Kaufsucht / Leiden im Schatten vom Black Friday
Der 1992 ins Leben gerufene konsumkritische – allerdings wenig bekannte – „Kauf-Nix-Tag“ (am Tag nach dem Black Friday) thematisiert die negativen Seiten des Massenkonsums. Zu denen gehört u.a. die selten thematisierte Kaufsucht. Ein Prozent der Bevölkerung soll behandlungsbedürftig sein.
Vor ein paar Jahren schwappte das Phänomen Black Friday aus den Vereinigten Staaten nach Europa: Mittlerweile ist der Tag – oder vielmehr die Black-Friday-Woche – eine der großen Umsatzperioden (In Deutschland soll laut Information des SWR ein Umsatz von 4,9 Milliarden Euro erwirtschaftet werden). Schon vor dieser Institutionalisierung des Konsumrauschs bildete sich in den 1990er Jahren eine Gegenbewegung: 1992 wurde in Kanada der „Buy Nothing Day“ (Kauf-Nix-Tag) ins Leben gerufen und bald in anderen Ländern übernommen. In Nordamerika findet er am gleichen Tag wie der Black Friday statt, in den meisten europäischen Ländern am Tag danach. Der relativ wenig bekannte konsumkritische Aktionstag soll zum Gegenteil von dem anregen, was in der Adventszeit vielen am Herzen liegt.
Die Auswirkungen des übermäßigen Konsums auf die Umwelt sind hinlänglich bekannt, doch er kann auch negative Folgen für den Einzelnen haben, nämlich dann, wenn er zu Sucht wird. Seit einiger Zeit bietet die „Anonym Glécksspiller Asbl“ * Beratung und therapeutische Begleitung für Menschen mit übermäßigem Kaufverhalten an. Das Tageblatt sprach mit dessen Leiter, dem Psychotherapeuten und Diplom-Psychologen Dr. Andreas König, über das Phänomen.
Tageblatt: Dr. König, ab wann spricht man von Kaufsucht?
Dr. Andreas König: Wenn man es nicht sein lassen kann, obwohl es einem schadet. Man kauft mehr, als man braucht oder sich leisten kann. Oft werden die gekauften Sachen nicht einmal genutzt oder gar ausgepackt. Das Kaufen findet öfter und über längere Zeitperioden statt als geplant, und Betroffene beschäftigen sich übermäßig stark mit dem Kaufen und haben einen Drang und unwiderstehliche Impulse zu kaufen, die sie als aufdrängend erleben. Um von einer Kaufsucht zu sprechen, muss das Ganze auch mit einem Leidensdruck verbunden sein, weil z.B. enorm viel Zeit verloren geht, man durch das Kaufen selbst und die Beschäftigung damit soziale oder berufliche Probleme bekommt, oder aufgrund der irgendwann auftretenden Verschuldung.
Wie verbreitet ist das Phänomen?
Internationalen Analysen zufolge sind knapp fünf Prozent der Bevölkerung zumindest hochgefährdet und würden von einer psychologischen und einer Beratung zum Geldmanagement profitieren. Wobei die Zahl in westlichen Ländern meist sogar höher liegt. Als behandlungsbedürftig, also die Schwelle zu einer Pathologie überschreitend, gelten knapp ein Prozent der Bevölkerung.
Lässt sich Kaufsucht mit anderen Suchtformen vergleichen?
Kaufsucht ist eine Verhaltenssucht, bei der der Körper durch ein exzessives Verhalten dazu gebracht wird, die Botenstoffe selbst herzustellen, die dann die gewünschten psychotropen Effekte bewirken. Ein Kaufrausch bringt dem Betroffenen Befriedigung und wirkt bei psychischer Belastung und drückenden Alltagsproblemen wie ein Beruhigungsmittel und Stimmungsaufheller, sodass dies letztlich wie bei anderen Süchten zu einer Dosissteigerung führen kann. Auch dass irgendwann die Kontrolle verloren geht, ist eine Gemeinsamkeit mit anderen Süchten. Der Kontrollverlust ist schleichend, und da jeder einkaufen muss, wird die Sucht oft nicht früh genug erkannt.
Ist es ein modernes Problem?
Einerseits wurde das Phänomen schon vor über 100 Jahren in der Fachliteratur beschrieben. Es ist aber insofern schon ein modernes Problem, weil die heutige Konsumgesellschaft mit all ihren Möglichkeiten einen ganz anderen Kontext bietet.
Warum wird man kaufsüchtig?
Als Risikofaktoren liegen oft ein geringes Selbstbewusstsein, die Schwierigkeit, Impulse zu kontrollieren, und das Vorliegen anderer psychischer Störungen wie Ängste und Depressionen vor. Auch wenn Shopping wie ein häufig ausgeübtes Hobby betrieben wird, kann das gefährden. Ansonsten haben Kaufsüchtige übrigens erstaunlich wenig Gemeinsamkeiten und finden sich in allen Bildungs- und Einkommensschichten.
