Luxemburger Experte Dr. Armand Clesse / „Krieg ist immer ein Versagen der Diplomatie“
Seit mehr als zwei Wochen tobt Russlands Angriffskrieg in der Ukraine. Der Westen hilft, meidet aber einen direkten Konflikt – auch aus Furcht vor einem Nuklearkrieg. Das Tageblatt hat mit dem langjährigen Direktor des Luxembourg Institute for European and International Studies und einst weltweit anerkannten Experten Dr. Armand Clesse über die nukleare Gefahr, Aufrüstung und Diplomatie gesprochen.
Tageblatt: Sie gehören seit Ewigkeiten zu den internationalen Experten zum Thema Atomkonflikt. Warum fasziniert sie das Thema so sehr?
Dr. Armand Clesse: In den 1970er Jahren habe ich an internationalen Studien teilgenommen, die die theoretischen Auswirkungen einer Atombombenexplosion im Norden Deutschlands untersucht haben. Es war erschreckend, was eine „kleine“ Nuklearbombe an Schaden anrichten könnte. Das hat mich damals sehr geprägt: Es wurde zu einer Art Besessenheit. Vor allem mit der Frage: Was können wir tun, um diese Gefahr unter Kontrolle zu halten? Denn aus der Welt schaffen kann man sie nicht. Menschen, die an eine Abrüstung bis zum kompletten Abbau nuklearer Waffen glauben, sind naiv. Sie haben absolut keine Ahnung von der Materie oder von internationaler Politik. Schon allein eine unbedachte Reduzierung des nuklearen Arsenals kann auf dem internationalen Parkett zur Destabilisierung der Lage führen.
Eine Welt mit weniger Nuklearwaffen ist also unsicherer?
Es ist schwer, die Logik der nuklearen Bedrohung mit dem gesunden Menschenverstand nachzuvollziehen. Mehr Waffen können unter Umständen, so abstrus es auch erscheint, besser für die Stabilität sein. Denn so ist die Zweitschlagskapazität gesichert. Also, je mehr und bessere Waffen man besitzt – an verschiedenen Stellen verteilt –, desto wahrscheinlicher ist es, sollte man den ersten Angriff überleben, dass man vernichtend zurückschlägt. Und deswegen dann gar nicht erst angegriffen wird. Wenn gedankenlos abgerüstet wird, verschwindet dementsprechend die Stabilität. Nun sind Gegner eher versucht, auf den Knopf zu drücken, wenn sie wissen, sie können die Waffenarsenale bei einem ersten Angriff zerstören und ohne große Schäden davonkommen.
Atombomben für jeden also?
Es gibt natürlich Theoretiker, wie etwa John J. Mearsheimer von der Universität Chicago*, die diese These vertreten: Je mehr Länder die Atombombe besitzen, desto mehr Stabilität gibt es. Ich glaube das aber nicht.
Viele Experten warnen, dass der Ukraine-Krieg leicht in einen dritten Weltkrieg mit Einsatz von Nuklearwaffen münden könnte.
Ja, die Situation ist bedrohlich. Ich habe mich gewundert, dass wir die letzten Jahrzehnte immer mit einem blauen Auge davongekommen sind. Nicht unbedingt wegen Nordkorea, sondern eher wegen Konflikten anderer Nuklearmächte. Wie zwischen Indien und Pakistan. Da hätte es ausgereicht, dass eine Nation aufgrund eines Fehlalarms gedacht hätte, unter Beschuss zu sein und auf den Knopf gedrückt hätte. Dann hätten wir den ersten nuklearen Krieg gehabt. Doch das ist glücklicherweise nie passiert.
Bisher waren Kriege auch immer sehr weit weg. Jetzt haben wir einen vor der eigenen Haustür – in den aktuell eine militärische Supermacht verwickelt ist. Und die NATO kann noch so oft sagen, dass sie sich heraushält: Sie kann trotzdem in den Krieg verwickelt werden. Man darf jetzt nicht leichtfertig handeln.
