US-Studie / „Lane-splitting“: Ist der Weg durch die Mitte für Motorradfahrer weniger gefährlich?
Von Weiler nach Vianden, von Mersch nach Ettelbrück oder von Erpeldingen nach Esch/Sauer: Luxemburg bietet viele schöne Motorradstrecken. Luxemburgs Autobahnen im Feierabendverkehr zählen definitiv nicht dazu. Um dem Stau schnellstmöglich zu entfliehen, wählen viele Motorradfahrer den – in Luxemburg illegalen – Weg durch die Mitte. Zu gefährlich, heißt es von offizieller Seite. Doch stimmt das wirklich? Eine Studie aus den USA scheint das Gegenteil zu beweisen.
Neidische Blicke von links und rechts erhascht jeder Motorradfahrer, der sich inmitten der Blechlawinen hindurchschlängelt. Besonders zu den Stoßzeiten in Luxemburg wünscht sich wohl jeder Verkehrsteilnehmer die Möglichkeit, durch den Stau hindurchzufahren. Einige Autofahrer machen den Motorradfahrern bereitwillig Platz und so manch niederer Geist versperrt den Zweirädern aus Neid und Missgunst mit voller Absicht den Weg.
Eines vorweg: Zwischen den Autos hindurchfahren – auch „lane-splitting“ oder „filtering“ genannt – ist in Luxemburg illegal. Die Polizei hat am 25. Juni im Rahmen ihrer Motorrad-Kampagne bei einer Kontrolle auf der A3 eben dieses Durchschlängeln kontrolliert und geahndet. 84 Motorradfahrer haben versucht, dem Stau durch die enge Gasse inmitten der Blechlawine zu entkommen und mussten ein Bußgeld berappen. Sie hätten sich und andere damit in Gefahr gebracht, schreibt die Polizei in ihrer Pressemitteilung.
Dabei ist diese Praxis ist nicht wegen der mangelnden Geduld der Motorradfahrer entstanden: Laut ADAC sind Auffahrunfälle die dritthäufigste Unfallart mit Motorrädern, die eine schwere Verletzung zur Folge haben (19 Prozent). Häufiger sind nur Unfälle beim Einbiegen/Kreuzen (23 Prozent) und ein Abkommen von der Fahrbahn (31 Prozent). Da ein Abkommen von der Fahrbahn im Stau bei Schritttempo relativ unwahrscheinlich ist und sich auch das Ein- und Abbiegen auf Autobahnen in Grenzen hält, gehört der Auffahrunfall – ob selbstverschuldet oder nicht – zu den größten Risikofaktoren für Motorradfahrer im Stau. Für die Zweiradkraftfahrer wird es jedoch sofort lebensbedrohlich, wenn ein unachtsamer Pkw oder Lkw von hinten angerast kommt.
Lane-splitting/filtering
Unter dem „lane-splitting“ (US, wortwörtlich: Fahrspuraufteilung) bzw. dem „filtering“ (UK) versteht man in der Regel das Durchfahren oder Durchschlängeln eines Motorrads zwischen zwei Fahrspuren – er teilt die Fahrspuren auf und eröffnet eine dritte. Diese Methode wird von Motorrädern oft angewandt, um durch den Stau beziehungsweise an wartenden Autos (zum Beispiel an einer roten Ampel) vorbeizufahren.
Das „lane-splitting“ ist auch in den USA ein umstrittenes Thema. Kalifornien, wo die oben erwähnte Studie durchgeführt wurde, ist der einzige Bundesstaat, in dem das „lane-splitting“ erlaubt ist.
Eine Studie der UC Berkeley aus Kalifornien hat knapp 6.000 Verkehrsunfälle untersucht, in die Motorräder verwickelt waren, und hat einige interessante Erkenntnisse zutage gebracht: Motorradfahrer, die sich durch die Mitte hindurchschlängeln, sind weniger oft in Unfälle verwickelt (997) als die, die es nicht tun (4.917). Das Verletzungsrisiko beim „lane-splitting“ sinkt im Fall eines Unfalls ebenfalls. Kopf- und Oberkörperverletzungen sind bei den Motorradfahrern, die sich durchschlängeln, deutlich weniger registriert worden.
