Journalismus / Kriegsfotografin Ursula Meissner: „Leben und Tod ist manchmal ein ganz schmaler Grat“
Ursula Meissner (59) hat sich als Fotografin in Kriegs- und Krisengebieten einen Namen gemacht. Im Vorfeld der World-Press-Ausstellung, die ab 1. Dezember in der Abtei Neumünster gezeigt wird, war die gebürtige Mainzerin für einen Vortrag in Luxemburg. Ein Gespräch über das, was sie antreibt, schießende Rebellen und wie wichtig ihr Müsliriegel sind.
Tageblatt: Kann jemand wie Sie unbefangen Nachrichten schauen?
Ursula Meissner: Nein. Es wird viel falsch berichtet, weil es so schnell passieren muss. Und dann wird es aber anschließend nicht mehr richtiggestellt. Ich sitze manchmal da und platze – vor allem, wenn die Nachrichten aus Ländern kommen, die ich kenne. Das hängt auch damit zusammen, dass viele Redaktionen heute kein Geld mehr haben, selbst jemanden hinzuschicken.
Was treibt Sie immer wieder in Kriegs- und Krisengebiete?
Authentischen Menschen zu begegnen und sie zu fotografieren, das ist meine Leidenschaft. Hier inszeniert sich jeder, um auf dem Foto möglichst gut wegzukommen. Im Krieg geht das nicht. Und wenn man dann in Kinderaugen schaut, die nicht mehr weinen können, weil sie zu müde und traumatisiert sind oder Menschen auf der Flucht sieht, die ihr letztes Huhn auf der Schulter tragen, dann denke ich: Das muss man doch zeigen. Man muss zeigen, dass Krieg nur Elend bringt. Diese ungewöhnlichen Begegnungen treiben mich an.
Kann man sich auf solche Einsätze vorbereiten?
Nein, aber man kann bei einem Einsatz einiges verhindern. Wenn ich mit Rebellen oder Soldaten unterwegs war, wollten sie immer für mich schießen. Das habe ich immer verhindern wollen, weil es darauf meistens eine Antwort gibt. Heckenschützen verstehen keinen Spaß.
Was war Ihr erster Einsatz?
Im August 1992 in Sarajevo. Wir waren auf dem Weg in die Stadt über die Snyper Alley (wegen der Heckenschützen so genannte Hauptstraße in die Stadt, Anm. d. Red.) und sind sehr schnell gefahren. Das musste man, weil schnell fahrende Autos für Heckenschützen schwierige Ziele sind. Außerdem war es an diesem Tag neblig, das hat uns in die Hand gespielt. Da saß ein Cellist an einer Bushaltestelle und hat auf einem Klavier „Yesterday“ für seinen gefallenen Bruder gespielt. Den habe ich gesehen und das Foto gemacht. Es ist sehr oft publiziert worden.
Irak, Libyen, Afghanistan: Wenn Sie vor Ort sind, wie blenden Sie den Menschen Ursula Meissner aus? Ist es dann nur noch Professionalität?
Ich kann Angst gut verdrängen. Mittlerweile. Nach meinem ersten Einsatz habe ich gesagt, das mache ich nie wieder. Es ist Professionalität. Ich mache immer alle Fotos sofort, vertraue keinen Zusagen, weil ich nie weiß, ob ich der Person noch mal begegnen werde.
Wie bewegen Sie sich in diesen Gebieten? Sie sind eine Frau, groß, blond, blauäugig …
Ich bewege mich auf jeden Fall anders als die Muslimas. Sie sprechen nicht so mit Männern wie ich. Sie dürfen ihnen nicht mal in die Augen schauen. Und wenn wir mal unter uns waren, haben sie sich über mich amüsiert, weil ich in ihren Augen so furchtbar hässlich gekleidet bin. Die Männer haben oft gerätselt, ob ich – mit Kappe auf dem Kopf, in langer, hochgeschlossener Bluse und Hose – ein Mann oder eine Frau bin. Wenn ich mich in eine Burka gesteckt hätte, hätten sie mich viel eher erkannt.
Sie waren 2001 eine Geisel der Taliban. Wie kommt man damit klar?
