/ Vom Süden ins Zentrum: Opposition im Leudelinger Gemeinderat fordert Wechsel des Wahlbezirks
Die Bürger Leudelingens fühlen sich eher zum Zentrum hingezogen als zum Süden. Da macht es Sinn, auch vom Wahlbezirk Süden zum Wahlbezirk Zentrum zu wechseln. Das zumindest will die DP-gefärbte Opposition im Gemeinderat um Jean-Pierre Roemen (22) wissen, die dazu ein Referendum abhalten will. CSV-Bürgermeisterin Diane Bisenius-Feipel hält das für unnötig, weil es für die Bürger nichts ändern würde. Nachfragen in der Majorzgemeinde eröffnen verschiedene Welten.
In einem Leserbrief an die Medien des Landes hat sich Bürgermeisterin Diane Bisenius-Feipel (39) mit ihrer Mehrheit im Gemeinderat unlängst Luft gemacht. Die vier Räte und Schöffen rund um die Rathauschefin erkennen keine Vorteile für die Leudelinger Bürger bei einem Wechsel des Wahlbezirks, schreiben sie dort. Außerdem sei in der jüngsten Regierungserklärung „vorerst Abstand von der Idee einer Veränderung der Wahlbezirke genommen worden“, weshalb ein Referendum unnötig sei. Vor diesem Hintergrund sei der Aufruf dazu „wenig politisch (im Sinne von Gemeinwohl) motiviert“, unterstellen die Unterzeichner in dem Schreiben. Die Diskussion um den Wechsel werde vielmehr von „DP-Lokalpolitikern medial vermarktet“, um „Werbung in eigener Sache zu betreiben und im aktuellen Bezirk Zentrum bessere Chancen und politisches Gewicht anzustreben“, heißt es in dem Schreiben weiter.
Das sind harte Vorwürfe. Die Unterzeichner des Schreibens verweisen auch darauf, dass die Lösungskompetenz in dieser Frage nicht auf Gemeindeebene liegt. Die Wahlbezirke seien per Verfassung festgelegt.
Auf Nachfragen bestätigt die Leudelinger Bürgermeisterin diese Argumentation und spricht das Beispiel Kopstal an. Auch dort gärten immer wieder Diskussionen um die Tatsache, dass die Kopstaler, die zum Kanton Capellen gehören, im Süden wählen, obwohl sich die Gemeinde eher zum Zentrum hingezogen fühlt und rein geographisch zum „Speckgürtel“ der Hauptstadt zählt. Dort gipfelte die Diskussion um die Frage, wo gewählt wird, in einem Referendum Anfang Oktober 2017. 63 Prozent haben sich damals für den Wechsel zum Wahlbezirk Zentrum ausgesprochen. Passiert ist seitdem nichts, gewählt wurde bei den folgenden Wahlen wieder im Süden.
Gebundene Hände
Dem dortigen Gemeinderat sind trotzdem die Hände gebunden. Die Einteilung der Wahlbezirke stammt von einer Verfassungsreform aus dem Jahr 1919, teilt das Innenministerium auf Anfrage mit. Zwar können die Grenzen der Kantone per Gesetz geändert werden. „Wenn aber eine solche Änderung gleichzeitig die verfassungsrechtlich verankerte Zusammensetzung der Wahlbezirke betrifft, kann sie lediglich nach dem Verfassungsänderungsverfahren durchgeführt werden“, antwortet das Ministerium zu den Prozeduren. Das heißt: Parlament oder Regierung müssten die Initiative zu einem neuen Gesetz über die Wahlbezirke ergreifen.
„Was soll ein Wechsel für den Bürger von Leudelingen bringen?“, fragt Bisenius-Feipel auf Nachfrage des Tageblatt. „Wir haben mit Bettemburg zusammen ein Schwimmbad gebaut, das ist eine Südgemeinde, und im DICI sitzen wir zusammen mit vier Gemeinden aus dem Zentrum am Tisch.“ DICI steht für „Développement intercommunal coordonné et intégratif pour le Sud-Ouest de l’agglomération de la Ville de Luxembourg“. Mitglieder sind neben der Hauptstadt Bartringen, Hesperingen, Strassen und eben Leudelingen, das als einzige dieser Kommunen zum Kanton Esch gehört. „Süden, Zentrum – wo ist da der Unterschied?“, meint Bisenius-Feipel. Seit 2013 ist sie für die politischen Geschicke der 2.600 Einwohner zählenden Gemeinde nahe der Hauptstadt zuständig.
