Interview / Lachsfisch, ein Rennpferd und unfreiwillige Aktualitätsbezüge: Den Atelier bringt Franz Ferdinand in die Rockhal
„Ich heiße superfantastisch, ich trinke Schampus mit Lachsfisch“: Diese fast schon dadaistischen und gleichzeitig sozialkritischen Lyrics wirkten umso kauziger, da sie auf dem Debüt einer schottischen Indieband fungierten, die sonst nur auf Englisch sang und die sich nach dem 1914 ermordeten Erzherzog benannte – ergo nach dem Ereignis, das den Ersten Weltkrieg auslöste.
Franz Ferdinand waren von Beginn an anders als ihre zum Teil aufgelösten, zum anderen Teil oft in die Belanglosigkeit abgedrifteten Bandkollegen von den Kaiser Chiefs, Bloc Party, Maximo Park oder den Futureheads: Sie waren schräger, dandyhafter und ästhetischer. Und jetzt touren sie ihr erstes Best-of „Hits to the Head“ mit neuer Besetzung, während in Europa 108 Jahre nach der Ermordung des Erzherzogs wieder ein Krieg wütet. Das Tageblatt hat sich kurz vor dem morgigen Konzert in der Rockhal mit dem Bassisten Robert Hardy – neben Sänger Alex Kapranos dem einzigen verbleibenden Gründungsmitglied der Band – unterhalten.
Tageblatt: Ihr tourt gerade eure erste Best-of. Fühlt sich dies wie ein Abschluss an – oder eher wie eine Art Rückblick, bevor ihr euch neuen Herausforderungen zuwendet?
Robert Hardy: Es fühlt sich wie eine schöne Art und Weise an, zurückzublicken und Bilanz zu ziehen. Es ist fast so, als ob man den Tisch für die nächsten Karten abräumt. Wir haben zwei neue Songs auf die Best-of gepackt, was eine Art ist, die Richtung vorzugeben, in die die Band in Zukunft gehen könnte. Es ist so etwas wie eine Bestandsaufnahme – und dann geht es weiter.
Ihr wart eine von vielen Bands, die während der Goldenen Ära des Indie-Rocks aufblühten. Viele dieser Bands gibt es heute nicht mehr – oder sie haben ihren Sound verwässert. Wie fühlt es sich an, eine der wenigen zu sein, die überlebt haben?
Ich denke nicht wirklich darüber nach. Wenn ich mich umschaue, sehe ich immer noch Bands, die es schon gab, als wir anfingen, und die immer noch gute Sachen machen – ich denke da beispielsweise an Interpol oder Modest Mouse. Ich bin einfach glücklich, dass ich noch so viel Spaß am Musikmachen habe.
Wie bei vielen dieser Bands – ich denke unter anderem an Bloc Party – gab es auch bei euch einige Besetzungswechsel, die damit begannen, dass Gitarrist und Gründungsmitglied Nick McCarthy die Band verließ. Haben diese Veränderungen euren Sound neu belebt – oder empfandet ihr es eher als traurig, dass Bandmitglieder gegangen sind?
Es ist immer traurig, wenn jemand, mit dem man so lange und eng zusammengearbeitet hat, die Band verlässt – aber Nick ist ja nicht tot (lacht), es ist ja nicht so, dass wir nicht mit ihm reden würden. Gleichzeitig macht es aber auch Spaß, wenn neue Menschen in die Band kommen. Man beginnt, anders zu spielen oder anders zu klingen, was ziemlich aufregend ist. Nehmen wir zum Beispiel Audrey Tait, unsere neue Schlagzeugerin, die letztes Jahr zur Band gestoßen ist. Ihre Anwesenheit verleiht den Dingen wirklich eine ganz andere Energie: Sie ist nicht nur eine fantastische Schlagzeugerin, sondern sie ist auch wirklich begeistert vom Touren. Wenn man wie wir seit 20 Jahren regelmäßig auf Tournee ist, fängt man an, die Dinge für selbstverständlich zu halten. Und dann kommt Audrey, die noch nie so viel international getourt ist, und man lässt sich wahrhaftig von ihrer Begeisterung anstecken. In dem Sinne ist es wirklich eine Art Wiederbelebung.
Gedenkt ihr, diese Energie in das Schreiben neuer Songs einfließen zu lassen?
Ich glaube, dass das Schreiben und Aufnehmen neuer Songs eine Band am Leben erhält. Wenn man aufhört, neue Musik zu machen und nur noch mit früheren Veröffentlichungen auf Tour geht, bedeutet das den Tod einer Band. Es ist der kreative Output, der einen am Laufen hält. Das ist der aufregende Teil für uns. Die Entscheidung, zwei neue Songs auf die „Hits to the Head“-Sammlung zu packen, war für uns selbstverständlich und es gibt auch neue Songs, an denen wir für ein zukünftiges Album werkeln. Es ist wesentlich, kreativ zu bleiben – sonst wird man zu einem Abklatsch seiner selbst.
