Reportage / Küchenbesuch: Wie die „Stëmm“ mit ungenutzten Lebensmitteln drei Restaurants beliefert
Die Sozialrestaurants der „Stëmm vun der Strooss“ servieren täglich etwa mehr als 700 Mahlzeiten. Ein Teil davon wird im „Stëmm Caddy“ in Sanem hergestellt. Das Küchenpersonal besteht aus Menschen, die sich persönlich, sozial, beruflich oder aus gesundheitlichen Gründen in einer schwierigen Situation befinden. Unser Tageblatt-Journalist hat einen Morgen in der Küche ausgeholfen.
Töpfe klappern, Mixer surren und Messer klopfen rhythmisch auf den Schneidbrettern: Die Geschäftigkeit in der professionellen Küche der „Stëmm vun der Strooss“ ist greifbar. Es ist Dienstag, 8.30 Uhr, die Vorbereitungen sind im Sanemer „Stëmm Caddy“ im vollen Gange. Die Mitarbeiter schneiden Gemüse, kontrollieren Lebensmittel und marinieren Fleisch – und mittendrin steht ein Journalist. „Cédric hilft heute aus“, erklärt Sozialpädagoge Maxime de Azevedo dem Küchenpersonal. Die Ankündigung erntet positiv überraschte und zum Teil auch skeptische Blicke. Ich stelle mich kurz vor und versichere ihnen, dass ich versuchen werde, nicht im Weg zu stehen.
Die „Stëmm vun der Strooss“
Im Jahr 2022 hat die „Stëmm vun der Strooos 123.516 Mahlzeiten verteilt – ein Plus von 27 Prozent im Vergleich zu 2021. Durchschnittlich werden momentan 400 Mahlzeiten pro Tag in Hollerich, 250 in Esch und 100 in Ettelbrück serviert.
Eine halbe Stunde zuvor erklärt Caddy-Verantwortliche Sandra Cantin mir, dass das hier produzierte Essen an die Stëmm-Sozialrestaurants in Hollerich, Ettelbrück und Esch geliefert wird. Die „Stëmm“ bietet in Sanem also kein Essen für Außenstehende an. Das Personal kocht für die eigene Mannschaft und beliefert andere Lokale. In Esch sei die Küche beispielsweise zu klein, um die täglich notwendigen 200 Portionen zuzubereiten – ohne das „Caddy“ also unmöglich. Verschiedene Produkte wie Suppen werden auch an acht Vereine, die sich in Luxemburg um benachteiligte Menschen kümmern, geliefert. Das Küchenpersonal verarbeitet also jeden Tag riesige Quantitäten an Lebensmitteln: herzhafte Hauptgerichte, leichte Salate, frische Säfte und belegte Brötchen. So hat die Caddy-Küche zwischen Januar und Dezember 2023 bereits 170 Tonnen Lebensmittel neu verarbeitet. An diesem Dienstag müssen die Mitarbeiter beispielsweise 260 Sandwiches zubereiten.
Ich stehe heute allerdings in der Gemüseküche – die Brötchen werden im Raum nebenan belegt. Sozialpädagoge Maxime teilt mir eine Schneidestation neben Morad zu. Dieser erklärt mir, wie ich die bereits gewaschene Kiste Pilze schneiden muss. Das tut er allerdings nicht mit Wörtern, denn der Iraker redet und versteht nur sehr wenig Französisch. Das ist aber auch nicht nötig: Der 43-Jährige zeigt mir die Schnitte und übergibt mir dann das Messer.
„Die größte Hürde ist die Kommunikation, weil wir nicht dieselbe Sprache sprechen. Wir kommunizieren also viel mit Gesten – und dann wird man kreativ“, erklärt Sandra Cantin. 20 Angestellte zählt die Küche. Die meisten haben das Statut des politischen Flüchtlings und sind Eritreer oder Syrer. Der Arbeitgeber ist nicht die „Stëmm“, sondern das nationale Amt für soziale Eingliederung (ONIS). Der Kontrakt dauert maximal ein Jahr – kann allerdings erneuert werden. Alle Menschen, die beim „Caddy“ arbeiten, erhalten das Einkommen zur sozialen Eingliederung (Revis) und ein zusätzliches Ergänzungsgeld. Das Ziel ist es nicht, die Personen zu behalten, sondern sie wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Denn im Sanemer Gebäude arbeiten Geflüchtete, Menschen mit familiären Problemen, Abhängige oder auch Ex-Häftlinge. „Manchmal finden sie nach der Arbeit bei uns einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt (Anm. d. Red.: Arbeitsmarkt ohne staatliche Zuschüsse). Das passiert zwar nicht oft, aber wenn, dann sind wir super stolz und froh“, erklärt Cantin. Trotzdem muss jeder Kandidat sich einem Vorstellungsgespräch stellen. „Damit sie auch verstehen, dass es sich hier um das wirkliche Leben handelt. Normalerweise nehmen wir jeden an, manchmal funktioniert das natürlich nicht“, sagt Cantin.
