Bildung / Kurzsichtigkeit nimmt bedrohliche Ausmaße an: visuelle Beeinträchtigung im Kindesalter, ihre Ursachen und Folgen
Mehr und mehr Menschen haben Sehschwächen und leiden insbesondere unter Myopie. Der Ursprung liegt in der Kindheit und nicht zuletzt an unseren Gewohnheiten – was Folgen für die schulischen Leistungen und das ganze Leben hat. Doch die wichtige Früherkennung mit dem nationalen Bildungsmonitoring EpStan macht Hoffnung. Auch der aktuelle Bildungsbericht geht näher auf die Problematik ein.
Der Englischunterricht war eine Qual. Meine Englischlehrerin in der siebten und achten Klasse war es gewohnt, vieles an die Tafel zu schreiben. Mein Mathelehrer war da nicht anders. Ich besaß zwar schon seit der Grundschule eine Brille, was in den 70er Jahren oft zur Folge hatte, von Mitschülern als „Brillenschlange“ bezeichnet zu werden. Ich verzichtete weitgehend auf das Tragen der ungeliebten Sehhilfe, was meine Kurzsichtigkeit noch verschlimmerte. Die Folge war, dass sich auch meine Leistungen in einigen Fächern verschlechterten, vor allem in Mathe – und ich immer häufiger die Augen zusammenkniff.
Bald ging es nicht mehr ohne Brille – deren Gläser wurden dicker und dicker. Bis mir mein Deutschlehrer mit seiner Herrmann-Hesse-Brille vormachte, wie cool das Brillentragen sein konnte. Seither sind Jahrzehnte vergangenen – und mit ihnen zahlreiche Generationen von Neuerungen im Bereich der Ophthalmologie, der Augenheilkunde. Meine Kurzsichtigkeit stagnierte irgendwann mal bei minus zehn Dioptrien. Während vor einigen Jahren meine Alterssichtigkeit begann, ging meine Myopie, meine Kurzsichtigkeit, sogar etwas zurück.
Heute ist Schätzungen zufolge rund ein Viertel der Weltbevölkerung kurzsichtig. Gemäß der sogenannten Gutenberg-Gesundheitsstudie sind es zum Beispiel in Deutschland sogar 35 Prozent. Etwa zwei Drittel benötigen insgesamt eine Sehhilfe. In Luxemburg wird es nicht anders sein. Die Ophthalmologen gehen von einer steigenden Tendenz aus. In Europa und Nordamerika hat sich die Zahl der Fälle in den vergangenen 30 Jahren bereits verdoppelt. Unter Jugendlichen ist der Anteil Kurzsichtiger mit mittlerweile knapp 50 Prozent besonders hoch. In Europa sind elf Prozent der Sieben- bis Zehnjährigen und 20 bis 30 Prozent der 11- bis 17-Jährigen kurzsichtig. Tendenz steigend.
Generation „myop“
Einige Wissenschaftler sprechen bereits von einer „Kurzsichtigkeitsepidemie“. Dass vor allem Jugendliche unter der Sehschwäche leiden, nimmt bedrohliche Züge an. Denn nicht wenige sind schwerstkurzsichtig, und bis zum Jahr 2050 könnte fast eine Milliarde Menschen ihr Augenlicht verlieren. Unter den Jugendlichen in Ostasien ist eine deutliche Mehrheit davon betroffen, in der südkoreanischen Hauptstadt Medienberichten zufolge sogar 95 Prozent der Zwanzigjährigen. Mittlerweile ist von einer „Generation kurzsichtig“ die Rede.
Die Ursachenforschung hat sich lange Zeit schwergetan, deutliche Faktoren zu benennen. Mangelndes Tageslicht ist einer, ein weiterer – darüber besteht größtenteils Einigkeit – das sogenannte Nah-Sehen vor allem in der Kindheit. Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen Nah-Sehen und Kurzsichtigkeit gibt. Dabei spielen das Smartphone und Tablets eine entscheidende Rolle. Augenärzte machen für den die Kurzsichtigkeit vor allem ein zu langes Lesen und eine zu intensive Nutzung des Smartphones verantwortlich. Weil durch das Nah-Sehen das Auge ständig nah fokussieren muss, wird der Augapfel länger, sodass in der Nähe scharf gesehen werden kann, aber weit entfernte Objekte nur verschwommen wahrgenommen werden.
