Österreich / Kurz vorm Wahltag schwimmen der in Umfragen (noch) führenden FPÖ die Felle davon
Die Hochwasser-Katastrophe in Österreich verwässert die Siegeschancen der Rechtspopulisten. Die Flutwelle könnte die sich auf allen Ebenen als Krisenmanager inszenierende ÖVP bei der Wahl am übernächsten Sonntag doch noch auf Platz eins spülen.
Der auf den Wahlplakaten schon „Fünf gute Jahre“ mit ihm als „Volkskanzler“ versprechende FPÖ-Chef stapfte vorigen Samstag in einen Wald, stellte sich in Regenjacke vor eine Kamera und sprach für ein im Web verbreitetes Video seinen „lieben Freunden“ Mut in dieser „schweren Regenwalze“ zu, dankte den Einsatzkräften und verabschiedete sich ungewöhnlich empathisch: „Solltet Ihr unterwegs sein, passt gut auf Euch auf und kommt gesund nach Hause!“
Aufmerksamkeitsdefizit
Das Filmchen war der verzweifelte Schrei nach Aufmerksamkeit eines Wahlkämpfers, dem gerade buchstäblich die Felle davonschwammen. Denn als am Wochenende die Pegel der Bäche und Flüsse in Österreich immer bedrohlicher stiegen und ganze Dörfer in den Wassermassen absoffen, hatte Herbert Kickl keine Chance im polit-aktionistischen Wettbewerb, der natürlich ganz im Zeichen des Wahlkampfes stand, auch wenn dieser offiziell Pause machte. Bereits am Freitag hatte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) alle Wahlkampfauftritte abgesagt und stattdessen den Krisenstab mit Innen- und Verteidigungsministerium einberufen. Die drei ÖVP-Regierungsmitglieder koordinierten die Hilfe mit den Bundesländern, vor allem dem von der Flut hauptbetroffenen, möglicherweise aber auch wahlentscheidenden Niederösterreich, wo ÖVP und FPÖ miteinander regieren. Die türkise Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und ihr für den Katastrophenschutz zuständiger Stellvertreter und Parteifreund Stephan Pernkopf waren geradezu rund um die Uhr in den Medien präsent, um Hilfsmaßnahmen anzukündigen, Betroffenen Mut zuzusprechen und freiwilligen Helfern zu danken. Bis hinunter auf die Gemeindeebene, wo die ÖVP die meisten Bürgermeister stellt, konnte und kann sich die Kanzler-Partei als Schutzmacht der Flutopfer in Szene setzen.
Babler als Feuerwehrmann
Auch Andreas Babler nützte seine Möglichkeiten als Bürgermeister der niederösterreichischen Kleinstadt Traiskirchen. Der SPÖ-Kanzlerkandidat ist dort bei der Freiwilligen Feuerwehr Löschmeister und war in den vergangenen Tagen nur in seiner Uniform zu sehen. Auch er vermittelte das Bild eines Machers, der den Wahlkampf ausgeblendet und nur noch die Nothilfe für die Menschen im Kopf hat. Dass der Wahlkampf keineswegs Pause hatte, war unübersehbar in den sozialen Medien: ÖVP-Gruppen verbreiteten genüsslich das angebliche X-Posting eines Feuerwehrkameraden namens „Rainer“, der versicherte, „dass der Babler noch nie auf einem anderen Einsatz war als heute. Heute war er dort, um sich filmen zu lassen, nicht etwa um zu helfen.“ In der Mitgliederliste der FF Traiskirchen findet sich kein Feuerwehrmann mit diesem Vornamen. Ein anderes Mitglied versichert auf Facebook, dass Babler immer wieder bei Einsätzen dabei sei.
Der SPÖ-Vorsitzende erzielte mit seinem Krisenengagement zwar nicht die mediale Wirkung wie die Regierungspartei, aber nicht einmal da konnte Herbert Kickl mithalten. Der FPÖ-Chef hat keine öffentliche Funktion, die sich in so einer Katastrophe für Inszenierungen nützen ließe. Und er ist auch nicht Freiwilliger bei einer Rettungsorganisation. So blieben ihm und anderen FPÖ-Granden nur die Danke-Videos in Regenjacke vor hochwasserführenden Bächen.
