Gesellschaft / Kommunikation: Der gute Ton macht es
Kommunikation ist eine Wissenschaft für sich. In Gesprächen zwischen Menschen entstehen oft Missverständnisse, Konflikte oder gar Zerwürfnisse. Gerade nach diesem Jahr mit Angst vor Ansteckung, Quarantäne und Ausgangsbeschränkungen gilt es beim bevorstehenden Fest der Familie umso mehr, den richtigen Ton zu treffen. Ein Gespräch mit Jutta Gansemer (58), der Direktorin der „Erzéiongs- a Familljeberodung“.
Tageblatt: Wann brauche ich im Alltag die Hilfe der Erziehungs- und Familienberatung?
Jutta Gansemer: Das ist ganz verschieden. Viele kommen hierher, wenn es Brüche im Familienleben gibt oder die Familie als solche in einer Krisensituation ist. Mobbing, Suizidgedanken bei Kindern, Schulschwierigkeiten und Gewalt in der Familie oder einfach Unsicherheiten in Erziehungsfragen.
Gibt es eine häufig wiederkehrende Krisensituation?
Ja, Scheidungen. Damit haben wir regelmäßig zu tun. Eltern sorgen sich darum, wie sie sich nach einer Trennung organisieren können, damit die Kinder nicht zu sehr leiden. In anderen Fällen ist der Kontakt zu einem Elternteil nach der Scheidung schwierig oder ganz unterbrochen geworden.
Weihnachten ist das Fest der Familie. Nach der ersten Euphorie unter dem Baum kommt es aber oft zum Krach. Muss das so sein?
Niemand will das und es muss nicht so sein. Es ist wichtig, vorher abzuklären, wie sich die Beteiligten denn das Fest vorstellen. Jeder hat andere Erwartungen – gerade in diesem Jahr.
Verschärft Corona Krisen in der Familie?
Nicht unbedingt. Es gibt Familien, in denen es während des ersten Lockdowns besser gelaufen ist. Sie hatten mehr Zeit füreinander. Viele Konflikte entstehen dadurch, dass das im normalen Alltag fehlt. Es fehlt die Zuwendung und die Möglichkeit, sich einzufühlen. Das Bedürfnis, gesehen und als Person wahrgenommen zu werden, haben alle Menschen.
Und was ist mit denen, denen es zu „eng“ war?
Das Gefühl, eingesperrt zu sein, hat Konflikte produziert. Das haben wir in der Beratung gemerkt. Der Lockdown war keine eigene Entscheidung. Man hatte nicht die Wahl, und das hat Druck erzeugt.
Der Mensch hat das Mittel der Worte, um Konflikte zu lösen. Wie wichtig sind sie?
Worte können eine große Macht haben. Aber die Stimmung und die Situation, in der miteinander geredet wird, ist genauso wichtig. Und die Tonlage. Ist sie eher auf Streit ausgerichtet oder auf Kooperation? Das beeinflusst sehr, wie ein Gespräch verläuft.
Kommunikationsexperten wie Paul Watzlawick sagen, man kann nicht nicht kommunizieren. Was meint er damit?
Da sind wir wieder bei den Worten. Man spricht auch mit dem Körper. Nonverbal.
Gibt es die „richtige“ Kommunikation in der Familie?
Wichtig finde ich, dass die Kommunikation respektvoll und gewaltfrei ist.
Was ist denn eine gewalttätige Kommunikation?
Wenn ich jemanden anschreie oder ihn nicht zu Wort kommen lasse. Oder wenn der Gesprächspartner – egal ob Erwachsener oder Kind – beleidigt oder erniedrigt wird. „Du kannst sowieso nichts“, ist ein Beispiel. Anerkennung in Form von „Du bist mir wichtig, mit dem, was du sagst“, führt viel eher in eine gewaltfreie Kommunikation.
Der Klassiker bei Paaren ist: „Du hilfst zu Hause zu wenig.“ Warum führen Aussagen wie diese meist ins Leere?