Die Schüler sollten in der Pause jedenfalls raus ins Freie, ihren Augen eine Pause gönnen und von Bildschirmen wie Tablets oder Smartphones ablassen„Centre pour le développement des compétences relative à la vue“
„Eine Myopie beginnt meist im Grundschulalter und nimmt bis ins Erwachsenenalter zu“, erklärt die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft und fügt hinzu: „Je früher sie einsetzt, desto stärker ist ihr Ausmaß.“ Denn der Augapfel kann bis ins Erwachsenenalter wachsen. Es muss also etwas dagegen unternommen werden, sonst kann sich die Kurzsichtigkeit verschlimmern. Doch was kann für die Sehkraft präventiv getan werden? Welche Gegenmittel gibt es? Tageslicht hilft jedenfalls, also sich oft im Freien aufhalten, denn es hemmt das Längenwachstum des Augapfels – das belegen mittlerweile zahlreiche internationale Studien. Ebenso wichtig ist es, den Blick in die Weite schweifen zu lassen. Auf die Schule bezogen, bedeutet dies: „Die Schüler sollten in der Pause jedenfalls raus ins Freie, ihren Augen eine Pause gönnen und von Bildschirmen wie Tablets oder Smartphones ablassen“, rät Jean-Pierre Engel vom „Centre pour le développement des compétences relative à la vue“ (CDV). „Für jüngere Schüler bedeutet das, dass sie lieber draußen mit anderen spielen sollen.“
Schädliches Nah-Sehen
Der Experte kann die genannten Trends zu einer weiteren Verbreitung der Kurzsichtigkeit bestätigen. „Es liegt an unserer ‚hygiène de vie‘. Denn eigentlich sind unsere Augen dazu gemacht, um in die Weite zu sehen“, erklärt er, „also etwa sechs bis acht Meter oder darüber hinaus. Das Nah-Sehen widerspricht daher den Bedürfnissen unserer Augen. Nur haben wir heute leider verstärkt die Gewohnheit, in die Nähe zu sehen.“ Das verstärke die Häufigkeit von Sehfehlern. Engel empfiehlt eine breite Sensibilisierung der Gesellschaft in dieser Hinsicht. Was angesichts der zunehmenden Digitalisierung schwierig ist. Weil bei der Bildschirmarbeit die Lidschlagfrequenz sinkt und damit die Augen trocken werden, empfiehlt es sich, häufiger bewusst zu blinzeln. Für Eltern gilt, ihre Kinder nur über eine begrenzte Zeit an den Bildschirm zu lassen. Und sie draußen spielen zu lassen. Kinder sollen wenigstens zwei Stunden pro Tag im Freien sein, um die Augen zu entlasten.
Übrigens ist Kurzsichtigkeit auch vererblich. Je stärker die Vorbelastung durch die Eltern, desto höher das Risiko. Wenn beide Elternteile kurzsichtig sind, steigt das Risiko der Kurzsichtigkeit. Umso wichtiger ist es, sich früh vom Augenarzt untersuchen zu lassen. Augenärzte raten davon ab, Kinder bis zu einem Alter von drei Jahren überhaupt auf Computerbildschirme, Smartphones oder Tablets schauen zu lassen. Für Kinder wie auch für Erwachsene gilt außerdem, spätestens zwei Stunden vor dem Zubettgehen aufs Handy oder Computer zu verzichten: Grund ist der Blauanteil des Lichts, das die Monitore ausstrahlen.