Ich hatte Todesangst. Aber denen ging es nur um Geld. Ich habe sie in der Situation noch heruntergehandelt von 1.000 auf 800 Dollar für meine Freilassung. Dass ich gehandelt habe, davor hatten sie Respekt. Jemand, der nicht handelt, ist in ihren Augen lächerlich. Sie haben mich dann nach Dschalalabad ins Büro einer Hilfsorganisation gefahren und dort habe ich das Geld übergeben. Leben und Tod ist manchmal ein ganz schmaler Grat.
Sie waren sehr oft in Afghanistan – zuletzt vor drei Jahren: Was haben Sie gedacht, als die US-Truppen dieses Jahr das Land verlassen haben?
Ich bin explodiert. Dass die Taliban danach so schnell das Ruder übernehmen, war für jeden, der das Land kennt, absehbar. Viele wissen nicht, dass die Polizisten und Soldaten monatelang keine Gehälter bekommen haben. Dann kämpft doch kein Mensch. Die meisten haben einfach die Uniform gewechselt, denn die Taliban hatten Geld. So viele Experten in all den Jahren und die wollen alle nicht gewusst haben, dass es so geht? Es war alles umsonst.
Hat sich Ihre Sicht auf den Menschen in all den Jahren verändert?
Ich liebe die Dreigroschenoper. Der Mensch ist nicht gut.
Wenn Sie mittendrin sind, gibt es eine Grenze? Wo Sie Ihre Kamera weglegen?
Wenn jemand vor meinen Augen erschossen wird, das kann ich nicht fotografieren. Wenn etwas zu grausam ist, dass man nicht hinschauen will, dann ist es kein Fotomotiv.
Was ist Ihr Rezept, den Menschen so nahe zu kommen?
Wenn man keine Empathie hat, kann man den Beruf nicht machen. Und ich wurde oft unterschätzt als Frau. Und habe dann die besseren Fotos gekriegt als die coolen Socken neben mir.
Sie kennen noch die Zeit der Negative und Filmrollen. Heute gibt es Augenzeugenberichte per Handy in Echtzeit. Hat sich Ihre Arbeit darüber verändert?
Sehr. Jeder denkt, er könnte fotografieren. Auf der anderen Seite sitzen Redaktionen, die kostenlos ein riesiges Angebot bekommen. Ob das aus dem Kontext gerissen oder sogar unwahr, ist schwer nachzuvollziehen. Eines aber muss jedem klar sein: Es wird nirgends so viel gelogen wie im Krieg.
Sie lehren Fotojournalismus an der Universität Trier. Was geben Sie den Studenten mit auf den Weg?
Das gute Bild. Ein gutes Foto ist eines, auf das man länger als zwei Sekunden schaut. Und eines, das im Gedächtnis bleibt.
Was bedeuten Ihnen Müsliriegel?
Sehr viel. Ich habe immer Müsliriegel und Nüsse im Gepäck, wenn es geht. Das ist oft das Einzige, was ich zu essen kriege. Und Gummibären habe ich meistens dabei. Sie bestehen ja fast nur aus Zucker. Genauso wie Deo, Taschenlampe, Taschenmesser und feuchte Tücher. In Kriegsgebieten gibt es kein Toilettenpapier.
Zur Person
Ursula Meissner hat ihre Karriere 1982 als Produktionsassistentin beim ZDF begonnen. 1984 wechselte sie ins ZDF-Studio Südostasien in Singapur. Von 1989 bis 1992 absolvierte sie eine Ausbildung zur Fotojournalistin beim ZDF. Ihre erste Fotoreportage entstand über die Belagerung von Sarajevo im August 1992. Seither berichtet sie als freie Fotojournalistin über Kriegs- und Krisengebiete in aller Welt. Bosnien, Kosovo, Ruanda, Sierra Leone, Mexiko, Westbank (Palästinakrieg), Angola, Mosambik, Nigeria, Somalia und Irak sind die Stationen. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf Afghanistan, das sie Dutzende von Malen bereist. Ihre nächste Reise soll in den Libanon gehen, wo sie syrische Flüchtlinge in Lagern porträtiert.
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Auch vor dem krieg wird oefters gelogen…der kuerzlich verstorbene colin powell konnte davon ein liedchen singen