Insbesondere wenn die Distanzen, wie aktuell zwischen der EU und Russland, so gering sind. Die Zeit zwischen einer Vorwarnung und dem tatsächlichen Angriff wäre sehr, sehr kurz. Das erhöht die Nervosität. Das Gefährliche ist auch, dass sich eine Spirale der nuklearen Gewalt bildet. Also etwa im Kampfgeschehen immer brutalere Waffen eingesetzt werden und es sich schnell bis zum nuklearen, interkontinentalen Krieg hochschaukelt.
Dazu kommt: Über Hiroshima und Nagasaki wurden relativ „kleine“ Atombomben abgeworfen. Die kann man nicht mit der nuklearen Sprengkraft von heutigen Bomben, wie sie die USA und Russland besitzen, vergleichen. Sie haben eine bis zu 4.000-fach höhere Zerstörungskraft. Auf eine einzige landgestützte ballistische Rakete können bis zu 15 Sprengköpfe aufgesetzt werden, die unabhängig voneinander ihre Ziele treffen werden. Das ist unglaublich. Ein einziger dieser 15 Sprengköpfe hat das Potenzial, eine Großstadt wie London oder Paris komplett zu zerstören.
Handelt der Westen aktuell leichtfertig?
Ja. Wir haben wohl vergessen, was ein nuklearer Angriff wirklich bedeutet. Es ist höchst gefährlich, wie der Westen aktuell mit der atomaren Bedrohung umgeht. Zum Beispiel Polen: Es schlägt den USA vor, der Ukraine MiG-29 Fighter-Jets über die Militärbasis in Ramstein zu liefern. Was das auslösen könnte! Russland könnte so etwa provoziert werden, diesen Standort mit Nuklearwaffen zu bombardieren – und wir hätten den so gefürchteten Nuklearkrieg. Aber auch die Forderung der Ukraine an die NATO, eine No-Fly-Zone einzurichten, hat enorm gefährliches Konfliktpotenzial. Denn das wäre eine indirekte Kriegserklärung. Russische Flugzeuge dürften dann nicht mehr über diese Zone fliegen. Tun sie es dennoch, müsste die NATO sie abschießen – und wir hätten den Krieg zwischen der NATO und Russland. Dann könnte auch die Schwelle zum Nuklearkrieg schnell überschritten werden.
Doch im Pentagon scheinen Entscheidungsträger zu sitzen, die genug Weitsicht besitzen, solche Schritte zu vermeiden. Zumindest bisher.
Können wir also von Glück sprechen, dass nicht Donald Trump derzeit Präsident der USA ist?
Ich glaube nicht, dass es einen Unterschied machen würde, ob wir Biden oder Trump im Amt des US-Präsidenten haben. Doch es gibt Personen, vor allem in der Republikanischen Partei, die ich als höchst gefährlich einschätze.
Dazu kommt: Die USA haben im vergangenen Jahr beim überhasteten Rückzug aus Afghanistan das Gesicht verloren. Das dürfen wir nicht vergessen. Das könnte sie dazu verleiten, nun härter vorzugehen. Sie wollen sich nicht vorwerfen lassen, die Ukrainer so im Stich zu lassen wie die Afghanen.
Aber die USA drohen ja nicht mit dem Einsatz von Nuklearwaffen.
Es gibt große strategische Unterschiede im Umgang mit nuklearen Waffen zwischen Russland und den USA. Die Amerikaner haben sich lange auf eine reine Abschreckungswirkung verlassen. Dann rief US-Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren die „Strategic Defense Initiative“ (SDI) ins Leben. Ziel war ein Aufbau eines Abwehrschirms gegen Interkontinentalraketen: Nukleare Angriffe vonseiten der damaligen Sowjetunion könnten so also „in der Luft“ abgewehrt werden. Doch dieses Konzept ist lächerlich, sogar mit der Technik von heute. Es ist, als würde man versuchen, mit einer Flinte eine Kugel zu treffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das klappt, ist sehr gering. Sogar wenn das System zu 90 oder 95 Prozent effektiv wäre, wäre der Schaden fatal, weil die Waffen einfach zu zerstörerisch sind. Das nannte man früher, etwas polemisch, „Nuclear Overkill“, also die Fähigkeit, ein Land und eigentlich die ganze Welt nuklear mehrfach zu zerstören.