Lilia erzählt vom Benu
Beim Arbeiten mit Morad entsteht schnell ein Rhythmus. Er schält die Pilze, ich schneide. Mir gegenüber entfernt Lilia die Blätter von den Radieschen. Sie spricht Französisch, das Reden fällt ihr wesentlich leichter als meinem Nachbarn. Die 55-jährige Moldawierin lebt seit sieben Jahren in Luxemburg, davor wohnte sie 15 Jahre in Portugal. Eigentlich ist sie gelernte Physiotherapeutin, ihre Lizenz ist im Großherzogtum allerdings nicht gültig. Sie arbeitet seit etwas mehr als einem Monat bei der „Stëmm“ – vorher war sie bei der Escher Öko-Initiative Benu angestellt. Die Idee hinter dem Projekt gefiel ihr gut, wie das Restaurant geführt wurde weniger. Trotzdem sei es schade, dass das Container-Dorf seine Türen schließen musste. „Ein paar Angestellte haben geweint“, erzählt Lilia. Während das Benu ausschließlich ungenutzte Lebensmittel benutzte, kauft die „Stëmm vun der Stross“ verschiedene Produkte hinzu.
Die überwiegende Mehrheit der Produkte erhält die „Stëmm“ kostenlos – beispielsweise von Delhaize oder der Metzgerei Renmans. Die „Banque alimentaire asbl.“ liefert Trockenprodukte wie Öl, Mayonnaise oder auch Reis. Die meisten Produkte bekommt die „Stëmm“ allerdings von Auchan. Seit 2009 arbeitet die Hilfsorganisation mit der Supermarktkette zusammen – mittlerweile erhalten sie so jedes Jahr 125 Tonnen noch verzehrbare Nahrungsmittel mit kurzem Haltbarkeitsdatum. Die 16 Fahrer, die „Caddy“ beschäftigt, holen die Lebensmittel jeden Tag bei Auchan ab und liefern sie danach in die jeweiligen Küchen. Einer der ausgebildeten Köche überprüft dann die Ware. „Man muss sortieren und Fotos vom Fleisch machen, um die Rückverfolgbarkeit zu garantieren“, sagt die „Caddy“-Verantwortliche. „Wir erhalten teilweise so viele Lebensmittel, dass wir es uns überhaupt nicht erlauben können, sie zu lange bei uns aufzubewahren.“
„Stëmm Caddy“
Neben der Küche befinden sich in dem Gebäude in Sanem noch weitere Initiativen. Dazu gehört unter anderem die soziale Immobilienagentur „Immo Stëmm“, die versucht, den Immobilienmarkt für Menschen mit geringem Einkommen zugänglich zu machen. „Schweessdrëps“ reinigt des Weiteren die Uniformen von Sportvereinen. Auch hier arbeiten Menschen, die von einer beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahme profitieren.
„Gute Atmosphäre“
Während Lilia mir von ihrer Zeit beim Benu erzählt, beobachtet Morad meine Schneidkunst und gibt mir ein freundliches Daumen-hoch. Er holt mir einen Behälter und stellt ihn neben mich, damit ich die Abfälle schneller entsorgen kann. Am anderen Ende des Raumes hat Lucia gerade die Kerne aus dem frisch gepressten Saft entfernt und bietet mir ein Glas an. Heute ist es Orange, Banane und Clémentine. Um 10 Uhr ist Pause angesagt. Langsam leeren sich die Küchenräume. Die Kaffeemaschine im Aufenthaltsraum wird angeschmissen, die Esstische füllen sich und es entsteht ein beschäftigtes Schwatzen.
„Wir versuchen immer, eine gute Atmosphäre zu schaffen“, sagt Maxime De Azevedo. Er ist einer der beiden Sozialpädagogen, die sich um das Küchenpersonal kümmern – ihre Arbeit geht allerdings weiter. Es geht nämlich auch darum, pädagogische Elemente in den Alltag der Mitarbeiter zu integrieren. „Wir begleiten nebenbei auch das gesamte pädagogische Projekt der Personen. Falls sie beispielsweise einen Brief von der Steuerverwaltung oder vom ONIS nicht verstehen, sind wir die erste Kontaktperson“, erklärt Maxime. Und: Wenn jemand Französisch lernen muss, dann muss sie nur 20 bis 30 Stunden pro Woche in der Küche arbeiten. Die restliche Zeit belegt sie dann Französischkurse. Eine Person, die hingegen eher Probleme mit Verlässlichkeit und Pünktlichkeit hat, wird anders begleitet. „Wir passen unsere Begleitung immer an“, sagt Maxime.
