Großbritannien / Konservative versprechen Steuersenkungen sowie Einsparungen im Sozialsektor
Gut drei Wochen vor der britischen Unterhauswahl scheint die Konservativen der Mut zu verlassen. Die Anzeigenkampagne der Regierungspartei konzentriert sich neuerdings darauf, die Briten vor einer „massiven Mehrheit“ für die oppositionelle Labour-Party zu warnen.
Bei der Vorstellung des Wahlprogramms räumte Premierminister Rishi Sunak am Dienstag die schwierige Ausgangslage ein: „Die Leute sind frustriert von unserer Partei und von mir persönlich.“ Schauplatz der festlichen Präsentation des 76-seitigen Dokuments („Klarer Plan, mutiges Vorgehen, sichere Zukunft“) war die Rennstrecke von Silverstone, wo im kommenden Monat der britische Grand Prix steigt. In der Region Northampton sind sieben der zehn Formel-1-Ställe beheimatet, die hochspezialisierte Branche beschäftigt 25.000 Menschen, worauf Sunak stolz hinwies.
In seinem eigenen Rennen um die Wählergunst liegt der glücklose Premier freilich beinahe aussichtslos zurück: Kontinuierlich sehen die Umfragen Labour unter Keir Starmer bei rund 45 Prozent und damit um gut 20 Punkte vor den Torys (23). Bei den Buchmachern gilt ein konservativer Wahlsieg als ähnlich wahrscheinlich wie der Sieg Österreichs bei der Fußball-Europameisterschaft.
Zudem arbeitet das eigene Team nicht reibungslos zusammen. Zuletzt warf die gefeuerte Ex-Innenministerin Suella Braverman eine Stinkbombe in Richtung Parteiführung, indem sie den Nationalpopulisten Nigel Farage als „guten Konservativen“ pries und dessen Aufnahme befürwortete. Dabei hat der 60-Jährige seiner weit rechts stehenden Reform-Bewegung (Mehrheitseigner ist Farage selbst) neues Leben eingehaucht und die „Zerstörung“ der Torys zu seinem vornehmsten Wahlziel ernannt.
Mehrheit erwartet Steuererhöhungen
Sunak selbst stellte sich vergangene Woche selbst ein Bein, indem er den internationalen Teil des Gedenkens an die alliierte Invasion der Normandie vor 80 Jahren schwänzte und dadurch ein Stelldichein mit den Präsidenten Joe Biden (USA) und Emmanuel Macron (Frankreich) sowie dem deutschen Kanzler Olaf Scholz verpasste. Das sei, beeilten sich innerparteiliche Rivalinnen wie Penelope Mordaunt mitzuteilen, „ein schwerer Fehler“ und „total falsch“ gewesen. Der solcherart Abgewatschte musste im BBC-Interview zu Wochenbeginn bei den Bürgern demütig um „Vergebung“ bitten.
Im Wahlprogramm loben sich die Konservativen für die zuletzt positiven Wirtschaftsdaten, ohne allerdings darauf Bezug zu nehmen, dass sie unter den Chaos-Premiers Boris Johnson und Liz Truss die Volkswirtschaft beinahe vor die Wand gefahren hätten. Der Firma Ipsos zufolge halten 70 Prozent der Briten die Wirtschaftslage für schlecht, eine Mehrheit erwartet Steuererhöhungen, egal unter welcher Regierung.
Hingegen versprach Sunak sowohl jungen Familien als auch Freiberuflern für die kommende Legislaturperiode die Senkung von Steuern und Abgaben. Im Mittelpunkt steht dabei die Rentenversicherung. Dennoch würden, so die ausdrückliche Beteuerung, Pensionisten auch in Zukunft inflationssichere Zahlungen erhalten. Erreichen wollen die Torys dies mit brutalen Einsparungen bei der Sozial- und Arbeitslosenhilfe; den seit der Covid-Pandemie zu Hunderttausenden in der Erwerbslosigkeit verharrenden Bürgern würden mehr Anreize zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt geboten werden, stellte Sunak in Aussicht. Anders als noch zu Jahresbeginn 2023 stellte der Premier nicht ausdrücklich die Senkung der Wartezeiten im Nationalen Gesundheitswesen NHS in Aussicht, kündigte aber weitere Investitionen an.
Warnung vor Labour-Erdrutschsieg
In seiner Reaktion machte sich Labour-Chef Starmer nicht nur über den Kontrahenten lustig; der Oppositionsführer nutzte die Gelegenheit auch gleich dazu, das Land an die fundamentale Neuorientierung seiner Partei zu erinnern. Die Konservativen hätten ein Wahlprogramm „im Stile Jeremy Corbyns“, seines Vorgängers im Parteivorsitz, vorgelegt: große Versprechungen mit Milliardenausgaben ohne Gegenfinanzierung. Dabei hatte Starmer bei der vergangenen Wahl 2019 noch für Corbyn als zukünftigen Premierminister Großbritanniens geworben. Diesmal muss der 75-Jährige nach seinem Rauswurf aus der alten Arbeiterpartei als Unabhängiger antreten.
Hatten die Torys jahrelang das Schreckgespenst des Linksaußen beschworen, richten sie jetzt ihre Angriffe auf Starmer selbst. In den sozialen Netzwerken schalteten sie übers Wochenende einer Analyse der Financial Times zufolge Anzeigen im Wert von umgerechnet 14.250 Euro. Einziger Tenor: die Warnung vor einem Labour-Erdrutschsieg. Eine Stimme für Farages Reform oder die Liberaldemokraten statt für die Konservativen werde Oppositionsführer Starmer einen „Blankoscheck“ ausstellen und ihm massive Steuererhöhungen ermöglichen, so die Mitteilungen auf Facebook und Instagram.
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