/ Lady Gaga mit Schnurres – Für Chaild steht fest: „Es gibt nur Plan A!“
Er ist motiviert, zielstrebig und der junge luxemburgische Sänger und Musiker Chaild hat einen unbestreitbaren Vorteil: Talent. Mit dem Tageblatt sprach er über seine Zukunftspläne und stellte klar, dass es keine Alternative zu dem von ihm gewählten Weg gibt.
Vier Uhr mittags. Ein heißer Sonntag auf dem Kirchberg. Es ist still. Langsam, aber sicher gehen auch die letzten Quadratmillimeter Schatten flöten. Bei den ersten uneingecremten Gästen beginnt die Haut zu jucken; der Sonnenbrand bahnt sich seinen Weg. Für Luxemburger Verhältnisse wird außerordentlich sparsam mit dem angebotenen Bier umgegangen. Jeder Schluck bedeutet Erfrischung. Diese will nicht leichtfertig verschwendet werden.
Grenzen sprengen
Dann erklingt eine Stimme, wie man sie so nur selten im Großherzogtum hört. Es handelt sich um eine tiefe, sanfte und doch extrem kraftvolle Männerstimme. Sie tastet sich gleichsam vorsichtig und gekonnt an das Mikrofon heran, testet Grenzen aus, akzeptiert und sprengt sie dann doch auf fast zauberhafte Art.
Als am 27. Mai auf der letzten Ausgabe des „Food For Your Senses“-Festivals der 20-jährige Adriano alias Chaild den Soundcheck beginnt, ist die Fläche vor der Bühne noch verhältnismäßig leer. Doch nach und nach lockt er mit seinem ganz eigenen Sound immer mehr neugierige Zuhörer zur Sens’Area, auf der es etwas mehr als eine Stunde später nur so von Menschen wimmelt. Das Publikum jubelt. Mehr als eine Person hat Tränen in den Augen. Und das mit gutem Grund. Denn diese ehrliche, nicht-aggressive Kraft zieht unweigerlich in den Bann und berührt.
„Das Singen war für mich zu Beginn wie Schreien“, gesteht Chaild. Dies sei während eines gewissen Zeitraums in seinem Leben auf eine bestimmte Frustration zurückzuführen gewesen, die er aber habe positiv umsetzen wollen: „Lange Zeit hatte ich das Gefühl, dass man mich unterschätzt und ich wollte eben beweisen, dass ich es doch kann.“ In seinen durchaus tiefgründigen Texten verarbeitete er Sorgen und Ängste. Und wuchs an dem Mut, den es hierfür brauchte. Wer ihn nun hört, merkt schnell, dass es dieser Stimme nicht an Überzeugungskraft fehlt. Dass es Chaild gelingt, das Publikum zu berühren, liegt aber nicht allein an seinem Gesangstalent, sondern ebenso an den vermittelten Inhalten und der Grundstimmung, mit der sich wohl viele identifizieren können. Bevor er das erste Lied auf dem „Food“ anstimmte, erklärte Adriano, er habe beschlossen, keine Angst mehr davor zu haben, zu sein, wie er nun einmal sei, und bat das Publikum, das Gleiche zu tun.
Von wegen Plastik-Pop
Chaild ist Teil eines Phänomens, das in Luxemburg seit einiger Zeit seine Bahnen zieht. Es findet eine Migration statt, die sich weg vom großen Bandkollektiv hin zum Soloprojekt bewegt. Dieses birgt nichtsdestotrotz die Möglichkeit sogenannter „features“, also punktueller Zusammenarbeit mit anderen Künstlern. Ein Beispiel hierfür ist jene, bei der Chaild gemeinsam mit seinem Künstlerkollegen und Schulfreund, dem Rapper Maz, den Track „Sick Water“ produzierte. Der melancholische Song verbucht mittlerweile Tausende Plays auf verschiedensten Plattformen und rangierte bereits unter den Top Ten des Eldoradio-Chartbreakers – was die Annahme nahelegt, dass wenigstens ein gutes Lied auf diesem Sender läuft, der sonst eher dazu verleitet, es Van Gogh gleichzutun und sich (mindestens) ein Ohr abzuschneiden.
