Deutschland / Kommt die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit zu kurz?
Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser wird dafür kritisiert, ihren Integrationsauftrag gegenüber Muslimen in Deutschland zu vernachlässigen. Experten warnen: Die Erfahrung von Diskriminierung kann Radikalisierung begünstigen.
Der Kampf gegen radikalen Islamismus steht weit oben auf der Agenda der deutschen Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Das haben jüngst das Verbot gegen das als islamistisch eingestufte Islamische Zentrum Hamburg gezeigt oder Faesers Einsatz dafür, islamistische Gefährder und Straftäter nach Afghanistan und Syrien abzuschieben. Aber tut die Innenministerin auch genug gegen Islamophobie und die Diskriminierung von Muslimen in Deutschland?
Wenn es nach dem Kommunikations- und Politikwissenschaftler Kai Hafez von der Universität Erfurt geht, der zum Islam im Westen forscht, dann ist die Antwort ganz klar: Nein. „Die Innenministerin verweigert ihre Fürsorgepflicht, die sie gegenüber den vier bis fünf Millionen Musliminnen und Muslimen in Deutschland hat“, sagte Hafez unserer Redaktion. „Das ist ein beträchtlicher Teil der in Deutschland lebenden Bevölkerung, häufig sind es auch deutsche Staatsbürger. Sie werden vom Innenministerium im Regen stehen gelassen.“ Dabei gebe es eine verbreitete Stigmatisierung, der Islam werde meist nur mit negativen Themen verknüpft und die Interessen der Musliminnen und Muslimen vernachlässigt, so Hafez.
Mehr noch: Häufig kommt es zu Angriffen, Beleidigungen oder Sachbeschädigung. Im vergangenen Jahr haben sich durchschnittlich pro Tag mehr als fünf antimuslimische Vorfälle in Deutschland ereignet, wie das Ende Juni vorgestellte Lagebild der Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit zeigt. Die zivilgesellschaftliche Allianz, die von der deutschen Regierung gefördert wird, zählte 1.926 antimuslimische Vorfälle in 2023. Das Bundeskriminalamt hat für 2023 insgesamt 1.464 Straftaten mit islamfeindlichem Hintergrund erfasst, was 140 Prozent mehr ist als im Vorjahr (2022: 610), wie aus den Fallzahlen zu politisch motivierter Kriminalität hervorgeht.
„Innenministerin Faeser bemüht sich momentan sichtlich darum, sowohl gegen den Islamismus als auch gegen den Rechtsextremismus stark aufzutreten und radikale Spitzen zu verbieten“, sagte Kommunikationswissenschaftler Hafez. „Repressive Maßnahmen sind in Ordnung, wenn auf der anderen Seite betroffene Minderheiten, in diesem Fall die Musliminnen und Muslime in Deutschland, geschützt werden. Doch hier sehe ich keinerlei Ansätze im Innenministerium.“
Keine Unterredung mit Experten
Beim Verbot des Islamischen Zentrums Hamburg am 24. Juli betonte Faeser, man handle nicht gegen eine Religion. „Wir unterscheiden klar zwischen Islamisten, gegen die wir hart vorgehen, und den vielen Musliminnen und Muslimen, die zu unserem Land gehören und ihren Glauben leben“, sagte die SPD-Politikerin. Die friedliche schiitische Glaubens- und Religionsausübung sei „ausdrücklich nicht von unserem Verbot berührt“.
Dennoch, aus Hafez’ Sicht kommt der Einsatz gegen die Diskriminierung von Muslimen in Deutschland bei Faeser zu kurz. Er gehört dem Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit (UEM) an, der unter dem Eindruck des rassistischen Anschlags von Hanau im Februar 2020 von Faesers Vorgänger Horst Seehofer (CSU) ins Leben gerufen wurde. Vor mehr als einem Jahr, im Juni 2023, legten die insgesamt neun Mitglieder des Expertenkreises ihren Abschlussbericht vor. Hafez kritisiert: „Frau Faeser verweigert seit einem Jahr jedes Gespräch über die vielen Handlungsempfehlungen, die der Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit erarbeitet hat. Das ist absolut enttäuschend.“
Die Experten plädieren in ihrem 400-Seiten-Bericht etwa dafür, Muslimfeindlichkeit und Rassismus stärker zusammenzudenken und die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit breiter in der Demokratiebildung zu verankern. Sie fordern unter anderem bessere Melde- und Beratungsstellen, eine verbindliche Auseinandersetzung mit Muslimfeindlichkeit in Schulen sowie rassismuskritische Fort- und Weiterbildungen in allen staatlichen Einrichtungen.
Hafez nennt einen weiteren Grund, der die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit dringlich macht: „Aus der Forschung wissen wir, dass Radikalisierung im Bereich des Islamismus viel mit Diskriminierungserfahrung zu tun hat.“ Gerade bei jungen Menschen sei die Diskriminierungswahrnehmung Teil einer Radikalisierung. „Wer etwas gegen islamistische Radikalisierung tun will, der sollte der Islamophobie in diesem Land vorbeugen“, sagt der Wissenschaftler. Doch dieser Zusammenhang werde bislang politisch vernachlässigt.
Aus dem deutschen Innenministerium (BMI) heißt es auf Nachfrage, der Bericht des UEM sei „ein zentraler Baustein, um muslimisches Leben in Deutschland sichtbar zu machen und zu schützen“. Welche Erkenntnisse und Strategien zur Prävention und Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit aus dem Bericht gezogen werden könnten, „diskutieren wir als BMI in und außerhalb der Deutschen Islam-Konferenz mit Betroffenen und Expertinnen und Experten“, so ein Ministeriumssprecher, und weiter: „Die Förderung von Projekten in diesem Bereich bauen wir aus, zum Beispiel um muslimfeindliche Übergriffe auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle besser erfassen zu können.“
Dabei sind die unabhängigen Experten nicht die Einzigen, die Handlungsbedarf sehen. „Antimuslimischer Rassismus ist eine alltägliche Realität in Deutschland und ist in den vergangenen Monaten noch einmal stark angestiegen. Das müssen wir ernst nehmen und entsprechend handeln“, sagt die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Lamya Kaddor, unserer Redaktion. „Politisch wünsche ich mir mehr Engagement und Geschlossenheit bei dem Thema“, betont die Grünen-Politikerin.
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