Großbritannien / Labour-Chef Starmer räumt Parteilinke zur Seite und zieht damit heftige Kritik auf sich
Fünf Wochen vor dem prognostizierten klaren Sieg bei der Unterhauswahl droht der britischen Labour-Party ein Bürgerkrieg.
Bis weit in die Mitte der Partei hinein besteht Empörung über die Methoden, mit denen der Vorsitzende Keir Starmer verdiente Vertreterinnen des linken Flügels an der Rückkehr ins Parlament hindern will. Eine der Betroffenen erwägt gerichtliche Schritte, eine zweite hat der Parteiführung öffentlich den Kampf angesagt. „Ich werde weiterhin Hackney vertreten, ganz egal wie“, sagte Diane Abbott am Mittwochabend vor Hunderten kurzfristig zusammengekommener Anhänger.
Die Abgeordnete für den Nord-Londoner Wahlkreis Hackney und Stoke Newington gehört zu den Ikonen der harten Linken innerhalb der alten Arbeiterpartei und war eine enge Vertraute des früheren Vorsitzenden Jeremy Corbyn. Hätte dieser 2019 die Unterhauswahl gewonnen, wäre Abbott als Innenministerin für die Kontrolle über Polizei und Geheimdienst verantwortlich gewesen. Stattdessen setzte die heute 70-Jährige ihre Arbeit auf den Hinterbänken der Fraktion fort, wo sie 1987 als erste schwarze Frau im Unterhaus angekommen war.
Im vergangenen Jahr schrieb die stark übergewichtige und an schwerer Diabetes leidende Abgeordnete im Sonntagsblatt Observer, anders als Menschen schwarzer Hautfarbe würden Juden, Iren und Zigeuner nicht tagtäglich mit Rassismus, sondern lediglich mit „Vorurteilen“ konfrontiert. Weil unter Vorgänger Corbyn der linke Antisemitismus Dauerthema gewesen war und viele moderate Wählerinnen abgeschreckt hatte, reagieren Starmer und seine Leute auf solche Äußerungen äußerst empfindlich.
Obwohl Abbott sich umgehend für den Leserbrief entschuldigte, suspendierte die Parteiführung ihre Mitgliedschaft in der Labour-Fraktion. Diese Suspendierung wurde nach mehr als einjähriger Prüfung zwar Anfang der Woche aufgehoben; gleichzeitig aber ließ Starmers Umfeld durchsickern, man wolle das Vorbild für viele politisch aktive junge Frauen aus ethnischen Minderheiten nicht mehr im Parlament haben.
Loyalisten des Parteichefs werden belohnt
Das sei „ungewöhnlich gemein“ und „rachsüchtig“, urteilte eisig der Leitartikler der konservativen Times. Prominente Schwarze wie Lord Simon Woolley sprachen von einem „entscheidenden Moment für ethnische Minderheiten und die Labour-Partei“. Der muslimische Londoner Bürgermeister Sadiq Khan mahnte für die Veteranin Respekt an, „den hat sie verdient“. Ähnlich äußerte sich der Publizist John McTernan, der unter den Labour-Premiers Tony Blair und Gordon Brown wichtige Funktionen hinter den Kulissen wahrgenommen hatte: „Ich komme von einem anderen Parteiflügel, aber ich weiß auch, dass Flugzeuge nur mit zwei Flügeln tauglich sind.“
Weil Abbott kein Einzelfall ist, verdichtete sich am Donnerstag der Eindruck, Starmer wolle alle dezidiert Linken aus der zukünftigen Parlamentsfraktion verbannen. Prominentestes Beispiel ist der Vorgänger Corbyn, der deshalb als Unabhängiger antritt. Gleichzeitig werden Loyalisten des Parteichefs als Labour-Kandidaten in Bezirken belohnt, in denen ihre Wahl als gesichert gelten kann. Dabei wird, was nach den Parteistatuten kurz vor einem Urnengang möglich ist, die Basis von einem Votum ausgeschlossen.
So erhielten am Mittwoch mehrere der Parteiführung genehme Politikerinnen bequeme Wahlkreise zugesprochen. Die Prominenteste unter ihnen ist Georgia Gould, Tochter eines legendären Blair-Beraters und Chefin von Starmers kommunaler Bezirksverwaltung. Hingegen darf in Brighton Kemptown der junge Corbynista Lloyd Russell-Moyle sein Mandat nicht verteidigen. Grund ist eine Beschwerde über sein Verhalten, die der Betroffene als „böswillig“ bezeichnet. Ebenfalls von der Kandidatur ausgeschlossen wurde – wegen vermeintlich antisemitischer Tweets – die junge Muslima Faiza Shaheen; sie war 2019 im Londoner Osten dem früheren Tory-Parteichef Iain Duncan Smith nur knapp unterlegen und besaß diesmal beste Chancen, den reaktionären Rechtsaußen zu besiegen. Shaheen erwägt eine Klage gegen ihre Partei.
Vielfalt der Fraktion gerät außer Acht
Wie der amtierende Tory-Premier Rishi Sunak gehört Starmer dem Unterhaus erst seit 2015 an. Als Leiter der englischen Staatsanwaltschaft war er zuvor mehrere Jahre lang ausdrücklich zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet. Mehr als bei einem 61-Jährigen zu erwarten, scheint Starmer deshalb auf das Urteil jener zu vertrauen, die seit Jahrzehnten professionell (Partei-)Politik betreiben. Die Schlüsselfigur dabei ist sein Kampagnendirektor und vormaliger Bürochef Morgan McSweeney. Dem Iren und seiner „Schar von jungen Männern“ werfen Kritikerinnen seit langem vor, sie seien zu konzentriert auf die Entmachtung der Parteilinken. Darüber gerate die notwendige Vielfalt der Fraktion, also die Berücksichtigung von Frauen oder Angehörigen ethnischer Minderheiten, außer Acht.
Für Abbott immerhin zeichnete sich am Donnerstag eine Kompromisslösung ab. Ihrer Kandidatur stehe „nichts im Weg“, beteuerte Parteivize Angela Rayner. Möglicherweise erhält die Veteranin auch die Zusage auf einen Sitz im Oberhaus – ein seit Jahrzehnten erprobtes Mittel, altgedienten Parlamentariern den Rückzug aus der aktiven Politik zu erleichtern.
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