/ Kurz in der Daten-Bredouille: Kanzler-Mitarbeiter schredderte unter falschem Namen Festplatten
Eine mysteriöse Datenvernichtung bringt Ex-Kanzler Sebastian Kurz ins Schlingern. Wilde Spekulationen über den Inhalt von geschredderten Festplatten aus dem Kanzleramt dominieren den Wahlkampf in Österreich.
Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien
Eine Woche tourte der ÖVP-Chef durchs Silicon Valley. Mit der Reise wollte sich der Jung-Altkanzler als Digital Native inszenieren, der mit den Großen der Internetindustrie auf Du und Du ist. Apple-Chef Tim Cook, Uber-CEO Dara Khosrowshahi und Netflix-Boss Reed Hastings nahmen sich Zeit für den alpenrepublikanischen Wahlkämpfer, an dessen Kanzler-Comeback bislang kaum jemand zweifelte. Doch der Trip ins Mekka der Datenkraken wird überschattet von einer Datenaffäre daheim, zu der sich Kurz gar nicht äußern mochte. Drängende Fragen der mitreisenden Journalisten blockt er ab. Nur kurz angebunden hatte er in Palo Alto gesagt: „Das ist ein üblicher Vorgang.“
Anzeige nach Datenvernichtung
Ganz so üblich war die Aktion freilich nicht, die sein Mitarbeiter im Kanzleramt im Mai gestartet hatte. Wenige Tage vor dem Sturz der ÖVP-Minderheitsregierung, die Kurz nach dem vom Ibiza-Skandalvideo ausgelösten Bruch mit der FPÖ bis zur Neuwahl Ende September führen wollte, war ein gewisser Arno Maislinger bei der Firma Reisswolf aufgetaucht.
Das Unternehmen ist eigenen Angaben zufolge „europaweit führend in der Akten- und Datenvernichtung“. Genau diese Dienste wollte der junge Mann in Anspruch nehmen. Und zwar gründlichst. Die fünf Festplatten, die er dabei hatte, sollten nicht nur einmal durch den Schredder, sondern gleich dreimal. Er bestand darauf, die Arbeit der Maschine persönlich zu überwachen und den von ihr ausgespuckten Schrott ließ er nicht entsorgen, sondern nahm ihn wieder mit. Den Reisswolf-Mitarbeitern kam der ziemlich nervös wirkende Mann seltsam vor.
Villa auf Ibiza
Als der Kunde nach der Aktion den Rechnungsbetrag von 76 Euro zu überweisen vergaß, googelte die Firma dessen Telefonnummer und fand heraus: Herr Maislinger hatte einen falschen Namen angegeben. Kurz darauf entdeckte ein Reisswolf-Mitarbeiter den säumigen Kunden im Fernsehen. In einem ORF-Bericht unmittelbar nach Kurz’ Sturz war der Mann hinter dem nunmehrigen Ex-Kanzler zu sehen. Mit einer Anzeige wegen der nicht bezahlten Rechnung kam der Fall ins Rollen und landete bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft, wo inzwischen die „Sonderkommission Ibiza“ ermittelt.
Damit ist die Affäre an dem Punkt angelangt, wo die Malaise der Kurz-Regierung begonnen hatte: Beim Skandal um das 2017 in einer Villa auf Ibiza heimlich gefilmte Gespräch des damaligen FPÖ-Chefs und späteren Vizekanzlers Heinz-Christian Strache mit der vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen, in dem es um illegale Parteispenden und die Anbahnung sonstiger korrupter Machenschaften im Fall einer FPÖ-Regierungsbeteiligung ging.
Gegenstand von Ermittlungen
Die Mitte Mai vom Spiegel und der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Aufzeichnungen verursachte in Wien das politische Erdbeben. Auf den Trümmern der türkis-blauen Regierung versucht sich die FPÖ seither als Opfer zu inszenieren.
Da kommt die Datenaffäre im Kanzleramt sehr gelegen. Sie liefert Stoff für Straches Verschwörungstheorie, die er seit seinem Rücktritt unters Volk zu bringen versucht. Der ehemalige Koalitionspartner zählt dabei für die Rechtspopulisten zu den Verdächtigen. Die These: Die ÖVP wusste längst von der Existenz des Ibiza-Videos und wollte es einsetzen, um aus Neuwahlen gestärkt hervorzugehen. Wer den deutschen Medien das Video zugespielt hat, ist Gegenstand von Ermittlungen. Für eine ÖVP-Connection gibt es bislang keinen Beweis.
Wilde Spekulationen
Die Kurz-Truppe ist jedoch hochnervös: Im Juni trat Kurz die Flucht nach vorn an und veröffentlichte selbst angeblich gefälschte E-Mails, die Medien als Beweis dafür zugespielt worden waren, dass er von dem Video schon lange wusste.
Der Schredder-Affäre nützt nicht nur die FPÖ für wilde Spekulationen. Denn alle Parteien mit Ausnahme der ÖVP sind sich einig, dass diese Aktion zum Himmel stinkt. Das Vernichten von Daten bei einem Regierungswechsel mag zwar, wie Kurz sagt, üblich sein. Doch nicht auf diese Weise.
„Was wollte man hier vonseiten des ÖVP-Kanzleramtes vertuschen?“, fragt der gerade wieder auf Ibiza urlaubende Ex-FPÖ-Chef Strache. Und nicht nur er fragt sich das. Auch SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda will wissen: „Was wollte Kurz verheimlichen?“
Angst vor roten Beamten
Nichts, sagte Kurz gestern nach der Rückkehr aus Amerika. Die Aktion seines Mitarbeiters sei eine „Schlamperei“ gewesen, auf den Datenträgern habe sich aber „nichts Relevantes“ befunden, das man aufheben hätte müssen. Außerdem habe er von der Aktion „nichts gewusst“.
ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer rechtfertigt die dem österreichischen Bundesarchivgesetz widersprechende Datenvernichtung mit der Angst vor einer roten Verschwörung. Im Kanzleramt residierten nämlich viele Jahre hindurch Sozialdemokraten, was bis heute in der Zusammensetzung der Beamtenschaft nachwirkt. Die ÖVP befürchtete, dass nach dem Abgang von Kurz SPÖ-nahe Beamte den Genossen Daten für den Wahlkampf zuspielen könnten.
Nichts Relevantes
Wegen dieses Generalverdachtes hat sich die ÖVP nun auch noch den Zorn der ihr eigentlich nahestehenden Beamtengewerkschaft zugezogen. Die Daten auf den vernichteten Festplatten wären freilich völlig wertlos für allfällig geplantes „Dirty Campaigning“, wenn tatsächlich, wie Kurz sagt, nichts Relevantes darauf abgespeichert war.
Voraussichtlich im August wird sich das Parlament in einer Sondersitzung mit der Affäre befassen, die den bislang unangreifbar wirkenden ÖVP-Chef plötzlich verwundbar und gar nicht mehr so souverän wirken lässt. Den wildesten Spekulationen sind Tür und Tor geöffnet. Der Nachweis, dass die fünf Festplatten wirklich völlig harmlose Daten enthielten, ist nicht mehr zu erbringen. Dafür hat „Arno Maislinger“ seinen Auftrag zu perfekt ausgeführt.
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„Kurz in der Daten-Bredouille“
Kurz? Oder etwas länger.