Die Russen haben das damals als Provokation verstanden. Sie gingen davon aus, die USA wollten eine „Erstschlagkapazität“ aufbauen, um also Russland vernichten zu können, ohne einen katastrophalen Gegenschlag fürchten zu müssen.
Hat der Westen Putin unterschätzt?
Es wird ja alles Mögliche gesagt über den psychischen Zustand von Putin. Er sei ein Psychopath, er sei paranoid usw. Das verstehe ich nicht. Der Krieg ist natürlich von einem humanitären und völkerrechtlichen Punkt zu verurteilen, keine Frage. Doch aus einer objektiven Analyse: Putin und die russische Regierung halten sich bislang ziemlich zurück. Im Vergleich mit anderen Kriegen, wie etwa den beiden amerikanischen Kriegen gegen den Irak, wo es zu Hunderttausenden ziviler Opfer kam, die einfach in Kauf genommen wurden. Das kann sich natürlich noch ändern. Russland hätte rein militärisch betrachtet die Möglichkeit gehabt, diesen Krieg sehr schnell zu gewinnen und auch Kiew mit äußerster Brutalität zu erobern. Doch dann wäre es zu gewaltigen Zerstörungen und dem Verlust von zahlreichen Menschenleben gekommen. Das ist aber, wie gesagt, bisher nicht eingetreten. Das sollten wir in der allgemeinen Wut und Hysterie nicht vergessen.
Manche schreiben ja auch der EU und der NATO einen Teil der Schuld an diesem Krieg zu. Wie sehen Sie das?
Die NATO hat sich ohne Rücksicht auf diplomatische, politische oder psychologische Verluste ausgedehnt. Immer näher an die Grenzen von Russland. Man musste davon ausgehen, dass, wenn jemand an der Macht ist wie Wladimir Putin, er sich das irgendwann nicht bieten lassen würde. Es gab ausreichend Warnungen. Zwar wurde die Ukraine nicht in die NATO aufgenommen, doch es lag immer in der Luft. Russland hat sich dadurch immer weiter umzingelt gefühlt. Nun kann man entgegnen: Die NATO ist doch ein gemeinsames Verteidigungs-Bündnis, kein Angriffsbündnis. Aber das wird aus russischer Sicht ganz anders empfunden. Wir haben auf westlicher Seite nicht berücksichtigt, wie der Druck wuchs.
Gibt es denn einen diplomatischen Ausweg?
Während des Kalten Krieges wurde immer wieder das Bild bemüht von zwei Skorpionen, die zusammen in einer Flasche gefangen sind. Sie müssen sich beide zurückhalten, wenn sie überleben wollen. Das gilt auch heute. Wenn ich Äußerungen höre, wie etwa jene von Bruno Le Maire: „Wir müssen Russland in den Ruin treiben“, finde ich das extrem gefährlich. Wir dürfen Russland nicht in die Ecke drängen. Ein angeschossener, verzweifelter Akteur, der keinen Ausweg mehr sieht, kann sich sagen: Wenn ich sterben muss, dann nehme ich so viele meiner Gegner wie möglich mit. Das darf hier nicht passieren! Wenn unsere Diplomaten klug sind, dann müssen sie Russland einen Ausweg lassen. Und zwar so, dass Putin und Russland das Gesicht nicht verlieren.
