Politische Rentrée / Laues Lüftchen oder Herbststurm? Caritas und Kollektivverträge bieten politischen Zündstoff
Caritas, Kollektivverträge und der Papst: Luxemburgs politischer Herbst dürfte alles andere als langweilig werden. Das Tageblatt resümiert, welche Dossiers in den kommenden Wochen Zündstoffpotenzial bergen – und welche Events das Land demnächst prägen werden.
Caritas
61 Millionen Euro. Der Finanzskandal bei der Caritas erscheint auch zwei Monate nach dem Bekanntwerden der fehlenden Gelder wie das Drehbuch eines Hollywood-Blockbusters. Es sind jedoch nicht Martin Scorsese oder Oliver Stone, die sich mit diesem Thriller beschäftigen, sondern die Luxemburger Regierung, Staatsanwaltschaft und Bankenaufsicht. Fragen gibt es bisher auch mehr als Antworten: Welche Rolle spielt die Finanzchefin der Caritas in dem Millionenbetrug? Handelt es sich bei der Masche um die abhandengekommenen Gelder wirklich um einen sogenannten Präsidentenbetrug, obwohl zahlreiche öffentlich bekannte Indizien dagegen sprechen? Wie konnten die über hundert Transaktionen über Monate unbemerkt bleiben? Und: Kommt den Luxemburger Banken Spuerkeess und BGL BNP Paribas eine Teilschuld zu, nachdem Kredite gewährt und Überweisungen trotz offensichtlicher Ungereimtheiten zugelassen wurden?
Fragen, für die es zumindest von offizieller Seite auch zwei Monate danach noch keine Antworten gibt. Entsprechend angespannt bleibt auch die Situation für die Hunderten Mitarbeiter der Caritas. Anfang der Woche hat sich das Krisenkomitee noch einmal mit Vertretern des OGBL getroffen. Das Geld für die September-Gehälter sei demnach gesichert. Fest steht aber auch: Für die Mitarbeiter der Verwaltung der internationalen Caritas-Projekte wird es höchstwahrscheinlich keine Zukunft mehr geben. Ob ein Sozialplan für die rund 30 Mitarbeiter ausgehandelt werden muss, ist aller Voraussicht nach nur noch eine Frage des „Wann“ und nicht mehr des „Ob“.
Mittlerweile steht dann auch fest: „HUT – Hëllef um Terrain“ heißt die neue juristische Entität, die die Dienstleistungen der Caritas vorerst übernehmen wird. Claudia Monti soll die neue Struktur im ersten Halbjahr 2025 präsidieren. Christian Billon, derzeit Vorsitzender des Krisenkomitees, wird bis zur Übernahme von Claudia Monti im Verwaltungsrat von HUT vertreten sein.
Dass die veruntreuten Millionen jedoch weitaus mehr als nur finanzielle Folgen haben, zeigt der Umstand, dass unter den Mitarbeitern, die sich nach einer neuen Arbeitsstelle umschauen müssen, auch die Abteilung der „Plaidoirie“ gehört. Die Abteilung also, die für die politische Kommunikation der Caritas zuständig ist und in der Vergangenheit immer wieder mit kritischen Stellungnahmen und Sensibilisierungskampagnen als wichtige Stimme der Zivilgesellschaft auftrat. Von „déi Lénk“ gleich nach Bekanntwerden des Skandals befürchtet, haben sich mittlerweile auch „déi gréng“ und die LSAP besorgt über die jüngsten Entwicklungen gezeigt. Selbst innerhalb der CSV-Reihen soll es ob dieser Pläne rumoren. Fraktionschef Marc Spautz wollte sich vor der Kommissionssitzung am Montag jedoch nicht dazu äußern.
Rentenreform
Die Rentendebatte wird das Thema des politischen Herbsts 2024 in Luxemburg sein. Dass dem so ist, war zumindest vor einem Jahr keineswegs abzusehen. Mitten im Wahlkampf wagte keine Partei es, über die Rentenreform zu diskutieren. Im Wahlprogramm der regierenden Parteien wird das nun existenziell wichtige Thema in jeweils ein paar Zeilen behandelt. „Die CSV wird, wie es gesetzlich vorgesehen ist, eine detaillierte Analyse der mittel- und langfristigen finanziellen Tragfähigkeit des Rentensystems durchführen. Wir werden in Absprache mit den Sozialpartnern Lösungen suchen“, steht im Wahlprogramm der CSV. Das Wahlprogramm der DP ist nicht viel detaillierter. Mit dem Versprechen, dass die gesetzliche Rentenversicherung die „tragende Säule“ des Rentensystems bleiben soll, wird eine „vielfältige und flexibel gestaltete Altersvorsorge“ versprochen. Von einem unmittelbaren Handlungsbedarf, wie es nun öffentlich kommuniziert wird, war jedoch in keinem der Wahlprogramme die Rede.
