Interview / Laut und selbstbewusst: JIF feiert Revival des „Fraestreik“ nach der Pandemie
Laut und selbstbewusst präsentiert sich die Plattform „Journée internationale des femmes“: Der Frauenstreik am 8. März ist mittlerweile ein fester Bestandteil der jährlichen Agenda. Das Tageblatt hat sich mit Milena Steinmetzer, einer Aktivistin der JIF und Mitorganisatorin des „Fraestreik“, über Feminismus in Luxemburg, männliche Partizipation und den Krieg in der Ukraine unterhalten.
Tageblatt: Die Vorbereitungen auf den Streik verliefen eher suboptimal, Grund dafür war die in Luxemburg-Stadt eingerichtete Demonstrationszone.
Milena Steinmetzer: Der Minister für Innere Sicherheit, Henri Kox, und die Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg, Lydie Polfer, haben am Tag unseres Treffens kurz vorher auf eine Pressekonferenz eingeladen. Auf dieser wurde dann angekündigt, dass die Demozone aufgehoben würde. Ich war bei dem anschließenden Treffen nicht dabei, mir wurde aber gesagt, dass die Bürgermeisterin nicht sehr erfreut war über den öffentlichen Druck, den wir als JIF erzeugt haben. Ich bin aber überzeugt: Wenn wir unsere Stimme nicht erhoben hätten, wäre nichts passiert. Die restlichen Vorbereitungen und die Kooperation mit der Stadt und der Polizei verliefen problemlos. Die Polizei meinte auch, dass es vonseiten der Corona-Demonstranten wohl keine Pläne geben würde, unsere Demonstration zu kapern. Das ist aber eh nicht deren Thematik.
Schon Michelle Cloos hat behauptet, dass die Forderungen der JIF eine abschreckende Wirkung auf die Corona-Demonstranten haben würden. Wie kommen Sie zu dieser Schlussfolgerung?
Ich denke, dass die Corona-Demonstranten eine gewisse ideologische Ausrichtung haben. Die ist meines Erachtens eher rechts, eher in einem ADR-Kontext zu verorten. Klar sind da auch Frauen dabei, das sind aber keine Feministinnen. Ein Beispiel: Die JIF fordert unter anderem, dass der „Pappecongé“ auch für lesbische Paare geöffnet wird – die ADR sagt dann, wir würden Väter abschaffen wollen. Dabei lautet unsere ursprüngliche Forderung, dass der „Pappecongé“ auf drei Monate ausgeweitet wird, so wie es derzeit beim Mutterschaftsurlaub ist. Auch Väter würden also von dieser Regelung profitieren. Wenn sich bisher Männer zu unseren Thematiken geäußert haben, dann waren es Personen aus der rechten Ecke, die nur Negatives zu beanstanden hatten. Außerdem sehen wir immer wieder, dass von ADR-Politikern antifeministische Posts in den sozialen Medien auftauchen. Dieses Jahr aber haben wir aber erstmals auch Männer in unseren Reihen, die sich klar und deutlich zu unseren Forderungen bekennen.
Einstieg in den Feminismus
Im Gespräch mit dem Tageblatt empfiehlt Milena Steinmetzer drei Bücher zum Thema Feminismus:
– Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya, Nancy Fraser: „Feminism for the 99 percent“
– Chimamanda Ngozi Adichie: „We should all be feminists“
– Caroline Criado-Perez: „Invisible Women“
Warum glauben Sie, haben bisher keine Männer (positiv) Stellung zu den Forderungen der JIF bezogen?
Es denken wohl viele, dass unsere Themen reine „Frauenthemen“ sind. Vielleicht ist es reines Desinteresse oder sie haben nicht erkannt, dass die angesprochenen Problematiken auch Männer betreffen. Wenn wir das Patriarchat bekämpfen, hilft das auch allen Männern, die nicht dieses Rollenbild erfüllen. Vielleicht sind Männer aber auch eingeschüchtert von uns und unseren Themen. Anfangs waren Männer zu unseren öffentlichen Versammlungen nicht eingeladen, weil wir uns als Bewegung erst einmal in der Selbstfindungsphase befanden. Mittlerweile haben wir mehrere Veranstaltungen, bei denen Männer willkommen und sogar explizit erwünscht sind – eben weil es sie direkt betrifft, wie unsere Forderungen bezüglich des „Pappecongé“ zeigen. Es ist wichtig, dass Männer in diese Diskussionen mit einbezogen werden.
