Lokale Produktion / Les Paniers de Sandrine: Hinter dem Betrieb liegen zwei schwierige Jahre
Sandrine Pingeon (44) trifft man am ehesten unter freiem Himmel. Sie ist meistens bei ihren Pflanzen, die auf dem 3,5 Hektar großen Gelände bei Münsbach wachsen. Ihre Tüten mit dem frischen, ökologisch produzierten Obst und Gemüse schätzen nicht nur Privatleute, sondern auch bekannte Köche. Trotzdem waren die letzten beiden Jahre schwierig für die Unternehmerin.
Sandrine Pingeon steht an einem Scheideweg. Hochgelobt, mit unsicherer Zukunft und nach zwei „speziellen“ Jahren, wie sie sagt, nachdenklicher denn je – so ist der gefühlte Status quo. Wie alle Lebensmittelproduzenten ist sie von Natur und Wetter abhängig, jedes Jahr ist anders. Das kennt die gelernte Gärtnerin, die sich sowohl im Garten als auch im Landschaftsbau auskennt.
In den letzten beiden Jahren aber kam einiges zusammen. Nicht nur die Corona-Epidemie, sondern auch Ernteausfälle stellen ihren Betrieb vor ernsthafte Fragen. Die Pandemie brachte ihrem Obst- und Gemüsebetrieb mit acht Mitarbeitern in Teil- und Vollzeit zwar viele neue Kunden und Arbeit bis zum Umfallen, aber auch viele Umstände.
Wie viele stellt sie anfangs auf Bestellungen und Lieferungen nach Hause um, obwohl sie das nie wollte. Schon der erste Tag bringt die Ernüchterung. „Bis Mitternacht haben wir die Bestellungen bearbeitet, meine Mannschaft war todmüde“, sagt sie. Um sie zu schonen – denn die Arbeit geht tagsüber im Gelände weiter – stellt sie das sofort wieder ein und öffnet den Shop wieder.
Die Produkte sind begehrt
Aufgrund der Sicherheitsbestimmungen stehen die Menschen in der Zeit bis auf die Straße an, um bei ihr einzukaufen. „Es war eine harte Zeit“, sagt sie. Die neuen Kunden kommen in der Mehrzahl nicht, weil sie lokal anbaut und ihr Obst und Gemüse nicht aus Neuseeland oder Spanien eingeflogen wird. Sie kommen, weil sie in der Zeit Supermärkte meiden wollen.
So schnell wie die neue Klientel den Weg zu ihr findet, so schnell ist sie nach dem Lockdown wieder weg. Als „Panier“-Kunden kann sie sie nicht gewinnen. Zu fremd ist ihnen das System, monatlich im Voraus zu bezahlen, das Risiko auf viele Schultern zu verteilen und mit gegenseitigem Vertrauen zu arbeiten. Am Abholtag Donnerstag ist die Tür des Shops im nahegelegenen Bauernhof offen.
Die Tüten werden mittwochs gepackt und stehen mit Namen gekennzeichnet zur Abholung bereit. Ihre Stammkunden kennen das. Rund 70 solcher „Panier“-Kunden gibt es. Sie sind nicht die einzigen. An den Shoptagen, Dienstag und Freitag, tummeln sich vor allem freitags schon mal bis zu 180 Menschen in ihrem Laden. Das Wochenende naht und es gibt mehr Zeit, selbst zu kochen. Trotzdem schwankt ihr Umsatz.
Ernteausfälle und Corona erschweren die Arbeit
Wildschweine verursachten letztes Jahr mehrmals Ernteausfälle. Sie musste mehr als sonst bei anderen Produzenten und Lieferanten zukaufen. Dieses Jahr hat sie Pech mit einigen Sorten. Sie arbeitet ohne Chemie und mit Saatgut von alten Sorten. Ihre Stangenbohnen werden zwar sehr groß, sind aber nicht verkäuflich. „Sie waren zu faserig und fleckig, keine gute Qualität“, sagt sie.