Das ist ein Vorwurf, der den anderen angreift. „Ich wünsche mir von dir, dass du mich mehr unterstützt“, das klingt ganz anders. Es geht um den nächsten Schritt und nicht gleich um alles. Bei sich zu bleiben, ist ein viel besserer Weg, eine Veränderung herbeizuführen. Das appelliert an die Empathie des Gegenübers, an sein Mitgefühl.
Warum kommen elterliche Botschaften wie „Räum deine Autos in die Kiste“ bei Kindern besser an wie „Räum dein Zimmer auf“?
Es ist nicht direkt das ganze Zimmer, sondern es geht um einen kleinen Teil. Und es ist konkret und vorhersehbarer für die Kinder. Die Kiste können sie einschätzen, das Zimmer nicht – je nach Alter natürlich.
Wenn der Beifahrer sagt, die Ampel sei grün, was sagt er dem Fahrer neben dem sachlichen Fakt noch?
Das ist ein Appell, da schwingt die Botschaft „Du kannst jetzt losfahren“ mit.
Viele Fahrer nehmen das aber nicht so locker und hören ganz andere Sachen heraus …
Das kommt auf die Beziehung der beiden Autoinsassen an. Das kann heißen: „Ich pass mit auf, weil ich will, dass wir gut ankommen.“ Es kann aber auch heißen, dass man in Eile ist. Oder dass der Fahrer einem zu abgelenkt ist, obwohl der vielleicht gerade nur in den Rückspiegel geschaut hat. Deswegen ist es wichtig, noch mal zu fragen, wie die andere Person das Gesagte gemeint hat, bevor man die Aussage interpretiert und es zu Missverständnissen kommt.
Verändert uns die Onlinekommunikation?
In der Beratung machen wir unterschiedliche Erfahrungen damit. Bei ehemaligen Paaren, die sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr riechen können, ist eine Videokonferenz durchaus hilfreich. In anderen Fällen kann es schwierig oder schlicht nicht möglich sein, online zu beraten. Das ist aber in alltäglichen Situationen ähnlich. Man lernt sich online kennen, sieht sich vielleicht sogar über die Kamera und findet eine Gesprächsebene. Die erste persönliche Begegnung kann dann aber dazu führen, dass man den Kontakt dann doch nicht weiter vertiefen will.
Zur Person
Jutta Gansemer (58) ist in Saarburg (Rheinland-Pfalz) geboren und hat in Trier studiert. Die Diplom-Pädagogin leitet seit 23 Jahren die „Erzéiongs- a Familljeberodung“ in Luxemburg. Die Beratungsstelle zählt 17 Mitarbeiter. Viele Familientherapien, Beratungen und therapeutische Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und Familien werden übernommen. Je nach Einkommen kann eine Kostenbeteiligung, die im Höchstfall zwölf Euro beträgt, fällig werden. Internetseite: afp-solidarite-famille.lu, Telefonnummer: 46 00 04-1, E-Mail: info@afp-solidarite-famille.lu.
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Und was ist der Grund für die generell zunehmende Aggressivität, die man überall feststellen kann ? Stress, Frust, Angst, Sprachlosigkeit, Mangel an Respekt , Arroganz, Dummheit….?
Vielleicht ist durch den Lockdown die Toleranzschwelle eher stark gesunken?
@de Schmatt: „ Wenn et dem Iesel ze wuel get, geet hien op d‘Ais danzen.“ Sie entschuldigen eine Spaß-,Konsumgesellschaft die wie die Maden im Speck leben und die Politik, Wirtschaft, Kultur unterstützt diesen Wahnsinn. Wer alles hat, wird unzufrieden und ist auf der Suche nach immer neuerem Adrenalinschub.
Ich fand sehr bereichernde Infos und werde zeitnah Kontakt aufnehmen
Danke und ein gesundes u lichtreiches Restjahr 2020
MfG
K.Berwind
@J.Scholer. Wenn Sie mit „Sie“ mich meinen, liegen Sie total falsch. Ich entschuldige die Spass-und Konsumgesellschaft nicht, ich prangere ihr Verhalten an.