/ Kurs auf No-Deal-Brexit: Europäische Staaten gewähren May Verlängerungen
Am Freitag in einer Woche sollte das Vereinigte Königreich um Mitternacht aus der Europäischen Union ausscheiden. Doch nun haben die 27 EU-Staaten den Briten zwei Verlängerungen gewährt: eine bis zum 12. April, eine andere bis zum 22. Mai. Wie es ausgehen wird, wird sich in den kommenden Tagen zeigen.
Jene Staats- und Regierungschefs, die am Donnerstag beim Eintreffen im Ratsgebäude danach gefragt wurden, blieben höflich und gaben an, die Geduld mit London noch nicht verloren zu haben. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wunderte sich gar, wie lang sein Geduldsfaden doch sei. Manchen war jedoch anzumerken, dass das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Nicht nur was die Entscheidungsfindung in Großbritannien im Rahmen des Austrittsprozesses anbelangt.
Bereits das am Vortag bei EU-Ratspräsident Donald Tusk eingegangene Gesuch der britischen Premierministerin Theresa May um eine Verlängerung der Austrittsfrist dürfte für weiteren Unmut bei den 27 gesorgt haben. Denn die britische Regierungschefin gab keinen Hinweis darauf, wie sie gedenke, den Brexit-Deal dennoch fristgerecht durchs Unterhaus zu bringen. Die Antwort des Ratspräsidenten folgte denn auch auf dem Fuß: Verlängerung ja, aber unter der Bedingung, dass das britische Unterhaus kommende Woche dem vorliegenden Brexit-Abkommen zustimmt.
Diese Vorgabe wurde am Donnerstag von allen geteilt. Und hatte Donald Tusk am Vortag noch Bedenken hinsichtlich des von Theresa May für die Verlängerung gewünschten Datums – bis zum 30. Juni – geäußert, waren sich die 27 einig, dass der Austritt noch vor den Europawahlen über die Bühne gehen müsse, also spätestens am 22. Mai.
Bettel: „Kommt nicht infrage“
„Kommt nicht infrage“, dass bis zum 30. Juni verlängert wird, sagte etwa der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel. Die EU könne keine Europawahlen abhalten, ohne zu wissen, was mit Großbritannien geschieht. „Das mache ich nicht mit“, so Bettel knapp. Eine Verlängerung bis nach den Europawahlen wäre daher „katastrophal“. Ohnehin sei es „absurd“, wenn ein Land, das die EU verlassen wolle, noch im Mai
Europaabgeordnete wählen würde, fand der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz.
„Wenn es zu einer Verlängerung kommt, kann es nur eine technische sein“, machte der französische Präsident Emmanuel Macron deutlich. Will heißen: Wenn das britische Unterhaus nächste Woche dem Brexit-Deal wider Erwarten zustimmen sollte, müsste der britischen Regierung die Zeit gegeben werden, den notwendigen Gesetzesprozess für den EU-Austritt abzuschließen. Zudem muss ebenfalls das Europäische Parlament dem Brexit-Abkommen, der politischen Erklärung über die künftigen Beziehungen und möglicherweise der jüngst in Straßburg zwischen Theresa May und dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker vereinbarten zusätzlichen Erklärung zum sogenannten Backstop zustimmen. Das EP wird bereits kommende Woche in Straßburg tagen. Die EU-Parlamentarier werden zum letzten Mal vor den Wahlen Mitte April zusammenkommen, seien aber bereit, eine außerordentliche Sitzung abzuhalten, wenn es erforderlich wäre, sagte EP-Präsident Antonio Tajani am Donnerstag.
Am Ende der Verhandlungen kamen die 28 in der Nacht dann zu folgender Einigung: Sollte kommende Woche das Unterhaus dem Brexit-Deal zustimmen, wird London eine Verlängerung bis zum 22. Mai gewährt. Sollte das Abkommen abermals abgelehnt werden, haben die Briten bis zum 12. April Zeit, um zu entscheiden, ob sie an den Europawahlen teilnehmen oder nicht. Damit würden sie auch über einen harten Brexit oder einen weiteren Verbleib in der Europäischen Union entscheiden.
Unterhaus dürfte dagegen stimmen
Viel länger als geplant wurde am Donnerstagabend über den britischen Fall und das geeignete Verlängerungsdatum diskutiert. Für den weiteren Verlauf des Brexit-Prozesses wird es aber darauf ankommen, ob May kommende Woche eine Mehrheit im Unterhaus erhält. Was eher nicht der Fall sein wird. Das habe der Labour-Chef Jeremy Corbyn beim Treffen der Europäischen Sozialdemokraten am Rande des EU-Gipfel erklärt, sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, der an diesem Treffen teilgenommen hat.
„Bei einer negativen Abstimmung gehen wir auf einen No-Deal zu“, sagte Emmanuel Macron. Dem Xavier Bettel zustimmte: Wenn es keine Mehrheit kommende Woche im Parlament in London gebe, „dann sind wir beim No-Deal“. Und in diesem Fall „müssen wir uns nächste Woche wieder treffen“, meinte Jean-Claude Juncker. Das dürfte aber nun hinfällig sein, nachdem den Briten die Möglichkeit eingeräumt wurde, ihren Verbleib in der Union zu verlängern. Oder dennoch einen ungeregelten Brexit in Kauf zu nehmen.
Spekuliert wird etwa, dass im Falle eines neuerlichen Rückschlags, Theresa May politisch nicht überleben und es zu Neuwahlen in Großbritannien kommen könnte. Diese würde neue Möglichkeiten für den Brexit eröffnen. Da diese jedoch nicht in wenigen Monaten umgesetzt werden können, müssen die Briten an den Europawahlen teilnehmen.
Die britischen Abgeordneten haben also nun die Wahl. Entweder sie nehmen das Abkommen an und bekommen einen geregelten Austritt. Oder sie lehnen das Abkommen ab. Dann haben sie nur noch die Möglichkeit eines harten Brexit. Oder es kommt überhaupt nicht zum Brexit. Vor allem die Hardliner unter den Brexiteers dürfte das letzte Szenario abschrecken.
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