Mit Erfolg. Hassan erzählt mir während der Pause, dass er sehr zufrieden im Betrieb ist. „Es fühlt sich zum Teil wirklich wie eine Familie an, nicht wie Arbeit“, sagt der 40-Jährige auf Englisch. Er arbeitet seit einem Jahr in der Küche der „Stëmm vun der Strooss“ und hat mehr als 15 Jahre Berufserfahrung als Koch. Hassan kommt ursprünglich aus Irak, lebt nun seit neun Jahren in Luxemburg und wohnt momentan in Düdelingen. Luxemburg findet er „super“.
Chefkoch David Porée du Breil ist glücklich, einen erfahrenen Koch wie Hassan neben sich zu haben. David ist einer der beiden professionellen Köche und kümmert sich, neben der Ausbildung des Personals, ebenfalls um die Planung der Menüs. Eine Herausforderung, denn die Produktion muss spontan an die gelieferten Lebensmittel angepasst werden. „Wir müssen mit dem auskommen, was wir haben“, sagt der 48-Jährige. Er kommt aus der klassischen Gastronomie und arbeitet nun seit anderthalb Jahren für die „Stëmm“ – diese umgekehrte Arbeitsweise war also neu für ihn. David hat 28 Jahre Berufserfahrung und hat schon für den französischen Präsidenten Jacques Chirac gearbeitet.
„Höhen und Tiefen“
Die Pause ist vorbei, Hassan stellt sich wieder hinter den Herd. Er kümmert sich hauptsächlich um das Anbraten und Kochen. Doch hier wird nicht im kleinen Topf gekocht: Der Iraker schmeißt die Fleischmasse mit einer Art Handschaufel in den heißen Gastronormbehälter, Dampf schlägt ihm ins Gesicht, bevor die Abzugshaube den Dunst absaugt. Das geht noch eine Weile so weiter, bis gegen Mittag dann Pause und Essen angesagt ist.
Auf der Speisekarte steht heute: „Steak de boeuf, pommes de terre, salade ou légumes“. Mehr Details gibt es nicht, denn das Dokument wurde vorige Woche angefertigt, als noch nicht gewusst war, welche Lebensmittel zur Verfügung stehen würden. „Morgen gibt es Fajitas mit Schweinefleisch und ich glaube, wir werden genug für Esch und Ettelbrück haben“, meint David Porée du Breil.
In der Küche wird ebenfalls das Essen für alle Angestellten des „Caddy“-Gebäudes zubereitet. Maxime De Azevedo sitzt ebenfalls am Tisch. „Das, was mir am besten gefällt, ist, wenn jemand von außerhalb mit einer voreingenommenen Idee zu uns kommt und das Gebäude am Ende des Tages mit dem realen Bild wieder verlässt“, sagt der Sozialpädagoge. Und das komme regelmäßig vor. Verschiedene Medien würden oft ein eher negatives Bild von Geflüchteten vermitteln – das meiste davon stimme nicht.
Die Arbeit ist den Pädagogen der „Stëmm“ wichtig, das geht aus den Gesprächen klar hervor. Sandra Cantin arbeitet seit 10 Jahren bei der „Stëmm vun der Strooss“ und kümmerte sich vor dem Umzug des „Caddy“ vergangenes Jahr nach Sanem bereits in Hollerich um die Initiative. „Meine Kollegen und ich tun alles, was wir können, um den Menschen hier zu helfen – und manchmal mehr“, sagt die ausgebildete Sozialpädagogin. „Es gibt zwar Höhen und Tiefen, aber die Entwicklung bei den Menschen zu sehen, fühlt sich sehr gut an.“
Spenden
Spenden könne per Banküberweisung auf das Konto der „Stëmm vun der Strooss“ LU63 0019 2100 0888 3000 bei der BCEE überwiesen werden.
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Eng gudd Saach!
Mais do geseit een, wei d’Unzuel vun den Bedueftegen hai am reichen Luxusbuerg zouhoelt.
Ech froen mech emmer, wat mat den ofgelafenen Iesswueren am Luxus-Supermarche Ca… S geschitt. Dreckskescht ? Well d’Mataarbechter dierfen jo neischt mat heem huelen. Dat wier jo geklaut a ging rechtlech Mossnahmen mat sech zeihen.
@ plop / nicht verzagen, Ca… S fragen! 🙂