Forum / Kriege, Tourismus und Migration: Die doppelte Völkerwanderung der Reichen und der Armen
Niemand ist Prophet im eigenen Land. Nicht etwa, dass ich mich zum Propheten berufen fühlte. Dennoch verhalfen mir 15 Jahre Regierungsämter und weitere 15 Jahre im Europäischen Parlament zu einer bescheidenen Expertise in einigen Politikbereichen. Eher im Ausland anerkannt als im Ländchen. Jedenfalls erhalte ich öfters Einladungen zu Kolloquien oder Vorträgen außerhalb von Luxemburg.
Eigentlich auch angenehmer. Besonders, wenn die Organisatoren mit großer Gastlichkeit aufwarten. Eingeladen zu einer Debatte über Migration in einer sonnigen Mittelmeer-Metropole war ich für zwei Tage einquartiert in einem Resort für SDF („sans difficultés financières“). Die Gäste kamen aus aller Herren Länder. Mit Dominanz von Arabisch sprechenden Männern, oft in Begleitung von viel jüngeren Damen. Manche stammten aus dem Libanon. Ihre angeregten Diskussionen, angereichert mit französischen Floskeln. Zahlen, vermutlich über Geldbeträge, ertönten öfters auf Englisch.
Die Araber kamen aus den Golfstaaten. Mit noch aufgemotzter weiblicher Begleitung. Die Haarpracht verhüllt mit sündhaft teuren Shawls. Die Muslime (die Konfession von Libanesen ist nicht zu erraten) störten sich keineswegs an der Präsenz vieler Israeli. Erkennbar an der Kippa der Herren und den Kopftüchern der Damen.
Schon Bertolt Brecht befand: „Nur wer im Luxus lebt, lebt angenehm.“ In einem luxuriösen Ambiente sind Streitfragen wie der Krieg in Gaza oder der Raketenaustausch zwischen Hisbollah und Israel über Libanons Grenze hinweg kein Thema. Friedliche Koexistenz ist in den Herbergen der gehobenen Klasse eine Selbstverständlichkeit.
Tourismus als Ventil
Schon bei früheren Reisen fiel mir auf, dass Tourismus ein politisches Ventil für Bürger autoritärer Regime ist. Für jene, die es sich leisten können. Die hochreligiösen Saudis entschwinden gerade vor dem Freitagsgebet in Nachbarstaaten, wo Alkohol fließt. Nach einem Vortrag an der Universität von Tiflis durchstöberte ich die sehenswerte georgische Altstadt. Überall stieß ich auf mit Einkäufen beladenen Touristen-Scharen aus dem sanktionsbelegten Iran. Die sich in Georgien besorgten, was ihnen zu Hause verwehrt bleibt. Auch Alkohol.
Seit Putins Überfall auf die Ukraine sind die Russen in vielen Teilen Europas weniger gern gesehen. Deshalb findet man vermehrt Russen in Ländern wie der Türkei. Wo sie oft in den gleichen Badeorten verkehren wie gutbetuchte Ukrainer. Die Turkish Airlines fliegt weiterhin täglich viele russische Destinationen an.
Es ist eigentlich immer das gleiche Lied. Man ist besser reich und gesund als arm und krank. In einer Welt mit immer mehr Krisenherden suchen Vermögende ihr Heil in „touristischer Auszeit“. Es gibt Russen, die sich durch Reisen ins Ausland dem Wehrdienst entziehen. Es gibt Ukrainer, die das Gleiche tun. Nicht nur Libanesen, auch Israeli setzen sich vorsichtshalber ab. Allein in Athen landen täglich ein Dutzend Flugzeuge, vollgepackt mit Israeli, dem Kriegsgewirr zumindest zeitweilig entweichend. Das Gleiche erfolgt auf Zypern oder Malta. Ein Donald Trump machte schon vor Jahrzehnten vor, wie man sich dem Wehrdienst, damals in Vietnam, mit Geld entzieht.
Schmutziges Geschäft
Das „Sterben fürs Vaterland“ mag Sonntagsredner vor Kriegs-Denkmälern bewegen. Die raue Wahrheit ist eine andere. Im Zweiten Weltkrieg gab es unter den US-Soldaten überdurchschnittlich viele „colored people“. Auch die Briten bemühten ihre Kolonial-Truppen. Bei der Befreiung Frankreichs fielen viele „tirailleurs sénégalais“. „Freiwillig“ eingezogene Schwarze aus den damaligen Kolonien.
Kriege sind und bleiben ein schmutziges Geschäft. Auch wenn die Waffenindustrie wieder salonfähig ist. Die von der Europäischen Union geförderten ESG-Prinzipien werden für die Produktion von Waffen und Munition vornehm ausgeklammert. Der Klimafolgen der Kriegshandlungen werden ignoriert.
Nicht Umwelttechnologien oder Digitalisierung sind zurzeit die Renner der Wirtschaft, sondern die Produktion von Waffensystemen. Luxemburg will seine Militärausgaben bis 2030 auf zwei Prozent seines Inlandproduktes steigern. Da wir keine Militärgüter produzieren, geht das Geld vornehmlich in die USA.