Ihre Melonen sind ebenfalls unverkäuflich. Zum vierten Mal hat sie sie dieses Jahr angebaut, hat aber kein Stück der geplanten 500 verkaufen können. Sie waren krank. „Es hat zu viel geregnet und es war zu kalt“, sagt sie. Qualitätsmanagement ist Kern ihres Erfolges. Immerhin gehören Köche wie Cyril Molard vom „Ma Langue sourit“ oder René Mathieu von „La Distillerie“ zu ihrer Kundschaft.
Sie lassen sich gerne von den Blumen und Kräutern, die Pingeon produziert, für ihre Kreationen inspirieren und haben dafür eine „Carte blanche“. Ihren Küchenbedarf decken sie über Bestellung. Wenn die „Chefs“ kommen, ist die gebürtige Französin aus den Vogesen ganz nah an ihrem ursprünglichen Berufswunsch. Sie wäre gerne Köchin geworden. Ihre Eltern bremsen sie damals aus, Büro ist auch nichts für sie.
Der Garten ist in Gefahr
Alternativ wäre sie gerne Försterin geworden, aber als Quereinsteigerin nach einem Jahr Ausbildung als Gärtnerin hat sie keine Chance. Der Liebe wegen zieht sie nach Luxemburg und gründet eine Familie. Beim Bioproduzenten Colabor sammelt sie 15 Jahre als Teamchef Erfahrungen. Der Sprung in die Selbstständigkeit 2012 ist keine Spontanentscheidung.
„Ich habe fünf Jahre lang überlegt“, sagt sie. Da sind ihre beiden Kinder schon auf der Welt. Sie stemmt schließlich Selbstständigkeit und Familie. Jetzt überlegt sie wieder, denn um den Betrieb so weiterzuführen, müsste sie noch einmal groß investieren. „Ich bin mit meinem Garten mittlerweile in einer ,Zone industrielle‘“, sagt sie.
Sie hat das Land, das zwischenzeitlich umklassiert wurde, gepachtet. Wenn erste industrielle Aktivitäten konkret werden, ist es damit vorbei. Wann das sein wird, weiß sie nicht. Deshalb scheut sie sich vor großen Investitionen. Um die neue Bewässerungsanlage kam sie allerdings nicht herum. Normalerweise bekommt sie Wasser vom nahe gelegenen Bauernhof in Tanks geliefert.
Unsichere Zukunft
Es ist geklärtes Wasser aus einer Kläranlage in der Gegend. Letztes Jahr waren die Viren auch im Wasser. Die Lieferungen wurden umgehend eingestellt. 10.000 Euro musste sie in die Hand nehmen, um das Problem zu lösen. Die einzige Lösung wäre ein Umzug des Betriebs und große Investitionen, die sich rechnen, bis sie in 15 Jahren in Pension geht.
Alternatives, fruchtbares Land zu finden, ist schwer. „Zwei Hektar würden schon reichen“, sagt sie. „Dann würde ich richtige Gewächshäuser bauen und es kann weitergehen.“ Weg vom Stillstand. Bliebe noch das Problem: Wohin mit dem Shop, wenn sie mit dem Betrieb umzieht? In einer Grünzone darf man keinen haben. „Es müsste eine mobile Lösung sein“, sagt sie.
Außerdem will sie in der Gegend bleiben. „Meine Kunden kommen von hier, sie sind treu und ich habe ein tolles Team“, sagt sie. Ungewöhnlich ist ihre Situation nicht, denn Obst- und Gartenbauer sind in Luxemburg nicht umsonst dünn gesät. Es fehlt nicht nur an Wasser, an unbürokratischeren Genehmigungen für Gewächshäuser, die trotz Klimawandel gebraucht werden, und an bezahlbarem Land. Es fehlt auch an Menschen, die 65 Stunden Arbeit pro Woche in Kauf nehmen und risikobereit sind.
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