Wenn bei einer gefährdeten Person in belastenden Lebenssituationen der subjektive Stresspegel steigt, kann Einkaufen dann als einfach verfügbares und sozial akzeptiertes Mittel der Stressreduktion genutzt werden. Mit der Zeit gewinnt das Kaufverhalten dann eine immer größere Rolle für die Emotionsregulation, bis es irgendwann entgleitet. Auf gesellschaftlicher Ebene spielen auch Wohlstand, ständige Warenverfügbarkeit und die Möglichkeit, bequem mit Karte und auf Raten zu kaufen, eine Rolle.
Wie behandelt man einen Kaufsüchtigen?
Man erarbeitet vor allem über verhaltenstherapeutische Ansätze zunächst Strategien, die einem ein impulsives Kaufverhalten erschweren. Da völlige Abstinenz von Konsum keine realistische Option ist, liegt das Ziel vielmehr im Wiedererlangen eines moderaten Kaufverhaltens. Zudem müssen auch andere Dinge wie z.B. familiäre Probleme, Konflikte, oder ein geschädigtes Selbstwertgefühl mit einbezogen werden, die mit den Kaufexzessen in Verbindung stehen. So werden oft andere psychische Störungen mitbehandelt.
Es scheint, dass diese Art von Sucht nicht viel thematisiert wird.
Das ist leider absolut korrekt. Weder im politischen noch im öffentlichen Diskurs, was angesichts der Prävalenz irritierend ist. Auch in der Forschung gibt es international nur wenige, die sich damit dauerhaft beschäftigen, in dem Bereich kann man ja schlecht mit Drittmitteln aus der Wirtschaft rechnen. Und die Betroffenen bilden keine Lobby, die das öffentlich thematisieren würde, dafür sind die Themen Kaufsucht und Schulden einfach zu schambesetzt.
Der Handel müsste sich ja über solche Süchtigen freuen. Wird Kaufsuchtberatung in Fachkreisen auch mit Systemkritik verbunden?
Es ist leider nicht genau bekannt, wie hoch der von Kaufsüchtigen generierte Anteil am Umsatz im Einzelhandel ist. Wenn er ähnlich hoch wie beim Glücksspiel liegt, dürfte dieser tatsächlich wenig Interesse haben, daran etwas zu ändern. Unser ganzes Wirtschaftssystem basiert ja auf dem Prinzip immer größeren Wachstums, der über Konsum realisiert wird. Und materielle Werteorientierung ist ein spezifischer Risikofaktor für Kaufsucht. Insofern ist bei der Beschäftigung mit Kaufsucht allein durch die bestehenden Zusammenhänge die Systemkritik schon immanent.
Seit wann bieten Sie eine Beratung in dem Bereich an?
Auch wenn wir es noch nicht offiziell nach außen kommunizieren, bieten wir ja schon länger Beratung und therapeutische Begleitung für Menschen mit übermäßigem Kaufverhalten an. Die sind dann eher zufällig über Mund-zu-Mund-Propaganda an uns gekommen. Dass wir es nun offiziell machen, liegt einfach daran, dass es bislang kein spezialisiertes Angebot hierzulande gab, obwohl eine substanzielle Zahl an Menschen betroffen ist, und einer muss es ja machen, das ist ethisch einfach geboten. Und da wir viel Erfahrung mit Verhaltenssüchten haben, lässt sich das nahtlos in unser Programm einbinden.
Bleibt zu hoffen, dass wir nicht wie im Bereich Glücksspiel zehn Jahre auf die Finanzierung einer Stelle warten müssen.
* Die „Anonym Glécksspiller Asbl“ wird Anfang 2022 ihre Beratungsstelle „Ausgespillt“ und „Game Over“ unter dem neuen Namen „Zenter fir exzessiivt Verhalen a Verhalenssucht“ (ZEV) zusammenfassen und in neue Räumlichkeiten in Hollerich ziehen.
- Das Country-Radio aus Gilsdorf - 30. Dezember 2024.
- Tania Schott aus Bissen ist eine international renommierte Teddybär-Künstlerin - 29. Dezember 2024.
- „Péiteng on Air“ sendet aus einer ehemaligen Kirche - 29. Dezember 2024.
„Ansonsten haben Kaufsüchtige übrigens erstaunlich wenig Gemeinsamkeiten und finden sich in allen Bildungs- und Einkommensschichten. “
Wohl kaum.
Leute die mit einem goldenen Löffel im Mund geboren werde, statt einem Silbernen, haben ‚personal shoppers‘ die alle Einkäufe für sie erledigen.
Wo ist das Problem?
Kauf nie mehr als du dir leisten kannst!
Meine persönliche Devise lautet: Lieber etwas haben und nicht brauchen, als etwas brauchen und nicht haben.
😉
Das nennt man Leiden auf sehr hohem Niveau !