Zentrum näher als der Süden
Ganz anders sieht das die – wie im Leserbrief richtig festgestellt – vierköpfige DP-Opposition in Leudelingen, die sich „Zesumme fir Leideleng“ nennt. Jean-Pierre Roemen (22), Sohn des Vorgängers von Bisenius-Feipel, nennt gleich mehrere Gründe, die in den Augen seines „Teams“ dafür sprechen, zukünftig im Zentrum zu wählen. „Wir sagen, dass die Abgeordneten aus dem Zentrum viel näher an den politischen Interessen der Leudelinger sind als die aus dem Süden“, sagt Roemen. Er nennt die geplante Erweiterung der Tram-Trasse aus der „Stad“ bis in die Gemeinde, den im Strategiepapier 2020 der Ponts & Chaussées als Umgehung ausgewiesenen, aber noch nicht gebauten Boulevard de Cessange und die Zusammenarbeit mit den Randgemeinden der Hauptstadt beim DICI.
„Eine Zusammenarbeit mit ‚Pro Sud‘ hat der Schöffenrat ja abgelehnt, weil wir eher gemeinsame Interessen mit dem Zentrum haben als mit dem Süden“, sagt Roemen. „Von daher verstehen wir die heftige Ablehnung jetzt nicht.“ Ein Resultat der DICI- Zusammenarbeit ist, dass das Fahrradverleihsystem „Vel’oh“ nach Leudelingen kommt. Gemeinsame Infrastrukturprojekte sind das eine, die Orientierung der Jugend das andere: „Fast alle Schüler gehen in der Hauptstadt auf eine weiterführende Schule und nicht im Süden“, sagt Roemen, für den diese Zeit noch nicht so lange zurückliegt. „Die allermeisten Jugendlichen gehen auch in der Stadt aus und nicht in Esch, Düdelingen oder Differdingen – der Bezug zum Zentrum ist viel stärker.“
Nationales Thema
Verstärkt werden die „liens“ Richtung Zentrum noch durch die Tatsache, dass Roemen sagt, über 50 Prozent der Erwerbstätigen in Leudelingen arbeiteten in der Stadt. Leudelingen grenzt an die Stadtteile Cessingen und Gasperich, die „Cloche d’Or“ ist nah und wird heftig ausgebaut. Bis 2025 sollen dort 30.000 Menschen leben, arbeiten und ihre Freizeit verbringen.
Davon, dass man mit dem Thema „Wahlbezirk“ schnell auf nationaler Ebene anlangt, ist das DP-Team dann aber doch überrascht. „Wir werden das überprüfen“, sagt Jurastudent Roemen und kündigt für den Fall, dass die Mehrheit im Leudelinger Rathaus gegen das Referendum votiert, eine Unterschriftensammlung an. Der Vorschlag liegt auf dem Tisch. Am 26. Mai nun sollen die Bürger parallel zur Wahl zum Europaparlament entscheiden, in welchem Wahlbezirk sie zukünftig wählen wollen. Egal, wie es ausgeht, Roemen ist stolz darauf, dass eine Debatte im Parlament zum Thema in Aussicht gestellt wurde. Bislang ist der Süden mit 103.083 Wahlberechtigten (2018) der einwohnerstärkste Bezirk und schickt mehr Abgeordnete ins Parlament. Das Zentrum ist mit 72.897 Wahlberechtigten (2018) nur der zweitstärkste Wahlbezirk.
Wenn das Beispiel Schule macht, könnten sich die Machtverhältnisse im Land in Richtung Zentrum verschieben. Dementsprechend allgemein antwortet das Ministerium denn auch auf die Frage danach, ob die Wahlbezirke überhaupt noch zeitgemäß sind: „Eine Antwort auf diese Frage bedarf grundsätzlicher Überlegungen und eines möglichst breiten gesellschaftlichen und politischen Konsenses.“
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