Wie viele Männer engagieren sich denn mittlerweile bei der JIF?
Wir sind bei einem Frauenanteil von weit mehr als 90 Prozent, es sind nur ein paar wenige Männer, die sich bei uns engagieren.
Soll sich das in Zukunft ändern?
Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe an, Männer dazu zu bringen, bei der JIF aktiv zu werden. Die Option steht jedem offen und wir unterstützen jeden, der sich uns anschließen will. Einige haben sich zu einer Arbeitsgruppe „Männlichkeit“ zusammengeschlossen und haben sich bereits mehrfach getroffen, um sich über verschiedene Themen auszutauschen. Diese Arbeitsgruppe existiert erst seit einem Jahr, aber es gibt Bestrebungen, diese weiter auszubauen.
Gerade in den vergangenen Jahren ist die JIF lauter und präsenter geworden. Wie erklären Sie sich den neuen Schwung innerhalb der JIF?
Ich glaube, dass das eng mit einem Generationenwechsel innerhalb der Plattform zu tun hat. Ich bin, wie einige andere auch, vor einigen Jahren zurück nach Luxemburg gekommen und wollte mich mit meinen Erfahrungen aus dem Ausland weiter in Luxemburg engagieren. Bei der JIF haben wir damals zusammengefunden. Anfangs erschien mir Plattform etwas träge – ich war in Wiens autonomer und antifaschistischer Szene schnellere Entscheidungsprozesse gewohnt. Durch den Generationenwechsel wurden auch die alten Strukturen bei der JIF aufgebrochen. Die neue Generation an Aktivistinnen brachte ihre Erfahrungen aus dem Ausland mit und wollte mehr, war ambitioniert. Wir haben Kontakte im Ausland geknüpft und uns international vernetzt, um voneinander zu lernen. Wir haben gelernt, nicht nur die Menschen anzusprechen, die bereits Feministen waren, sondern auch diejenigen, die es noch nicht waren.
Der Luxemburger Feminismus wurde also quasi aus dem Ausland importiert?
Das ist in Luxemburg nicht zu vermeiden, nicht nur im Kontext des Feminismus. 80 Prozent der Luxemburger Studenten leben im Ausland, machen dort ihre ersten Erfahrungen, werden politisch sensibilisiert. Diese Erfahrungen bringen sie dann zurück nach Luxemburg.
Wo steht denn der Luxemburger Feminismus im Vergleich zum Ausland?
In den vergangenen drei Jahren ist in Luxemburg eine richtige Bewegung entstanden. Ich erinnere mich noch an die Anfangsjahre, als die JIF für jedes kleine Detail verantwortlich war und aktiv auf die verschiedenen Akteure zugehen musste. Mittlerweile aber haben sich mehrere feministische Gruppierungen gebildet, die unabhängig von der JIF agieren. Ein gutes Beispiel sind die Collagen (siehe Titelbild; Anm. der Red.), die morgen auch entlang des Demonstrationszuges zu finden sein werden. Diese wurden von einer Frauen-Gruppierung angefertigt, die einfach nur ihren Beitrag leisten will. Es tut sich etwas, dem aktivistischen Feminismus geht es gut.
Sie haben den Generationenwechsel angesprochen. Wie stark hat sich die JIF verjüngt – und schlägt sich das auch auf die Forderungen der JIF nieder?
Der Altersdurchschnitt ist – wohl auch pandemiebedingt – drastisch gesunken. Während der Pandemie hatten wir viele Online-Sitzungen, was nicht unbedingt den Vorstellungen der älteren Generation entspricht. Gleichzeitig haben Sie aber auch gemerkt: Die jungen Frauen haben alles im Griff. Wenn wir als 30-jährige Frauen über den Mutterschaftsurlaub sprechen, dann tun wir das, weil wir uns in einem Lebensabschnitt befinden, in dem wir uns damit beschäftigen. Bei einer öffentlichen Veranstaltung zur Thematik des Krankenscheins bei Regelschmerzen waren dann auch zwei ältere Frauen zugegen, die uns darauf angesprochen haben, dass man in dem Kontext auch über die Menopause reden müsste – ein Thema, das wir überhaupt nicht auf dem Schirm hatten. Das Alter beeinflusst also schon die Themen, mit denen wir uns beschäftigen. Wir begrüßen deshalb jeden Input, der von außen an uns herangetragen wird.