Krieg ist immer ein Versagen der Diplomatie. Nun muss man versuchen, den Konflikt in Grenzen zu halten und eine gemeinsame Lösung zu finden. Kriege beenden ist eine Wissenschaft für sich. Das ist nicht einfach und ist es auch nie gewesen.
Eigentlich sollten Bündnisse wie die NATO und Institutionen wie die Vereinten Nationen (UNO) und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) dafür sorgen, dass es nie wieder zu Krieg in Europa kommt.
Es ist erschreckend zu sehen, wie das, was wir über lange Jahre mit vielen Verhandlungen erreicht haben, mit einem Schlag zusammenbricht. Wenn ich erlebe, welch lächerliche Figur etwa die Europäische Kommission abgibt, dann ist das beschämend. Die UNO ist komplett ohnmächtig in dieser Situation und sowieso eine Schön-Wetter-Institution. Hilfreich ist sie sicher nicht. Auch die OSZE spielt ja im Moment überhaupt keine Rolle.
Die EU rüstet auf, wir liefern Waffen an die Ukraine. Tun wir damit das Richtige?
Die Waffenlieferungen an die Ukraine sind kompliziert. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir damit eine Eskalation des Konflikts fördern. Der Krieg könnte dadurch verlängert oder intensiviert werden. Das wäre kontraproduktiv. Natürlich versteht man die Geste und den Willen, der Ukraine zu helfen. Doch je besser sie sich verteidigt, umso vehementer reagiert die Gegenseite. Wir müssen da komplexer denken, mit einem kühlen Kopf, ohne vorgefasste Meinungen an die Konfliktlösung herangehen. Wir haben in Europa vergessen, wie Kriege eine ganz eigene Dynamik entwickeln.
Welche Rolle kann Luxemburg spielen?
Luxemburg sollte sich viel mehr zurückhalten. Wir spielen international sowieso kaum eine Rolle. Vielleicht können wir im Hintergrund, diskret und bescheiden, bei der Vermittlung zwischen den Parteien etwas helfen. Nicht in der Presse oder in Talkshows. Doch wir sollten es nicht an die große Glocke hängen.
Auch militärisch spielen wir keine nenneswerte Rolle. Doch aufgrund z.B. unserer Satelliteneinrichtungen könnten wir zu einem Angriffsziel werden. Aber darüber wollen wir lieber nicht nachdenken.
*Anmerkung der Redaktion: Mearsheimer hat die Ansicht vertreten, dass die Ukraine sich nur mit nuklearen Waffen gegen Russland verteidigen kann und somit die Stabilität in Europa erhalten bliebe. Besonders ein Video wird in den sozialen Medien immer wieder geteilt und als Russland-Fanboytum verunglimpft. Russische Propagandisten, aber auch Verbündete wie China argumentieren nämlich ähnlich wie Mearsheimer, der jedoch lediglich die Entstehung erklärt, aber in keiner Weise den Angriffskrieg Russlands rechtfertigt.
Zur Person
Der Luxemburger Dr. Armand Clesse gilt als einer der führenden Experten für atomare Bedrohung durch internationale Konflikte. Der gebürtige Eschdorfer hat unter anderem an den Universitäten in Bonn, Paris, London, Brugge und Genf studiert. Seine Doktorarbeit schrieb er am European University Institute in Florenz. Sie trägt den Titel: „The European Defense Community (1950 to 1954): evolution of
the project at the diplomatic level and attitudes of the main national actors“. 1982 erhält er dafür seinen Doktortitel. Er hat weltweit Vorträge zu Aspekten der internationalen Beziehungen gehalten und hatte ein NATO Research Fellowship. Von 1986 bis 1994 ist er Berater des damaligen Premierministers Jacques Santer (CSV) und des jüngst verstorbenen Außenministers Jacques Poos (LSAP). Er vertritt Luxemburg 1986 bei einer Taskforce zur „Strategic Defense Initiative“ in Europa. Im Oktober 1990 gründet er in Luxemburg das „Luxembourg Institute for European and International Studies“ (LIEIS) und übernimmt die Leitung bis zu dessen Stilllegung (aber nicht Auflösung) 2014. Clesse selbst gibt als Grund die fehlende politische Unterstützung und das immer knappere Budget an. Während dieser Zeit engagiert sich Clesse immer stärker für den Frieden, äußert seine Meinung lautstark. Er gibt gegenüber dem Tageblatt zu, viele seiner früheren Positionen überdacht zu haben. Clesse wurde zeitweise zur nationalen Kultfigur und trug im „Feierkrop“ den Spitznamen „Armement Clesse“. Der heute 72-Jährige bezeichnet sich aber selbst als „Anarchist“. Dem Bereich „Internationale Beziehungen“ will er nun den Rücken kehren, die Quasi-Deaktivierung des LIEIS schmerzt den Luxemburger Intellektuellen immer noch. Er schreibt zurzeit an Büchern über Ethik und Philosophie. „Um etwas von meinen Ideen zu hinterlassen.“
- „Nach all dem was passiert ist, ist man verunsichert“ - 15. November 2024.