Radikaler Themenwechsel
Die Wassermassen spülten zugleich das bis vor ein paar Tagen die Schlagzeilen dominierende Thema hinweg: Sicherheit, Migration, Terror. Spätestens seit dem verhinderten Terroranschlag auf ein Taylor-Swift-Konzert im August läuft es für die FPÖ nicht mehr ganz rund. Die Festnahme mutmaßlicher IS-Terroristen unmittelbar vor dem Konzert passte zwar noch gut ins rechtspopulistische Portfolio, aber es war die ÖVP mit Innenminister Gerhard Karner, die diesen Erfolg auf ihr Konto verbuchen konnte. Zwar führte die FPÖ in den letzten, vor der Flut gemachten Umfragen noch mit etwa 27 Prozent, doch mit 24 bis 25 Prozent war ihr die ÖVP bereits im Rahmen der jeweiligen Schwankungsbreite auf den Fersen. Die SPÖ verharrt mit knapp über 20 Prozent auf Platz drei und dürfte im Dreikampf um den Chefsessel am Ballhausplatz nicht mehr wirklich mitmischen.
„Koste es, was es wolle“
Und das in den Medien auf Platz eins gespülte Hochwasser-Thema verschwindet nicht mit den sinkenden Pegeln. Die Aufräumarbeiten werden auch am Wahltag noch lange nicht abgeschlossen sein. Jetzt geht es darum, wie rasch die öffentliche Hilfe fließt. Auch da hat die ÖVP den Vorteil, an der Quelle zu sitzen. Obwohl die hoch verschuldete Staatskasse – auch das vor ein paar Tagen noch ein großes Wahlkampfthema – nach Corona, Inflation und Folgenkosten des Ukrainekrieges gar nicht für neuen Katastrophenhilfen gerüstet ist, gilt auch jetzt das vom damaligen Kanzler Sebastian Kurz zu Beginn der Pandemie ausgegebene Motto „Koste es, was es wolle“. Der Katastrophenfonds des Bundes, in dem 300 Millionen Euro lagen, wurde kurzfristig auf eine Milliarde Euro aufgestockt. Wenn das nicht reicht, solle es auch mehr Geld gegeben, versichert die Regierung. Damit das Geld schnell fließt, sollen Geschädigte noch vor Prüfung der Schadenslage Vorschüsse erhalten.
Vor der Flut wurde intensiv diskutiert, welche Sparpakete die nächste Regierung angesichts klammer Finanzen und lahmender Konjunktur schnüren wird müssen. Auch das ist vorerst vom Tisch. Denn der Opposition bleibt nichts anderes übrig, als noch mehr zu fordern. Kickl etwa will einen Rechtsanspruch auf völligen staatlichen Schadensersatz bei Naturkatastrophen – ein Ding der Unfinanzierbarkeit, aber auch ein Mittel im Wettbewerb der Großzügigkeit auf Staatskosten.
Hoffnung für Grüne
Neben der ÖVP darf auch ihr Koalitionspartner auf einen flutbedingten Schub hoffen. Denn plötzlich tauchen in Talkshows und Zeitungsinterviews wieder die Experten auf, die den Österreichern erklären, dass diese Naturkatastrophe als Folge des Klimawandels sicher nicht die letzte dieser Art gewesen und Klimaschutz mehr denn je ein Gebot der Stunde ist. Das durch Kriege und Terror, Teuerung und Rezession auf der Prioritätenliste der Wähler tief nach unten gerutschte Leibthema der Grünen ist plötzlich wieder en vogue. Auch das passt nicht ins Konzept der gegen „Klimahysterie“ und „Öko-Kommunismus“ wetternden FPÖ. In den sozialen Medien kursieren Spott-Memes, wie jenes, das Herbert Kickl bis zum Bauch in den Fluten stehend zeigt, ein Schild mit der Aufschrift „Klimawandel ist eine Lüge“ hochhaltend.
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