Was erwarten Sie sich vom Frauenstreik, nachdem die letztjährige Ausgabe aufgrund der Pandemie ausgefallen war?
2.000 Personen haben wir mobilisiert, ich erhoffe mir morgen etwas mehr. Gerade jetzt, nachdem die ersten Lockerungen angekündigt wurden und auch das Wetter mitzuspielen scheint. Ich denke, dass viele Menschen einfach wieder Lust haben, sich in einem sozialen Rahmen wiederzusehen.
In einem Interview mit dem Tageblatt hat die „Fridays for Future“-Bewegung gesagt, dass sie durch die Corona-Pandemie etwas an Schwung verloren hat. Ist es der JIF ähnlich ergangen?
Es war schon schwieriger, unsere Mitglieder bei Laune zu halten. Die Pandemie hat uns einen Knick versetzt, da die gesamten Zukunftspläne für die JIF erstmals auf Eis gelegt werden mussten. Gleichzeitig hat die Pandemie verdeutlicht, dass wir die richtigen und wichtigen Gesellschaftsthemen ansprechen und diese Arbeit auch weiterhin fortführen müssen.
Worin unterscheidet sich denn die post-pandemische Ausgabe von den bisherigen Streiks?
Unsere vier großen Forderungen haben sich nicht verändert, sie lauten weiterhin: Arbeitszeitverkürzung, gleiches Gehalt, Gleichsetzung des „Congé de naissance“ für beide Elternteile und der Zugang zum Wohnraum. Dieses Jahr haben wir allerdings noch eine fünfte Forderung hinzugefügt, die die Gewalt betrifft. Wir wollen auf verschiedene Arten der Gewalt aufmerksam machen. Häusliche Gewalt bedeutet nicht zwangsläufig physische Gewalt, sondern kann auch psychische Ausmaße annehmen. Außerdem fordern wir, dass der Begriff des Feminizids in die Luxemburger Rechtssprechung aufgenommen wird. Zudem wollen wir in einem extra gegründeten Arbeitskreis vermehrt über Gewalt bei der Geburt aufmerksam machen. Dort fehlt es noch an verlässlichen Statistiken und Zahlenmaterial.
Der Wohnungsbau bleibt wohl ein ewiges Sorgenkind in Luxemburg. Was wurde denn in den anderen Bereichen bisher erreicht?
Zur Gleichstellung des „Congé de naissance“ wurde uns gesagt, dass das Koalitionsabkommen diese nicht vorsehe und deshalb vorerst nicht umgesetzt werden würde. Uns wurde aber zugesagt, dass der „Pappecongé“ auch für lesbische Paare geöffnet werden soll – bisher haben sie keine Möglichkeit, diesen zu nutzen, da der Vaterschaftsurlaub im Gesetz an das männliche Geschlecht gebunden ist. Unsere Forderung für eine Arbeitszeitverkürzung wurde ebenfalls mit dem Verweis auf das Koalitionsabkommen abgelehnt – ich habe aber das Gefühl, dass das Thema im kommenden Wahlkampf vermehrt ein Streitpunkt sein wird.
Eine Frage zur Ukraine, die sowohl in den sozialen als auch den herkömmlichen Medien für Aufregung sorgt: Wie steht die JIF zum Erlass der Ukraine, nur Männern die Ausreise zu verbieten, da diese bei der Verteidigung aushelfen sollen?
Ich finde es beschämend, sich bei dieser Tragödie auf diesen einen Aspekt zu beschränken. Es ist einfach nur beschissen, wenn Menschen flüchten müssen, es ist beschissen, wenn Menschen bleiben und sterben müssen. Wir werden uns morgen klar zum Krieg positionieren, jedoch wollen wir nicht, dass das Thema Ukraine am 8. März dominiert. Zudem müssen wir festhalten, dass Frauen und junge Mädchen an der Grenze zur Ukraine von Menschenschmugglern abgefangen werden. Auf Pornhub trendet der Suchbegriff „ukrainian girl“. In jeder Krise werden Frauen unterdrückt, diskriminiert und sexualisiert.
Fraestreik am 8. März
Treffpunkt für den Frauenstreik ist um 17.00 Uhr am Bahnhof. Um 17.30 Uhr zieht der Demonstrationszug über die avenue de la Liberté Richtung place d’Armes. Anschließend erwarten die Demonstranten Reden und musikalische Beiträge. Die angefertigten Demoschilder der Protestteilnehmer werden vor Ort gesammelt und sollen später Teil einer Ausstellung werden.
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