Editorial / Kuriose Talfahrt: Wieso der Gaspreis mitten in der Energiekrise in den Keller rutscht
„Die gute Nachricht ist: Der Gaspreis fällt“, sagte Energieminister Claude Turmes vor dem EU-Treffen auf Kirchberg. Das sei natürlich Ergebnis des milden Wetters – aber auch „mutiger politischer Entscheidungen“. Zum Beispiel, dass es jetzt obligatorisch sei, seine strategischen Gasspeicher zu füllen. Oder die berühmte 15-Prozent-Gassparmarke der Union. Mutige politische Entscheidungen eben. Nun ja.
Wie sehr diese Brüsseler Energiespar-Entscheidungen tatsächlich Einfluss auf die Gasversorgung genommen haben, werden wir wohl erst nach diesem Winter wissen. Derzeit könnten andere Determinanten allerdings durchaus einen größeren Effekt auf die Preisverschiebungen an den Gasbörsen gehabt haben. Beginnen wir mit dem unkomplizierten Teil. Minister Turmes erwähnte es: das Wetter.
Dass das „mild“ war, ist eine charmante Untertreibung. Der Standard berichtet, dass dieser Oktober der „wärmste in der 256-jährigen Geschichte im Tiefland Österreichs werden wird“. Auch die Schweiz erlebt laut Neuer Zürcher Zeitung „den wärmsten Oktober seit Messbeginn vor 158 Jahren“. Im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen wird angesichts der Prognosen für die kommenden Tage der Temperaturrekord von 2001 geknackt – und der Oktober 2022 der „wohl wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen“, die bis 1881 zurückgehen. „Eindeutig eine Folge des Klimawandels“, zitiert der Westdeutsche Rundfunk einen Wetterexperten. Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet ein grüner Energieminister darin derzeit etwas Gutes finden muss.
Neben dem Wetter gibt es aber noch komplexere Faktoren, die den Gaspreis in den Keller haben rutschen lassen. Zum Beispiel die europäische Gasinfrastruktur. Die nationalen Gasnetze sind an einigen, wenigen Übergangspunkten miteinander verbunden. Luxemburg hat zum Beispiel zwei Anschlüsse ans belgische Netz und einen ans deutsche. Die Röhren aus Belgien sind so groß, dass die Kapazität gerade so ausreichen würde, um Luxemburg von Westen her im Winter komplett zu versorgen, falls die deutsche Verbindung nicht funktioniert. Eine potenziell enge Kalkulation, zieht man in Betracht, dass Deutschland selbst – anders als in den vergangenen Jahren – aus offensichtlichen Gründen gerade kein Gas nach Luxemburg exportiert.
Zwischen Frankreich und dem Großverbraucher Deutschland gibt es ebenfalls einen kuriosen Flaschenhals. Denn zwischen den beiden Ländern gibt es nur eine einzige Pipeline – beim saarländischen Medelsheim übertritt sie die Grenze. Seit Mitte Oktober fließt darüber Gas vom Hexagon in die Bundesrepublik. Das zu ermöglichen, war gar nicht so einfach. Denn die ursprüngliche Leitung war darauf ausgelegt, dass das Gas nur in eine Richtung strömte – und zwar andersherum. Es mussten also einige „Anpassungen vorgenommen werden“, wie die Tagesschau berichtet.
Eng geht’s auch an anderen Grenzen zu – zum Beispiel an der zwischen Spanien und Frankreich. Spanien besitzt die größten LNG-Verflüssigungsterminals in der EU – ein Drittel der Gesamtkapazität, wie die Deutsche Welle berichtet. Sieben der 26 europäischen LNG-Terminals sind auf der Iberischen Halbinsel. Nur: In den Rest der Union führen nur zwei Gasrohre. Und so kommt es, dass volle LNG-Tanker an den spanischen Küsten nicht entladen werden und auf See herumirren. Die Speicher vor Ort sind voll, die Pipelines überlastet – und der Verbrauch dank des warmen Wetters unüblich gering.
Dass der Preis dann fällt, ist einfach nur: Markt. So verrückt es sich auch anhören mag, Energieexperten hielten in der vergangenen Woche sogar Negativpreise beim Gas für möglich – mitten in der größten Energiekrise, die Europa jemals zu bewältigen hatte.
Wessen es derzeit bedarf, sind offensichtlich nicht nur mutiger, sondern weiser Entscheidungen.
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Dank mutiger politischer Entscheidung?Dann wird ja jetzt auch der Sprit und das Heizöl billiger.Oder?
Jaja, man wird als Verbraucher nur von Vorne bis Hinten ver*rscht. Die Preise werden kurzfristig sinken aber keinesfalls den Marktpreis wiederspiegelnd. Die Konzerne können schließlich jetzt nicht weniger Gewinn machen als gestern. Vielleicht setzt sich nächstes Jahr, nach der Ukrainekrise, noch die Vernunft durch bevor es heikel wird.
„Mutige politische Entscheidungen!“ Majo Här Turmes, da kuckt, dass d’Nord Stream ll opgeet. De Putin ass net ofgeneigt, t’ass juste är däitsch Parteifrëndin Baerbock wat weider bockt. Tockskäppeg wéi den Suppenkaspar aus dem Struwwelpéiter…. „Nein, ich will die Suppe (Gas) nicht!“