Etwas, das es euch ermöglicht hat, euch weiterzuentwickeln und eben nicht zu einem Abklatsch eurer selbst zu werden, war die Band, die ihr mit Sparks gegründet habt …
Das hat uns Spaß gemacht. Wir haben eine ganz neue Band gegründet, die wir FFS nannten. Kurz davor hatten wir die Tournee zu unserem vierten Album beendet, und es war eine sehr schöne, recht intensive Schaffens- und Aufnahmephase, gefolgt von einer sehr kurzen Welttournee mit 40 Shows, was für uns wirklich nicht viel ist. In vielerlei Hinsicht fühlte es sich wie eine Pause von Franz Ferdinand an – auch wenn wir immer noch zusammen auf Tour waren. Es war eine Art Erholung, die es uns erlaubte, uns wieder auf unsere Hauptband zu konzentrieren und die folgende Platte „Always Ascending“ mit neuen Erfahrungen aufzunehmen.
Eure Band hatte schon immer etwas Dandyhaftes, Intellektuelles an sich – der Name, die Tatsache, dass einige der Texte auf Deutsch verfasst wurden, der Sinn für Ästhetik. War dies eine selbstbewusste Art, sich von den zahlreichen Post-Punk-Bands, die es zur Jahrtausendwende gab, abzugrenzen – oder war das einfach Teil der Band-DNA?
Ich denke, das ist Teil unserer DNA. Da Nick in Deutschland aufgewachsen ist und Deutsch seine erste Sprache ist, schien dies eine natürliche Sache zu sein. Wir haben ein breites Interesse an allen möglichen Aspekten von Kunst und Kultur – daher auch der Einfluss des Konstruktivismus auf unser Artwork. Wir sammeln all unsere Interessen und lassen sie in die Band einfließen – ich wüsste nicht, wie eine Band anders vorgehen sollte. Wir haben Songs geschrieben, die von Filmen, Büchern oder Gesprächen mit unseren Freunden inspiriert sind. Für mich kann Kreativität nur so funktionieren.
Der Name eurer Band spielt auf das Ereignis an, das den Ersten Weltkrieg auslöste – die Ermordung von Franz Ferdinand durch Gavrilo Princip. Wie fühlt sich das im aktuellen Kontext des Krieges in Europa an?
Wir haben den Namen Franz Ferdinand gewählt, weil es ein Rennpferd namens „The Archduke“ gab, das uns an den Erzherzog Franz Ferdinand denken ließ. Es war damals nicht unbedingt als direkter Bezug zum Krieg zu verstehen. Damals schien der Gedanke an einen Krieg in Europa so weit entfernt zu sein, dass es sich nur um einen historischen Namen handelte, der keinen Aktualitätsbezug mehr hatte. Jetzt ist es wirklich bizarr. Als wir einen Teil unserer Tournee verschoben haben – wir sollten in Russland spielen, aber wir haben die Termine gestrichen –, wurde das auf Twitter zum Thema, und die Leute zogen Vergleiche zu 1914. Es ist beunruhigend, dass der Name Franz Ferdinand nun seine ursprüngliche Bedeutung zurückerhalten hat und quasi unfreiwillig auf große und bedauerliche Veränderungen in Europa anspielt.
Ihr habt eure Auftritte in Russland abgesagt. Glauben Sie, dass man so weit gehen sollte, russische Künstler zu boykottieren, wie dies einige Filmfestivals bereits getan haben?
Ich glaube nicht, dass russische Künstler die Art von Menschen sind, die Putin in seinem mörderischen Krieg unterstützen würden. Ich kann diesen Krieg ganz leicht von meinen russischen Freunden trennen, die ich kenne und die genauso sind wie wir, und ich kann ihn von einem Teil der Gemeinschaft der russischen Musiker und Künstler trennen, die an Liebe, Freundschaft und Kreativität interessiert sind. Die Absage von Tourneedaten in Russland ist für Bands zurzeit eine Selbstverständlichkeit – es ist unvorstellbar, zurzeit dort zu spielen. Aber den russischen Künstlern die Schuld in die Schuhe zu schieben, ergibt überhaupt keinen Sinn. Wirtschaftsboykotte machen durchaus Sinn, denn sie implizieren, dass man versucht, den Machthabern so viel wie möglich zu schaden. Meiner Erfahrung nach erfordert Kreativität Einfühlungsvermögen – Künstler sind also in der Regel nicht die Art von Menschen, die diesen verbrecherischen Krieg und die illegale Invasion der Ukraine unterstützen würden.
Euer Sound war zwischendurch etwas elektronischer geworden, ist sich aber im Laufe der Jahre treu geblieben. Wie sehen Sie die Entwicklung des Indie-Rock in den letzten zehn oder zwanzig Jahren – und wo ordnen Sie ihre Band ein?
Es ist schwer zu sagen, wo ich uns in einem größeren Kontext einordnen würde – ich konzentriere mich einfach auf das, was wir gerade machen, auf das Schreiben neuer Songs. Wenn man versucht, breitere Trends in der Musik zu erkennen und zu analysieren, wo man hingehört, riskiert man, etwas in seinem Schaffensprozess zu verlieren – man opfert seine Spontaneität, seine Intuition. Die kulturelle Analyse – das ist eher der Aufgabebereich der Journalisten, der Kritiker.
Es gibt immer noch Tourneen, die unterbrochen werden, weil sich ein Bandmitglied mit dem Virus infiziert. Ist das etwas, wovor ihr Angst habt?
Im Moment ist die Aussicht auf eine Tournee noch aufregender, weil es uns schon so lange nicht mehr möglich war, zu touren. Was die Pandemie angeht: Es lohnt sich nicht, über etwas nachzudenken, das wir nicht kontrollieren können, also fokussieren wir uns auf das, was wir kontrollieren können – nämlich dass wir eine tolle Live-Show abliefern.
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