- Bei den Wahlen in den USA ist das Chaos vorprogrammiert - 2. November 2024.
- Rechte für Menschen mit einer Behinderung: Es reicht mit den leeren Versprechungen - 14. Oktober 2024.
Ein Weiser – nicht weniger!
Mal ein paar ganz naive Fragen von einem europäischen Normalbürger:
Was ist an der NATO so sehr zum Fürchten? Verständlich wäre, wenn Putin Angst vor den USA hätte. Die sind in den letzten Jahrzehnten immer unberechenbarer geworden und haben auch uns Angst gemacht. Aber die NATO?
Und was ist so schlimm an Demokratie? Putin tut eine Menge, um demokratische Tendenzen in seinem Land auszumerzen. Er war bei den Russen beliebt. Mal ganz frech: Wieso konnte er nicht damit zufrieden sein, in seinem Kreml den Zar zu spielen?
Ich habe den Eindruck, dass Putin Diplomatie eher als westliche Schwäche ansieht. Er hat die Diplomatie genutzt, um Zeit zu haben, die russische Armee zu stärken. Nun haut er, ganz undiplomatisch, ordentlich drauf, um sich danach, wieder mit Hilfe von Diplomatie, Gebiete rund um Russland einzuverleiben. Was denken Sie? Was hält Putin wirklich von Diplomatie?
Für mich, als Normalbürger sieht es eher so aus, dass nicht Russland, sondern Putin sich fürchtet. In seiner Großmannssucht sieht er Russland als eine Verlängerung seiner selbst: wenn er stirbt, stirbt Russland. Könnte es sein, dass es in letzter Zeit ein Attentat aus ihn gegeben hat, von dem wir nichts wissen? Oder ist er krank (aufgeschwemmtes Gesicht – Cortison?).
@ Tageblatt: Falls Sie einige Fragen nicht veröffentlichen wollen, steht es Ihnen frei, sie zu streichen.