Trump wusste, was er tat, als er die NATO-Alliierten zu massiver Aufrüstung verpflichtete. Obwohl die NATO-Staaten selbst ohne die Zwei-Prozent-Vorgabe rund 60 Prozent der globalen Rüstungsausgaben bestreiten. Der Militärhaushalt der USA ist höher als die kumulierten Ausgaben der acht nächstgrößten Mächte, China und Russland eingeschlossen. Nebenbei: Um die 70 Prozent der europäischen Waffenlieferungen an die Ukraine sind „Made in USA“. Bezahlt in Dollar an die US-Waffenkonzerne. Die größten weltweit.
Sollte Trump als Präsident zurückkehren, wird es nicht billiger für die Europäer. In Foreign Affairs schreibt dessen früherer Sicherheitsberater Robert O’Brian, ein wiedergewählter Präsident Trump würde die Ukraine keineswegs fallen lassen. Diese müsste weiterhin mit Waffen versorgt werden. Aber finanziert von den Europäern. Gleichzeitig würde Trump die Tür der Diplomatie mit Russland öffnen. „Wollten die Europäer zeigen, dass ihnen die Verteidigung der Ukraine ernst gemeint ist, sollten sie das Land sofort in die Europäische Union aufnehmen und auf das übliche bürokratische Beitrittsprotokoll verzichten.“ Das ist laut Trumps Berater dessen simplistische Logik!
Gewinner und Verlierer
Bei allen Kriegen gibt es Gewinner und Verlierer. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es bei keinem Krieg mehr eine totale Niederlage. Die blutigsten Waffengänge endeten mit einem Waffenstillstand (Korea), wackligen Friedensverträgen (Vietnam, Afghanistan), instabilen Regimen (Irak, Libyen).
Verlierer sind immer und überall die Zivilisten. Israel musste auf die Terroranschläge der Hamas reagieren. Aber nicht, um 1,2 Millionen Menschen wie Freiwild auf einem Gebiet nicht größer als die Kantone Luxemburg und Remich herumzutreiben! Dabei laut Süddeutscher Zeitung 80.000 Tonnen Sprengstoff einzusetzen, mehr als 60 kg pro Palästinenser. Die über 41.000 Toten in Gaza, darunter viele Frauen und Kinder, waren mit Sicherheit nicht alle Terroristen!
Die Ukraine ist weiterhin das Opfer russischer Angriffe, bei denen regelmäßig Zivilisten sterben. Doch ukrainische Raketen und Drohnen treffen ebenfalls Zivilisten bis nach Moskau hin. Die selbst gebauten „Drachendrohnen“ der Ukraine, die russische Positionen mit „Thermit“ überziehen, sind wahre Killer-Waffen. Das auf 2.000 Grad erhitzte Gemisch aus flüssigem Eisen und Aluminium setzt Wälder und Bunker in Flammen, frisst sich gar durch Metall.
Unschuldige Opfer gibt es auf allen Seiten. Die es sich leisten können, entziehen sich den Kriegswirren. Mit genügend Geld findet sich überall eine neue Bleibe. Die Armen müssen ausharren. Migranten, ob politisch verfolgte oder Wirtschafts-Flüchtlinge, haben meistens Bildung, auch etwas Geld. Migrationswege sind lang und kostspielig.
Welt der Gegensätze
Das ist unsere Welt. Einerseits wird 2024 ein Rekordjahr für den internationalen Tourismus mit über einer Milliarde Reisen in fremde Länder. Etwa 2,5 Milliarden Fluggäste werden erwartet. Der Tourismussektor kassierte im Jahr 2023 einige 3.300 Milliarden Dollar. Rund drei Prozent des globalen Sozialproduktes.
Gleichzeitig waren Ende 2023 fast 120 Millionen Menschen auf der Flucht. Die meisten Flüchtlinge zieht es nicht nach Europa. Iran, Türkei, Pakistan und Kolumbien beherbergen die größten Flüchtlingskontingente. Die vor allem aus Afghanistan, Syrien oder Venezuela kommen. Kleine Länder wie Jordanien oder Libanon haben über eine Million Flüchtlinge.
Zu den politisch Verfolgten kommen noch um die 300 Millionen Migranten, die der wirtschaftlichen Misere ihrer Heimat entweichen wollen. Letztes Jahr schickten die Migranten mehr als 650 Milliarden Dollar an ihre Familien. Über das Dreifache der internationalen Entwicklungshilfe.
Derweilen schotten sich immer mehr Staaten ab. In Europa und den USA ist die öffentliche Meinung gegen Migranten. Alle Verbrecher und Vergewaltiger. Laut Trump vertilgen diese gar die Hunde und Katzen der guten Amerikaner.
Die Freizügigkeit der europäischen Bürger, die Schengen brachte, wird durch immer mehr „Sicherheit“-Kontrollen unterbunden. Merke: Großbritannien war nie Mitglied des Schengen-Raums. Kontrollierte immer seine Grenzen. Kennt dennoch Kriminalität und Terrorismus. Seit Brexit ist das Vereinigte Königreich gar das europäische Land mit den meisten illegalen Einwandern. Doch die Populisten aller Länder hetzen verstärkt gegen Migranten und Flüchtlinge. Nur die Reichen und die Schönen bleiben willkommen.
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