Ein Irrtum ist es dagegen, dass mit dem Training der Augenmuskel die Myopie verhindert werden kann. So wie manche Methoden in eine Sackgasse führten. Dagegen hat es sich erwiesen, dass In-die-Ferne-Schauen gesund ist. Andersherum gefragt: Ist Kurzsichtigkeit eine Krankheit? Sicher ist, dass stark Kurzsichtige eine erhöhte Gefahr laufen, Probleme mit der Netzhaut zu bekommen, wenn diese sich abzulösen beginnt, und an Grauem Star zu erkranken. Regelmäßige Kontrollen sind daher wichtig. Wenn also Kinder und Jugendliche lange Zeit in geschlossenen, schlecht ausgeleuchteten Räumen ihre Augen vor allem mit Lesen oder an einem Bildschirm verbringen, begünstigt dies die Entwicklung von Kurzsichtigkeit. Aber ob zwei Stunden Tageslicht die Gefahr dämmen? In Asien zum Beispiel werden mittlerweile gezielt Schulzimmer mit großen Fenstern gebaut. Ein US-Forscher konnte mittels einer Langzeitbefragung kalifornischer Kinder herausfinden, dass zwei Stunden Outdoor-Aktivitäten täglich deutlich das Risiko einer Kurzsichtigkeit verringern.
Ein chinesisches Forscherteam der Universität in Guangzhou hat Berichte aus 50 Ländern ausgewertet und warnt vor einer „globalen Gesundheitsbelastung“. Die Kurzsichtigkeitsraten variieren weltweit je nach Region. In Japan etwa leiden Schätzungen zufolge 85 Prozent der Kinder unter Myopie. In China liegt diese in verschiedenen Regionen bei Studenten bei etwa 90 Prozent. In Taiwan ging die Zahl der Kurzsichtigen zum ersten Mal seit vielen Jahren zurück, als man dafür sorgte, dass die Kinder mindestens zwei Stunden am Tag draußen verbrachten und außerdem alle halbe Stunde das Lesen für zehn Minuten unterbrachen.
Auswirkungen auf Kompetenzen
In dem jüngsten nationalen Bildungsbericht 2024 vom Script und dem Luxembourg Centre for Educational Testing (Lucet) ist den visuellen Beeinträchtigungen ein Kapitel gewidmet. Darin heißt es: „Visuelle Beeinträchtigungen haben direkte Auswirkungen auf das Lernen und somit auf schulische Leistungen.“ Daher sei die frühzeitige Erkennung gefährdeter Kinder sehr wichtig. Besonders anfällig seien Kompetenzen wie Lesen, Schreiben, Mathematik, Konzeptualisierung, Bewegung und Interaktion mit dem Umfeld.
Um das Risiko visueller Beeinträchtigungen zu minimieren, kooperieren das Lucet mit dem CDV. Während das Lucet für das nationale Bildungsmonitoring „Epreuves standardisées“ (EpStan) zuständig ist, gehören zu den CDV-Aufgaben individuelle Untersuchungen der visuellen und neurovisuellen Fähigkeiten von Kindern im Grundschulzyklus 2.1. Dabei werden Sehschärfe, Farbwahrnehmung und Kontrastempfindlichkeit überprüft.
„So wurden die Daten von 1.129 Kindern im Alter von sieben Jahren analysiert“, erklärt Lucet-Leiterin Sonja Ugen. „Die gleichen Kinder, die die visuellen Aufgaben des EpStan-Prätests absolvierten, nahmen auch an den individuellen Untersuchungen des CDV teil“, heißt es im Bericht. Das Früherkennungsprogramm laufe seit 2022/2023. „Unterschieden wurden vier visuelle Beeinträchtigungen, wobei die Gruppe mit einer herabgesetzten monokularen Sehschärfe in der Ferne am meisten betroffen war in Hinsicht auf die Leistung.“ Die Daten zeigen, dass die Beeinträchtigungen Auswirkungen auf die frühe Lesefähigkeit, Mathematik und Hörverstehen haben – mit den bekannten Konsequenzen.
- Kurzsichtigkeit nimmt bedrohliche Ausmaße an: visuelle Beeinträchtigung im Kindesalter, ihre Ursachen und Folgen - 12. Dezember 2024.
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