Revue-Reportage / LGBTQ-Themen an Schulen: „Für Respekt und Toleranz“
Gehören LGBTQ-Themen auf den Lehrplan minderjähriger Schüler? Unzählige Bürger, Politiker und Experten haben sich in den letzten Tagen öffentlich zu dieser Frage geäußert. Zwei öffentliche Volksbegehren konkurrieren aktuell um Unterschriften. Revue und Tageblatt.lu wollen es auch wissen – und haben die Menschen gefragt, die wohl am stärksten von der Thematik betroffen sind.
Zu diesem Zweck haben wir mit Mitgliedern der LGBTQIA+-Gemeinschaft gesprochen, die in einer Zeit aufgewachsen sind, in der besagte Themen in der Schule noch tabu waren. Unterstützt wurden wir dabei vom Centre LGBTIQ Cigale, das unsere Fragen an Interessen-Gruppen wie die L-Mums (lesbische Mütter) und G-Dads (schwule Väter) weitergeleitet hat. Alle berichten sie von mehr oder weniger traumatischen Erlebnissen, die ihrer Meinung nach hätten verhindert werden können. Ihr Wunsch: dass sich künftig mehr LGBTQ-Jugendliche zugehörig fühlen und Kinder aus Regenbogenfamilien nicht ausgeschlossen werden.
Gleichzeitig können Diskussionen über LGBTQIA+-Themen anderen Schülern dabei helfen, empathischer gegenüber Menschen zu sein, die Schwierigkeiten haben, sich zu outen, oder die Angst haben, anders zu sein. Das zeigt das rührende Beispiel einer Lehrerin: „Dieses Jahr hat mich ein Schüler gefragt, wie meine Eltern reagierten, als ich mich bei ihnen geoutet habe. Ich erklärte, dass sie anfangs unglücklich waren. Eine Woche später kam derselbe Schüler auf mich zu und fragte: Sind Ihre Eltern jetzt okay mit Ihnen? Denn ich liebe Sie!“ Diese Interaktion sei unglaublich kraftvoll gewesen, so die Betroffene. „Und sie zeigt, dass der Schüler gelernt hat, sensibel und einfühlsam zu sein.“
Cécile (41), Lehrerin *
Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, dass LGBTQ-Themen in der Schule behandelt werden?
Die Diskussion ist entscheidend, um Mobbing zu verhindern und um Respekt und Offenheit unter den Schülern zu fördern. Für diejenigen, die zu Hause keine Sichtbarkeit haben, können Schulgespräche das Tabu brechen und Ängste zum Thema abbauen. Darüber hinaus sind manche Eltern möglicherweise unsicher, wie sie diese Themen ansprechen sollen, und verfügen nicht über die Ressourcen, dies zu tun; daher ist es wichtig, dass Schulen diese Bildung anbieten.
Welche Erfahrungen haben Sie in der Schule gemacht?
Als lesbische Lehrerin hat das Teilen meines Alltags mit meiner Frau bedeutungsvolle Diskussionen im Unterricht angeregt: über Stereotypen und darüber, wie zwei Frauen eine Familie bilden können. Wir haben „Das große Buch der Familien“ gelesen, das Gespräche über verschiedene Familienstrukturen erleichtert. Darüber hinaus führten wir ein Buch ein, das Geschichten von verletzlichen Schülern enthält, die möglicherweise wegen ihrer Unterschiede gemobbt werden. Eine Geschichte hat einen Schüler derart berührt, dass er sich nach dem Lesen sicher genug fühlte, sich einem Lehrer gegenüber zu outen.
Glauben Sie, dass Ihre Schulzeit anders verlaufen wäre, hätten diese Themen auf dem Unterrichtsplan gestanden?
Als Teenager wäre meine Erfahrung in der Schule völlig anders gewesen, wenn LGBTQIA+-Themen angesprochen worden wären. Damals galten solche Themen als sündhaft, seltsam und beschämend. Ich musste meine Identität vor Freunden, Lehrern und meiner Familie verbergen, da ich wusste, dass sie mich beurteilen und als anders und eigenartig betrachten würden.
Was sollen Leser aus diesem Gespräch zurückbehalten?
Einige Eltern befürchten wohl, dass die Diskussion im Unterricht ihre Kinder dazu ermutigen könnte, schwul oder lesbisch zu werden. Was sie wohl nicht verstehen: Das Verbergen dieser Themen und das Schaffen eines Tabus führt dazu, dass Schüler in Stille leiden, sich unsicher fühlen und möglicherweise gemobbt werden. Ein Schüler mit zwei Müttern war anfangs zurückhaltend, seine Familie im Unterricht zu besprechen, aus Angst, ausgelacht zu werden. Kein Schüler sollte solche Gefühle in der Schule erleben; jeder sollte geliebt und respektiert werden, unabhängig von seiner Familienstruktur oder persönlichen Identität. Ein anderer Schüler, der nur eine Mutter hat, fühlte sich gezwungen, für eine Vaterstagsaufgabe einen Vater zu erfinden, weil die Lehrerin nicht berücksichtigte, dass einige Schüler keinen Vater haben. Während wir Respekt für verschiedene Kulturen und Religionen lehren, müssen wir auch den Respekt für unterschiedliche Familienstrukturen und Identitäten vermitteln.
* Name von der Redaktion geändert
Andreas (35), G-Dads
Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, dass LGBTQ-Themen in der Schule behandelt werden?