Ich muss an einem bedeutenden Punkt Armand widersprechen. Das ‚Mutually Assured Destruction‘ hat nie funktioniert. Beide Seiten haben im Kalten Krieg getüftelt wie man der Gefahr des Zweitschlages aus dem Weg gehen könnte, also den Erstschlag möglich machen würde. So wie es eben die USA auch unter Reagan versuchten mit ihrem ‚Star Wars‘ Projekt. Wenn man Heute auf diese Zeit, mit nun frei zugänglichen Dokumenten dieser Zeit, zurückblickt merkt man wie oft wir nur knapp an einer Katastrophe vorbei geschlittert sind. Wie oft hat ein Offizier auf der einen oder anderen Seite entschieden abzuwarten, auf Konfirmation zu beharren dass gerade ein Erstschlag der anderen Partei erfolge und es sich nicht um eine Fehlmeldung handele. Es ist nur durch diese Entscheidungen einzelner, auf beiden Seiten des Atlantiks, dass wir vom ‚Nuklearen Holocaust‘ verschont blieben. Solange es Atomwaffen gibt besteht die Gefahr eines versehentlichen Austauschs. Deswegen gehören diese Waffen, bis zur letzten, abgeschafft. Dies natürlich sowohl von den Nukleargroßmächten als von Lokalmächten wie Indien und Pakistan. Diese Abrüstung muss aber natürlich von allen Parteien gleichzeitig und unter internationaler Aufsicht geschehen. Dies ist eine Lehre die wir aus dem Kalten Krieg ziehen müssen als die Sowjetunion anbot einseitig auf ihr Nukleararsenal zu verzichten, die USA jedoch den Erstschlag bis Heute in ihrer militärischen Doktrin verankert hielten. Zu einem weiteren Punkt muss ich Armand aber auch widersprechen. Egal wie klein ein Land sein mag, kann es eine Rolle zur Lösung des jetzigen Konfliktes, aber auch aller anderen Heute wütenden Kriegen, spielen. So eben auch Luxemburg. Und an diesem Punkt hat unsere Diplomatie versagt, nicht weil sie zu Laut predigen würde, nein weil auch sie die Tür zum Dialog der Nationen verstellt hat. Denn es ist wahr, man darf nie alle Brücken abbrechen und den ‚Gegner‘ in eine Ecke drängen aus der er keinen Ausweg mehr erkennt.
@DanV Die Nato hat sich in den letzten Jahrzehnten, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, immer aggressiver ausgedehnt. Nicht nur das, sie hat sich als Handlanger der USA aktiv und passive an deren Angriffskriegen beteiligt. Dies gilt auch für Luxemburg, Militärlager in Luxemburg konnten von den USA genutzt werden um ihre Kriege im Irak oder in Afghanistan logistisch zu ermöglichen. Auch wurden US Truppen in Europa, aber auch auf anderen Kontinenten von Nato Kontingenten entsetzt so dass die so gelöste Kräfte sich an den Angriffskriegen beteiligen konnten. Somit hat sich dieses vermeintliche Verteidigungsbündnis real als eine große Gefahr für den Weltfrieden entpuppt.
Was die Angst der russischen Bevölkerung angeht so beruht diese auf Jahrhunderten Erfahrung der Aggression und des Verrats. Als 1812 Napoléon, Russland überfiel handelte er nicht alleine sondern wurde von Russlands ehemaligen Verbündeten Preußen, Österreich, Sachsen und Co., unterstützt. Dies führte zu einen verheerenden Krieg auf russischen Boden in dem Zehntausende starben und ganze Landstriche verwüstet wurden. 1914 wiederholte dies sich mit dem Deutschen Angriff. Während des Russischen Bürgerkriegs besetzten ehemalige Verbündete, Großbritannien, Frankreich, USA, Griechenland und Japan, strategische Häfen und Regionen Russlands und verlängerten so diesen verheerenden Konflikt. Von 1933 bis August 1939 warnte die Sowjetunion vor dem vorhersehbaren Angriff Hitlers auf die Länder im Osten Europas. Nie fanden ihre Diplomaten Gehör in Großbritannien welches Nazideutschland aufrüsten ließ während die ehemalige Entente immer schwächer wurde. So wurde dem Dritten Reich seine Ausdehnung ermöglichte. Nicht nur das, es schien als würden die ehemalige Verbündete das Verbrecherregime aus Berlin ermuntern sich nach Osten auszudehnen wie z.B. im umstrittenen Bonnet-Ribbentropp Abkommen von 1938. Dies führte logischerweise zum Überfall auf Polen und nur zwei Jahre später auf die Sowjetunion selbst. Ein Krieg der zu mehr als 20 Millionen sowjetischen Toten und einer kaum vorstellbaren Verwüstung in den besetzten Gebieten führte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wendeten die ehemalige Alliierte sich schnell gegen die Sowjetunion und aus Freunden wurden Feinde. Die Angst vor Nato und USA in der Sowjetunion beruhte also auf langer, schmerzlicher, Erfahrung. Und diese Angst besteht bis Heute in Russland und einigen anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Es ist eher Putin der sich nicht vor der Nato und den USA fürchtet, wie man es die letzten zwei Wochen in der Ukraine sehen konnte, er hat diese alte Angst in seiner Bevölkerung geschürt und nutzt sie nun als Vorwand für seinen Angriffskrieg. Diese Aggression macht die Angst vieler in der russischen Bevölkerung nicht kleiner, sie ist real und ein erneuertes
Vertrauen kann nur durch lange Jahre des friedlichen Zusammenlebens erreicht werden, was nach dem Kalten Kriegs nicht der Fall war.