Go big or go home
Der Erfolg ist nicht zuletzt auch auf die Genrewahl zurückzuführen. „Ich beschreibe meine Musik als Pop mit Konsistenz“, erklärt Adriano. Seit er denken könne, höre er diese Musikrichtung und seine Begeisterung dafür nehme nicht ab. Was ihn an diesem Genre – vorausgesetzt es ist professionell umgesetzt – fasziniere, sei die Tatsache, dass ein guter Pop-Song nicht schlecht altere, sondern zeitlos Qualität beweisen könne.
Zu seinen aktuellen Favoriten zählen Künstler wie Sia, Woodkid oder auch Lana Del Rey. Und nicht zu vergessen natürlich Lady Gaga. Auf eine konzeptuelle Ähnlichkeit zur ihr angesprochen, wirkt Chaild alles andere als entrüstet: „Das ist eigentlich das schönste Kompliment, das man mir machen kann“, gibt er fast schüchtern lächelnd zu. Sein rezent veröffentlichter Song „Artifical“ handelt wie zahlreiche Tracks der amerikanischen Ikone davon, sich nicht mehr hinter sich selbst zu verstecken und aufzuhören, sich einer Gesellschaft anzupassen, die einem diktieren möchte, wie man zu sein hat, statt einen zu akzeptieren, wie man ist.
Absolutes Unikat
Etwas gagaesk mutet auch das aufwendige Musikvideo zum Track an. Hier ist Adriano zeitweilig in einen Tüllrock gehüllt, stark geschminkt, mit einzigartigem Kopfschmuck zu sehen. Alles, was „over the top“ sei, spreche ihm zu, so Chaild. Hätte er die Mittel, würde er noch viel mehr in Kostüme und Accessoires investieren, fährt Adriano fort. Derzeit laufen die Vorbereitungen zu „Playground“, bei dem allein schon der Hintergrund einem professionellen Bühnenbild gleichkommt und eigens für den Sänger eine Krone kreiert wurde, die ein absolutes Unikat darstellt. „Meiner Auffassung nach herrscht in Luxemburg ein Dogma der Normalität vor. Ich will aber zeigen, dass es, wenn man bereit ist, hinter seinem Anderssein zu stehen, wirklich gut werden kann.“
Trotz seines jungen Alters hat Adriano sehr wohl verstanden, dass in der heutigen Zeit Musiker zu sein auch bedeutet, als Unternehmer zu fungieren. Adriano schätzt sich glücklich, mit seinem Team zusammenarbeiten zu können, das diese Aufgabe eben so ernst nimmt wie er selbst. „Mir ist klar geworden, dass man das gar nicht allein machen kann. Das Verrückte dabei ist nur, dass ich den Song ‚Sick Water‘ eigentlich in einem Moment geschrieben habe, in dem ich fast aufgeben wollte. Dann war es aber genau der Song, der durchschlug und mich in diese Richtung pushte.“ Wohin die Reise geht, ist für ihn klar: „Go big or go home. Ich werde nicht festangestellt arbeiten und nebenher Musik machen. Es gibt nur Plan A.“
Zur Person
Der zwanzigjährige luxemburgische Künstler Adriano Lopes Da Silva lernte ab seinem sechsten Lebensjahr Klavierspielen und nahm Musikunterricht. Die anfangs etwas unfreiwillige Wahl fiel nach eigenen Aussagen auf das Klavier, weil seine Schwester das gleiche Instrument spielte und seine Eltern deswegen darauf hinwiesen, dass es ja dann sowieso schon im Haushalt vorhanden sei. Vor einem Jahr schloss er sein Abitur auf der Sprachsektion A ab.
Eine Fächer-Wahl, die ihm Bekannte und sogar Lehrer lange ausreden wollten. Und zwar mit dem Argument, man bringe es damit schließlich zu nichts. Er hörte nicht auf sie und bereut dies bis heute nicht. „Käme ich besser mit Zahlen klar, könnte ich natürlich nun was anderes studieren, mir Anzug und Krawatte zulegen, für eine Bank arbeiten und mir eine Eigentumswohnung in Frisingen leisten . Das ist aber nun mal nicht mein Weg“, erklärt Adriano lachend. Ab Herbst wird er in Liverpool Songwriting und Performance studieren. An genannter Schule unterrichten musikalische Größen wie Paul McCartney oder auch Marc Ronson.
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