Das begrenzt sich im Übrigen nicht nur auf die nun regierenden Parteien. „Die allgemeine Rentenversicherung befindet sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt in einer komfortablen Situation“, stand im Wahlprogramm der LSAP. Und weiter: „Langfristig werden jedoch die wirtschaftlichen und demografischen Entwicklungen genau beobachtet werden müssen.“ Die Grünen widmeten dem Thema Rente durchaus mehr Aufmerksamkeit im Wahlprogramm, konnten aber bekanntlich nicht damit punkten. Auch die ADR beschäftigte sich in einem Kapitel mit dem Thema Rente – konkrete Lösungsvorschläge blieben trotz mehrfacher Reformaufforderungen des bestehenden Systems jedoch aus. Sowohl bei den Piraten als auch bei „déi Lénk“ ist die Rentenreform mehr Randnotiz als inhaltlicher Blickfang gewesen.
Trotz alledem hat die zuständige Ministerin Deprez (CSV) eine groß angelegte Debatte für Oktober 2024 angekündigt – und die betroffenen Parteien bringen sich jetzt schon in Stellung. Neben den üblich verdächtigen Streithähnen der Patronats- und Gewerkschaftsvertreter haben sich mittlerweile auch die Studierendenvereinigung ACEL und die Bauernzentrale mit ersten Forderungen an die Politik gewandt. Als wäre die Generationenfrage nicht schon kompliziert genug, sind sich Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter ebenfalls nicht einig über die Richtung einer Reform. Ausdruck dessen ist das Gutachten des „Conseil économique et social“, das in zwei unterschiedliche Texte unterteilt werden musste, weil man sich nicht auf eine Linie einigen konnte. Ob oder inwiefern ein von Deprez gewünschter gesellschaftlicher Konsens zustande kommt, der als Leitlinie für eine Reform herhalten könnte, ist zumindest zum derzeitigen Standpunkt nicht abzusehen.
Erste Wortmeldungen zur Rentrée bestätigen das, was sich in der Sommerpause bereits andeutete. „Jidderee probéiert säi Beefsteak ze verteidegen“ – eine Aussage von UEL-Präsident Michel Reckinger, die die Gesamtsituation treffend umschreibt. UEL, ACEL, Bauernzentrale und Arbeitnehmervertreter sind dabei, ihre Messer zu wetzen, um sich für die Konsultationsphase in Stellung zu bringen. Weitere werden noch folgen.
Piraten-Fehde
Ein weiteres Thema, das zumindest zu Beginn des Sommers noch Schlagzeilen machte, war der Streit innerhalb der Piraten-Sensibilität. Mit dem Austritt Ben Polidoris aus der Partei wurden die internen Streitigkeiten bei den Piraten an die Öffentlichkeit getragen. Das bereits seit längerem angeknackste Verhältnis zwischen den beiden Piraten-Abgeordneten Marc Goergen und Sven Clement wurde vor den Augen der Öffentlichkeit völlig zerrüttet. Goergen und Clement beschuldigten sich in öffentlichen Stellungnahmen der Vorteilnahme der Partei. Insbesondere die Handhabung der MALT-Affäre rund um die Entwicklung einer Übersetzungs-App entzweit die Partei. Dabei ist bis heute nicht abschließend geklärt, wie viele Parteigelder nun tatsächlich veruntreut und welche rechtmäßig eingesetzt wurden – und ob dies wissentlich oder unwissentlich geschehen ist. Die Forderungen seitens Verwaltung und Audit-Experten gehen in abschließenden Gutachten zur Affäre jeweils drastisch auseinander.
Das Verhältnis zwischen Goergen und Clement hat sich trotz Sommerpause nicht normalisiert. In einer Stellungnahme gegenüber dem Tageblatt meint Marc Goergen, dass er bei den Piraten bleiben werde. Seine Arbeit in der Chamber werde er aber ohne Clement und mit eigenem Personal verrichten. Eine Anfrage an Sven Clement, wie es aus seiner Sicht ab Oktober in der Chamber weitergeht, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Einem Medienbericht von RTL zufolge soll es im Zwist zwischen den zwei Piraten-Schwergewichten auch innerhalb der Partei zu Streitigkeiten gekommen sein. Demnach wurde vor allem Marc Goergen immer wieder mit Mobbingvorwürfen in Verbindung gebracht. Das wiederum deckt sich mit Aussagen, die ehemalige Piraten-Mitglieder gegenüber dem Tageblatt getätigt haben. „Viele sind ausgetreten, als Marc Goergen mehr Macht innerhalb der Partei erlangt hat“, sagte beispielsweise das ehemalige Mitglied Andy Maar. Die Stimmung bei den Piraten habe sich seit 2017 immer weiter verschlechtert: Es gebe eine Korrelation zwischen dem Werdegang Goergens und dem negativen Klima in der Partei.
Und der ehemalige Dritte im Bunde: Ben Polidori? Der seit seinem Austritt bei den Piraten parteilose Polidori sagt auf Tageblatt-Nachfrage, dass er in den nächsten Tagen oder Wochen Näheres kommunizieren wolle. Kurz nach seinem Austritt bei den Piraten wurde der Piraten-Abgeordnete mit einem Wechsel zur DP in Verbindung gebracht – nicht zuletzt deswegen, weil die DP-Abgeordnete Barbara Agostini den jungen Nordpolitiker öffentlich auf Facebook umworben hatte.