Psychopath (Definition lt. Wikipedia): Trickreich sprachgewandter Blender mit oberflächlichem Charme, erheblich übersteigertes Selbstwertgefühl, pathologisches Lügen, betrügerisch-manipulatves Verhalten, Mangel an Gewissensbissen oder Schuldbewusstsein, oberflächliche Gefühle, Gefühlskälte, Mangel an Empathie, mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen. Job-Beschreibung eines Geheimagenten: „We lied, we cheated, we stole“ dixit Mike Pompeo, ehemaliger CIA-Direktor und US-Aussenminister unter Donald Trump. Jeder möge sich selbst sein Urteil über den ehemaligen KGB-Agenten und aktuellen Diktator aus dem Kreml bilden.
@ Marc
Sie drehen die Nato-Problematik um, um Putin zu entschuldigen. Die Nato hat sich nicht aggressiv, sondern auf natürliche Weise ausgedehnt. Staaten wollten ihr beitreten und wurden aufgenommen. Wenn Russland hätte beitreten wollen, wäre es willkommen gewesen. Das wäre erheblich besser gewesen, denn dann würden die Politiker sich nun am Verhandlungstisch fetzen – ohne zu morden. Denn was ist Krieg anderes als morden – egal ob Zivilisten oder Soldaten massakriert werden?
Wir lebten seit Jahrzehnten in Frieden mit Russland! Wir nutzten russische Produkte (hab gestern Kaspersky deinstalliert – so normal waren russische Produkte, dass wir ihnen sogar unsere Sicherheit anvertraut haben), fingen an, das große Land kennen zu lernen. Russland HATTE ZEIT und hätte sich weiter Zeit nehmen können.
Aber mit einem Paukenschlag ist alles vorbei. Mühsam aufgebautes Vertrauen wurde am 24. Februar 2022 komplett zerstört. Putin hat Europa in Barbarenzeiten zurückgebombt, Pflugscharen wieder zu Schwertern gemacht. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Der, der zuerst zuschlägt, ist im Fehler und wenn er sich 100 mal beleidigt fühlt.
Was Ihre Aufzählung von Vertrauensbrüchen anbelangt (Napoleon, usw.), das war vor der Gründung der Nato und der EU. Damals gab es noch absolute Monarchien ohne Rechtsstaatlichkeit. Erobertes Gebiet durfte behalten werden. Diese Zeiten waren vorbei – aber Putin lässt sie gerade wieder aufleben.
Und nicht die westlichen Länder haben sich nach dem zweiten Weltkrieg von der Sowjetunion abgewandt, sondern Stalin von den westlichen Ländern. Er hat sogar während der Befreiung von Nazideutschland sein eigenes Süppchen gekocht. Lesen Sie mal die Geschichtsbücher – ist vielleicht nur westliche Propaganda, wir haben ja nichts anderes. Aber Stalins belegtes Benehmen gegenüber der eigenen Bevölkerung lässt die historischen Erzählungen glaubhaft wirken.
