/ Kritische Masse: Ein Gespräch mit dem Kayler LSAP-Bürgermeister John Lorent
Die Gemeinde Kayl bleibt attraktiv. Das schlägt sich unter anderem in etlichen neuen Wohnungsbauprojekten nieder. Den meisten „Besuchern“ ist die Ortschaft jedoch hauptsächlich als Transitgemeinde bekannt. Tausende französische Grenzpendler quälen sich täglich durch das Kayltal.
Die jüngst bei der Vorstellung der Haushaltsvorlage 2019 genannte Zahl überraschte schon. 45 Prozent der Investitionen würden in Schulen und Kinderbetreuung fließen. Nachholbedarf oder Vorbereitung auf einen zu erwartenden Bevölkerungszuwachs? Bürgermeister John Lorent (LSAP) hat eine andere Erklärung parat. „Unsere Schulen sind in Ordnung und gut ausgestattet“, sagt er. Aus organisatorischen und umweltpolitischen Ursachen habe man jedoch vor einigen Jahren eine Studie erstellen lassen, um erneut Wohnviertelschulen einzuführen. Tatsächlich hatte die zentrale Alexandra-Schule für Kleinkinder in Tetingen den Schulweg extrem verlängert. Die Schule war während der CSV-DP-Koalition beschlossen worden, gegen den Willen der damaligen LSAP-Opposition.
Schulen in den Wohnvierteln sollen den Schulweg verkürzen und damit auch die Sicherheit für die Kinder erhöhen. Auf „Widdem“ besteht bereits eine solche. Dort wird die renovierte „Meederchersschoul“ bald zusätzliche Grundschulklassen aufnehmen. Eine neue Schule wird in der Faubourg-Straße gebaut. Mit der Jean-Pierre-Nuel-Schule in Tetingen, den Faubourg- und Widdem-Schulen wird die Gemeinde über drei Wohnviertelschulen verfügen. In den kommenden Jahren soll unweit der Faubourg-Schule eine weitere „Maison relais“ entstehen. Der Tetinger Schülerhort wird wohl auch in einen Neubau umziehen.
Das Stadtzentrum ändert sein Gesicht
Dennoch ist der Ausbau der Schulinfrastruktur an die zu erwartenden Bevölkerungszahlen gekoppelt. Denn die Gemeinde zieht weiterhin neue Einwohner an. Allein in den letzten Wochen habe er etliche neue Bauvorhaben unterschrieben, sagt Lorent. In der Kayler Grand-rue werden bald zwei Großprojekte in Angriff genommen. Mehrere ältere Häuser gegenüber der Post, zwischen der rue du Fossé und dem Schönheitssalon werden abgerissen. Ein Neubau ist ebenfalls zwischen der Post und der Sparkasse vorgesehen. In der Tetinger rue des Légionnaires wird eine ganze Häuserzeile Neubauwohnungen weichen. Für sozialen Wohnungsbau, sowohl Vermietung als auch Verkauf, ist das Areal zwischen der Schifflinger und der Brucherbergstraße vorgesehen, das die Gemeinde dem „Fonds du logement“ mittels eines Erbpachtvertrags überlässt. 22 Wohnungen sollen hier errichtet werden.
Kayls Wohnungsreservoir wächst. Dabei ist das Großprojekt Kayl-Norden nicht berücksichtigt. Rund 2.000 Personen sollen langfristig hier leben. Wann denn die Bagger anrücken werden? In den nächsten fünf Jahren werde das wohl nicht der Fall sein, schätzt Lorent. Noch müssen die Eigentumsverhältnisse abschließend geklärt werden. Und erneut drängt sich die Frage nach neuem Raum für Unterricht und Kinderbetreuung auf. Ob man eine Schule in Kayl-Norden bauen wird? Eine Antwort hat Lorent derzeit nicht. Eine Alternative böte sich auf dem Campus „Widdem“ an. Hier könnte man den Parkplatz unterbauen und eine neue Schule darauf errichten.
Unklar ist auch, welcher urbanistischen Bestimmung das rund sieben Hektar große Areal in Tetingen beschieden ist, auf dem sich bis vor Kurzem noch die Schlackenhalde befand – vorausgesetzt die Gemeinde einigt sich mit dem aktuellen Besitzer ArcelorMittal. Nach einer teilweisen Renaturierung des Geländes blieben noch rund vier Hektar zur Verfügung, sagt Lorent. Genutzt werden könnte es u.a. für den Ausbau der kommunalen Ateliers.
Neues Leben auf der Schlackenhalde
Interessieren dürfte das Areal an der Gemeindegrenze auch die Rümelinger Nachbarn. Sie, denen freies Bauland quasi ausgegangen ist, könnten hier eine neue Dienststelle für die Polizei errichten. Man habe das Thema beim damaligen Polizeiminister bereits angesprochen, bestätigt Lorent eine entsprechende Information des Rümelinger Bürgermeisters Henri Haine. Aber zuerst müsse man Besitzer des Geländes sein. „Doch denken ist nicht verboten“, fügt Lorent hinzu. Die ehemalige Schlackenhalde könnte ein weiteres Kooperationsprojekt zwischen beiden Kommunen werden. Zumal der Erwerb des Areals allein für Kayl finanziell nur schwer zu stemmen wäre. Denn auch die Preise für Industriebrachen erreichen in der Zwischenzeit schwindelerregende Höhen.
Apropos Kollaboration mit Rümelingen: Bereits Henri Haine hatte sich nicht gescheut, das Wort Fusion auszusprechen. Auch für Kayl wäre das eine Option, sagt Lorent. Zwischen LSAP-Sektionen habe es schon Gespräche über die Zweckmäßigkeit von derlei Zusammengehen gegeben. Lorent hebt auch einen Aspekt hervor, der weit über das Lokale hinausgeht. Allein würde man als Kayltal keinen Abgeordneten in der Chamber stellen können. Viele Dossiers würden aber im Vorzimmer des Parlaments diskutiert. „Wenn man sich nicht beeilt, eine kritische Masse zu erreichen, läuft man Gefahr, zwischen Esch und Düdelingen aufgerieben zu werden.“
In den nächsten 15 Jahren wird die Einwohnerzahl Kayls an die 12.000 reichen, von derzeit 9.100 laut Bürgeramt. Zusammen mit der Nachbargemeinde Rümelingen käme man auf 18.000 bis 19.000 Einwohner. Da wäre es doch angebracht, Züge fahren zu lassen, meint Bürgermeister Lorent. Verkehrstechnisch ist man gut mit Esch und Düdelingen angebunden, doch mit Luxemburg-Stadt hapert es beträchtlich. Die Bahn könnte das Kayltal vom Straßenverkehr entlasten, zumal die betroffenen Ortschaften regelrechte Transitstrecken für Tausende Pendler aus dem nahen Frankreich sind.
Ausweichmöglichkeiten für die tägliche Blechlawine wird es wohl in absehbarer Zeit keine geben. Eine Umgehungsstraße ist längst kein Thema mehr. Die Gemeinde ist von Naturschutzgebieten umgeben. Man habe etwaige Möglichkeiten untersuchen lassen. Das hätte den Bau von Tunneln und Brücken erfordert. Das wäre politisch kaum umzusetzen, merkt Lorent an.
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