Papstbesuch
Papst Franziskus, Staatschef des Vatikans und Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, kommt am 26. September nach Luxemburg. Ob mithilfe des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes die Caritas aus den Trümmern wieder auferstehen kann? Fraglich, wird doch auch Seine Heiligkeit in seinen acht Stunden Aufenthalt keine Wunder vollbringen können. Fest steht aber jetzt schon: Luxemburg wird sich am 26. September im Ausnahmezustand befinden. Über 10.000 Menschen haben sich über eine Anmeldeplattform für eine Audienz beim Papst angemeldet. 650 werden es schließlich werden, die Papst Franziskus in der Luxemburger Kathedrale gegenüberstehen dürfen. In einem Vorzelt der Kathedrale soll dann noch Platz für 1.250 weitere Besucher geschaffen werden, die hoffen, einen Blick auf den Bischof von Rom und sein Papamobil, live und in Weiß, zu erhaschen.
Lieutenance von Erbgroßherzog Guillaume
Erbgroßherzog Guillaume wird ab dem 8. Oktober die Lieutenance in Luxemburg übernehmen. Die Lieutenance ist eine in der Luxemburger Verfassung festgeschriebene Institution. Artikel 58 der Verfassung sieht vor, dass sich der Großherzog durch einen Stellvertreter vertreten lassen kann: „Le Grand-Duc peut se faire représenter par une personne qui remplit les conditions de l’article 56, paragraphe 1er, et qui porte le titre de Lieutenant-Représentant du Grand-Duc.“ Der Stellvertreter muss laut Verfassung ein direkter Nachfolger des Großherzogs sein – im Gegensatz zum Thronfolger jedoch nicht unbedingt der Erstgeborene sein.
In Luxemburg wird die Lieutenance als Vorbereitungszeit des Erbgroßherzogs für seine späteren Aufgaben als Luxemburger Staatschef angesehen. Welche Aufgaben auf Guillaume zukommen, ist jedoch noch unklar. „Der Großherzog muss zusammen mit der Luxemburger Regierung in der Nominierung des Erbgroßherzogs definieren, ob Guillaume alle Aufgaben des Staatschefs übernehmen wird, ob ein Teil der Aufgaben weiterhin Großherzog Henri vorbehalten bleiben oder verschiedene Aufgaben sowohl vom Großherzog als auch vom Erbgroßherzog übernommen werden können“, erklärt der Luxemburger Verfassungsexperte Luc Heuschling gegenüber dem Tageblatt.
Die Lieutenance ist eine aus der frühen Neuzeit stammende Institution, die im Falle großer geografischer Distanzen zwischen einzelnen Herrschaftsgebieten eingeführt wurde. Seitdem die momentan herrschende Dynastie der Nassau-Weilburg in Luxemburg regiert, gibt es das Problem der geografischen Distanz nicht mehr. „Die ‚Lieutenance‘ wurde dann zweckentfremdet, um den Erbgroßherzog in die Amtsgeschäfte einzuführen“, sagt Heuschling und vergleicht die Idee der „Lieutenance“ mit der Idee des Vorruhestandes für den Großherzog.
Kampf um die Kollektivverträge
Ein politisches Dossier, das nicht nur national, sondern auch innerhalb der CSV für Unruhe sorgen könnte, ist die Reform des Luxemburger Arbeitsrechtes. Besonders bei den Kollektivverträgen scheinen die Meinungen innerhalb der Reihen der Christsozialen teils stark zu divergieren. Während Arbeitsminister Georges Mischo die Möglichkeit offenließ, dass Kollektivverträge zukünftig ohne Beteiligung der nationalen Gewerkschaften verhandelt werden können, stellt sich CSV-Fraktionschef Marc Spautz klar hinter die nationalen Arbeitnehmervertretungen. „Es ist evident, dass wir mehr Tarifverträge brauchen und die Tarifpolitik von den national repräsentativen Gewerkschaften verhandelt werden muss, wie es in den Konventionen mit der internationalen Arbeitsorganisation vereinbart wurde“, so Spautz im Gespräch mit dem Land.
Georges Mischo hat sich somit in eine politisch schwierige Lage hineinmanövriert. Mit seinem Vorpreschen dürfte es wohl schwierig werden, sowohl mit Arbeitnehmervertretern und dem sozialen Flügel seiner Partei auf einen Nenner zu kommen. Auch deshalb, weil er sich mit der Andeutung, bis Ende des Jahres eine Reform des Kollektivvertragswesens in Luxemburg vorlegen zu wollen, selbst unter Druck gesetzt hat. Das, weil eine EU-Richtlinie verlangt, dass 80 Prozent der Arbeitnehmerschaft durch einen Kollektivvertrag abgedeckt sein sollen. In Luxemburg sind nur 55 bis 60 Prozent der Arbeitnehmer durch einen solchen Vertrag geschützt.
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