Nein, die Empathie, die Sie suggerieren, darf Putin vom Normalbürger nicht mehr erwarten. Aber verstehen sollten wir ihn – nicht, um ihn zu entschuldigen, sondern um ihm adequat entgegentreten zu können.
@DanV Die Nato hatte nach dem Fall des Warschauer Pakts keine Daseinsberechtigung da es in Europa keine externe Bedrohung mehr gab. Und wie ich es schon erklärte wurde dieses Bündnis nach dem Kalten Krieg zum Aggressor und nahm an mehreren völkerrechtswidrigen Kriegen teil. Und ja, auch Luxemburg war an diesen beteiligt auch wenn indirekt. Den Vereinigten Staaten wurden z.B. im 2. Irak Krieg erlaubt POMCUS Lager in Bettemburg und Sassenheim, wie auch dem Flughafen Findel, als logistische Drehscheibe zu nutzen.
Übrigens verbietet das Völkerrecht seit Ende des 30 Jährigen Krieges, also dem Westfälischen Frieden, Angriffe auf souveräne Staaten. Besonders nach dem Fall der Sowjetunion scherten die Vereinigte Staaten sich nie um diese Grundlage zum Erhalt des Weltfrieden. Vielleicht auch weil dieser Staat nie die verheerende Wirkung diese Kriege im eigenen Land erleben musste. Aus den großen Kriegen, z.B. 30 Jährigem, 7 Jährigem, Erstem und Zweiten, zu lernen hätte der Welt sicher viel Leid erspart.
Ich will auch in keiner Weise Putin Handeln entschuldigen. Aber wir müssen dieses und besonders die Ängste der russischen Bevölkerung im historischen Kontext betrachten.
Ich bin übrigens etwas verwundert über ihre Ansicht zu den historischen Kriegen gegen Russland. Absolute Monarchien gab es eben nach den Napoleonischen Kriegen nicht mehr viele. Und der Verrat an Russland und die Sowjetunion nach Ende des 1. Wk. wurde gerade von demokratischen Staaten begangen, ähnlich die Ablehnung einer Allianz gegen Nazideutschland zwischen 1933 und August 1939 welches zum 2. Wk. und allen Verbrechen des Hitler-Regimes führte.
Dies soll übrigens auch nicht Stalin entschuldigen, dieser war genau so einer der großen Verbrecher des 20. Jhs.. Jedoch spielte er auch eine maßgebliche am Sieg über das Dritte Reich Hitlers. In mancher Sicht ein Paradoxon.
Demokratie hat (leider) nie verhindert dass ein Staat einen Krieg anstiftete.
Da die Geschichte und Diplomatie der Sowjetunion Teil meines Studiums war denke ich eine gewisse Kenntnis des Themas zu haben. Was aber nicht heißen soll dass ich mich nicht noch fortbilden kann.
Ich korrigiere eine meiner Aussagen:
Als Putin am Anfang seiner Regentschaft die mafiösen Oligarchenstrukturen zerstörte, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion das Land in Angst und Schrecken versetzten, schien sogar eine Aufnahme in die Nato möglich.
Was wir damals noch nicht wussten, war, dass er schon seine eigene nepotistische Struktur in der Hinterhand hatte (wenn man Alexej Nawalny glauben kann – und dessen Film ist ziemlich glaubhaft).
Müssen seine Motive wirklich aussenpolitisch sein? Könnten sie nicht eher innenpolitische Gründe haben: wenn schon eine Besetzung der Krim ihm – für uns unverständlicherweise – höhere Umfragewerte beschert, wie könnten die Umfragewerte dann erst durch die Decke schießen, wenn er sich die mythische Kiewer Rus, die „russkaia semlia“, einverleiben würde …
Falls das der Fall sein sollte, werden jegliche Verhandlungen umsonst sein. Er wird die Ukraine plattmachen, die nach Demokratie strebenden Einwohner vertreiben/töten und putin-verehrende Russen dorthin umsiedeln – wenn ihm nicht Einhalt geboten wird.