wissenschaft funktioniert und gleichzeitig gibt es ein großes Bedürfnis nach Sicherheit. Totale Sicherheit gibt es aber nicht im Leben. Andererseits beobachte ich bei Ungeimpften so etwas wie Protest gegen Autorität bei gleichzeitigem Verlust der Glaubwürdigkeit der Politik.
Klingt kompliziert …
Ja und das macht mir große Sorgen. Man erwartet von Politikern übermenschliche Fähigkeiten. In der Pandemie ging es um Sichtflug. Es ging darum, permanent Entscheidungen zu treffen, ohne zu wissen, ob das jetzt in die richtige Richtung geht. In der Gesellschaft andererseits hat die Verachtung gegenüber Andersdenkenden zugenommen und das macht unser Zusammenleben zurzeit sehr kompliziert.
Sie sprechen von Verantwortung …
Jeder muss sie tragen. Und wenn das nicht der Fall ist, kommt es dazu, dass die Regierung Entscheidungen treffen muss, die mit Druck verbunden sind. Wir als Kommission vermissen allerdings von Anfang an die wissenschaftliche Begründung dafür durch die Politiker. Wir vermissen konkret die Stimme von kompetenten Virologen, die aus ihrem Fachwissen Argumente beisteuern.
Im letzten „Avis“ hat die Kommission schon eine indirekte Impfpflicht kritisiert. Haben wir sie, wenn das neue Gesetz in Kraft tritt?
Für uns war von Anfang an nicht nachvollziehbar, warum Arbeitgeber nicht wissen dürfen, wer geimpft und wer nicht geimpft ist. Da kommt der Datenschutz ins Spiel. Ich stelle mir die Frage, ob er nicht in einer Situation, wo die kollektive Gesundheit in Gefahr ist, zurückstehen muss. Ob da nicht eine Ausnahme gemacht werden muss. Als Rechtsanwälte für die Freiheit sind wir dafür, dass Freiheiten auf begrenzte Zeit eingeschränkt werden dürfen, wenn es einen übergeordneten kollektiven Wert gibt. Das ist die Gesundheit der Allgemeinheit.
Sie hoffen, dass das der schnellste Weg aus der Pandemie ist?
Wenn wir diese Freiheiten jetzt nicht auf bestimmte Zeit einschränken, gibt es noch viel größere Kollateralschäden als jetzt schon.
Wegen der Pandemie gehen andere Themen unter. Der Bericht der Kommission zum Menschenhandel liegt druckfrisch auf dem Tisch …
Es gibt Fortschritte. Endlich kooperieren die beteiligten Stellen mehr miteinander. Die ITM ist in der Sache sehr viel aktiver als noch vor Jahren. Trotzdem wünschen wir uns mehr Ressourcen bei der Polizei, um den Opfern zu helfen. Mich persönlich hat auch erschrocken, wie niedrig die Strafen für Menschenhandel sind. Das ist nicht abschreckend – weder für die Täter noch für die Opfer.
Sie haben sich gerade erst an einer Diskussion zum Thema „Lieferkettengesetz“ beteiligt. Wie ist die Haltung der Kommission dazu?
Wir sind ganz klar für ein nationales Gesetz. Es kann nicht sein, dass aufgrund ökonomischer Faktoren Menschen Opfer von Menschenrechtsverletzungen werden. Aber es gibt eine ganz starke Lobby im Land aus Wirtschaft und Finanzwelt, die das nicht wollen. Wir sind der Meinung, die Politik muss etwas liefern.
Gehen wir ins Ausland. An der Grenze zwischen Polen und Weißrussland spielen sich dramatische Szenen ab. Ihre persönliche Haltung dazu?
Für mich ist das erschreckend, zumal ich aus einer Migrantenfamilie komme. Wir können nicht die ganze Misere der Welt beenden, aber es muss legale Wege geben, damit diese Menschen zu uns kommen können. Da werden Menschen als Kanonenfutter missbraucht, um Länder zu destabilisieren. Das ist keine Flüchtlingskrise, für mich ist das eine humanitäre Krise.
Das stellt ja die EU auch auf den Prüfstand …
Ja. Es stellt die Frage nach der Macht und der Stärke der EU. Sie gründet ja auf tugendhaftem Gedankengut und jetzt stellt sich heraus, wie schwierig es ist, einen Zusammenhalt zu finden. Wir sind eine Gemeinschaft, die sich auf Werte gründet, die Menschenrechte gehören dazu.
Es scheint irgendwie einfach, Menschenrechtsverletzungen zu begehen …
Dass das passiert, zeigt, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben. Aber es gibt gleichzeitig eine höhere Aufmerksamkeit dafür, Menschenrechtsverletzungen sind sichtbarer. Der Einsatz für Menschenrechte entsteht aus einer Haltung von Solidarität und Gerechtigkeit. Das ist für mich am wichtigsten.
Ist die Solidarität in Gefahr?
Ich bleibe optimistisch, obwohl die „Ichlinge“ in der Mehrheit sind. So hat der deutsche Journalist Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung) den weit verbreiteten Egoismus in unseren Gesellschaften beschrieben. Wenn das Ich das Wichtigste ist, dann habe ich den Bezug zur Gemeinschaft verloren. Dann geht das Zusammenleben den Bach runter. Es fehlt an Verbindendem, an dem, was uns Zusammenleben möglich macht.
Amnesty International hat gerade den traditionellen Fackelzug abgesagt, um Radikalen keine Bühne zu geben.
Diese radikalisierten Teile sind eine Minderheit. Das Interesse an Menschenrechten bleibt trotzdem groß. Wir, denen an den Menschenrechten gelegen ist, werden weiterkämpfen – mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.
Wenn Sie träumen dürften: Sie haben einen Wunsch frei.
Ich möchte so schnell wie möglich aus der Pandemie heraus. Am Anfang dachte ich, wir werden als Gesellschaft gestärkt daraus hervorgehen. Danach sieht es momentan nicht aus, aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben. Ich hoffe, dass wir schnell dahinkommen, dass Solidarität wieder Vorrang hat.
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