Anders als der ADAC, haben die Forscher aus den USA nur 254 Auffahrunfälle (4,3 Prozent) registriert. Die Wahrscheinlichkeit, beim „lane-splitting“ in einen Auffahrunfall verwickelt zu werden, war jedoch deutlich geringer (2,6 Prozent) als bei denen, die mit dem Verkehr mitfahren (4,6 Prozent). Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Motorradfahrer bei einem Verkehrsunfall stirbt, ist beim „lane-splitting“ nur halb so groß (1,2 Prozent), wie wenn man dies nicht tun würde (3 Prozent).
Nebenbei ergänzt: „Lane-splitter“ sind laut den US-Forschern die verantwortungsvolleren Motorradfahrer: Sie haben weniger oft Alkohol konsumiert und haben tendenziell die bessere Schutzausrüstung. Die Studie hat in dem Punkt die Art des Helmes als Referenz genommen: Integralhelme, die einen umfangreicheren Schutz bieten als Modular- oder Klapphelme, wurden von „lane-splittern“ deutlich öfters genutzt.
Entscheidend hinsichtlich der Schwere der Verletzung, so die Forscher aus den USA, sei schlussendlich das Geschwindigkeitsdifferenzial zwischen dem Verkehr und dem Motorradfahrer beim „lane-splitting“ und weniger die Höchstgeschwindigkeit des Verkehrs. Bei einem Differenzial von bis zu 24 km/h (entspricht den in der Studie angegebenen 15 Meilen pro Stunde) konnte kein erhöhtes Verletzungsrisiko festgestellt werden. Wurde der Wert von 24 km/h überschritten, wurden vermehrt Verletzungen jeder Art festgestellt.
Ist der Weg durch die Mitte also wirklich „sicherer“? Die Zahlen scheinen zumindest in die Richtung zu deuten. Weder das Transportministerium noch die Polizei haben bis Redaktionsschluss auf eine Anfrage des Tageblatt Stellung bezogen. Fest steht jedoch, dass Transportminister François Bausch schon 2016 eine Arbeitsgruppe einberufen hat, die das Vorbeifahren der Motorräder an den Autos analysieren sollte. Seitdem ist es still geworden um das Thema, obwohl es in anderen Ländern, unter anderem Belgien, längst gängige Praxis ist. Bis sich etwas tut, müssen Motorradfahrer in Luxemburg demnach weiterhin im Stau stehen – oder aber ein Bußgeld berappen.
Motorradfahren in den USA
Die oben erwähnte Studie wurde in Kalifornien von der UC Berkeley durchgeführt. In den USA gelten andere Vorschriften fürs Motorradfahren als in Europa, zudem weist jeder Bundesstaat seine Eigenheiten auf. Jeder Fahrer braucht einen Führerschein, der allerdings oftmals schon durch einen oberflächlichen Test erworben werden kann und keinesfalls mit dem Führerscheintest in Europa zu vergleichen ist. Hubraum- oder Leistungsbegrenzungen gibt es nicht. Um auf Europas Straßen fahren zu dürfen, müssen Motorradfahrer mindestens einen ECE-zertifizierten Helm tragen. In den USA gibt es, je nach Bundesstaat, nicht einmal eine Helmpflicht. Auf dem amerikanischen Markt gilt zudem noch immer die veraltete DOT-Zertifikation.
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Betteridges Gesetz der Schlagzeilen besagt: „Jede Schlagzeile, die mit einem Fragezeichen endet, kann mit dem Wort Nein beantwortet werden.“ Er ist benannt nach Ian Betteridge, einem britischen Technologie-Journalisten,[1] aber das allgemeine Konzept ist viel älter.[2] Es ist auch bekannt als Davis Gesetz[3][4] oder einfach das „journalistische Prinzip“.[5]
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