Man sieht, dass in Europa und sogar in Luxemburg ein neuer Konservatismus aufkommt. Die eine Petition hat sehr schnell viele Unterschriften erhalten. Die Kommentare in den Artikeln und in den sozialen Medien sind erschreckend. Ich habe Angst um die jungen Betroffenen, aber auch um mein Kind, das zwei Väter hat. Ich bin froh, dass die Petition während der Schulferien läuft. Ich hoffe, dass sich die Situation bis zum Schulbeginn beruhigt.
Welche Erfahrungen haben Sie in der Schule gemacht?
Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Erst mit 13 wurde mir klar, dass ich nicht wie die anderen war. Im TV konnte ich mich nicht in den Protagonisten wiedererkennen. Meine Schulkameraden machten sich über mich lustig, weil sie mich als „feminin“ wahrnahmen. Ich wurde mit Beleidigungen wie „Schwuler“ oder „stockschwul“ beschimpft. Als ich 15 Jahre alt war, wurde ich in den Toiletten eingesperrt, um „in the closet“ zu sein.
Glauben Sie, dass Ihre Schulzeit anders verlaufen wäre, hätten diese Themen auf dem Unterrichtsplan gestanden?
Ich wäre wahrscheinlich weniger gemobbt worden. Ich denke auch, dass die Lehrer reaktionsschneller gewesen wären, um mich zu schützen. Sie wären besser informiert gewesen und hätten das Mobbing verhindern können.
Was sollen Leser aus diesem Gespräch zurückbehalten?
Informieren Sie sich! Die eine Petition zeigt, dass die Menschen nicht wissen, was in den Schulen gemacht wird und nicht verstehen, wie es ist, als Teenager lesbisch, schwul, trans oder anders zu sein. Wir dürfen die Jugendlichen nicht leiden lassen, nur weil wir Angst haben.
Astrid (39)
Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, dass LGBTQ-Themen in der Schule behandelt werden?
Die Schule ist eine Institution mit Bildungs- und Erziehungszielen für die Gesellschaft. Menschen gehen nicht nur zur Schule, um akademische Inhalte zu lernen. Sie gehen auch dorthin, um zu lernen, wie man mit anderen umgeht und um soziale und emotionale Fähigkeiten zu entwickeln, die es uns ermöglichen, harmonisch zusammenzuleben.. Lernen bereitet uns darauf vor, in einer Gesellschaft zu leben. Ich halte es für essenziell, über die Inhalte der Sexualerziehung, sexuelle Vielfalt und Nichtdiskriminierung zu sprechen. Sexualität ist Teil der umfassenden Gesundheit und Persönlichkeit jedes Menschen.
Welche Erfahrungen haben Sie in der Schule gemacht?
Als ich jung war, hatte ich nie Sexualerziehungskurse oder Ähnliches in der Schule. Menschen wurden abgelehnt und ausgelacht, wenn man sie verdächtigte, queer zu sein. Es war ein Tabuthema, niemand sprach darüber, viele bemerkten es, andere versteckten es. Ich verstand nicht, warum ich anders sein musste, warum ich nicht wie alle anderen sein konnte … Ich ging meinen Weg in Stille und allein, in ständiger Angst vor der Ablehnung durch meine Familie und Freunde. In dem Moment, als ich meine Orientierung als Tatsache akzeptieren konnte und nicht als Wahl, beschloss ich, nicht zu lügen oder so zu tun, als wäre ich jemand anderes, und nicht das Leben zu führen, das andere für mich erwartet hatten. Gott sei Dank fühlte ich mich im Frieden mit mir selbst und verfolgte mein Glück. Heute habe ich eine wunderschöne Familie und bin sehr stolz darauf, niemals aufgegeben zu haben. Viele andere konnten das nie erreichen… sie hatten kein glückliches Ende.
Glauben Sie, dass Ihre Schulzeit anders verlaufen wäre, hätten diese Themen auf dem Unterrichtsplan gestanden?
Sicherlich, aber ich verstehe, dass vor 30 Jahren alles anders war. Die Zeiten waren anders, und Lehrer hatten möglicherweise nicht die Werkzeuge oder Fortbildungsmöglichkeiten, die wir heute haben – ebenso wenig wie didaktisches Material , Aktivitäten und Methoden, um das Thema anzugehen. Viele Menschen lehnten es aus Angst vor dem Unbekannten ab, niemand sprach offen über solche Dinge. Heute halte ich es für essenziell, weil wir Teil der Gesellschaft sind, unsere Familien aufbauen, existieren und weiterhin die Türen für zukünftige Generationen öffnen müssen, damit sie wissen, dass es nichts Falsches daran gibt, so zu sein, wie man ist. Dass man glücklich sein und sein Leben ohne Angst leben kann, dass man tolerant sein und akzeptieren muss, dass andere Menschen das Recht haben, glücklich zu sein, so wie sie sind. Es gibt viele Kinder und Jugendliche in Schulen, die Angst und Ablehnung fühlen und Gewalt und Mobbing erleben, was Angstzustände und Depressionen verursachen kann. Dies erklärt, warum die Wahrscheinlichkeit von Selbstmord unter Minderjährigen steigt. Mobbing und Cybermobbing gehören zu den wichtigsten Risikofaktoren für suizidales Verhalten.
Was sollen die Leser aus diesem Gespräch zurückbehalten?
Umfassende Sexualerziehung und das Bildungsprogramm decken eine Vielzahl von Themen ab, die mit der menschlichen Entwicklung zusammenhängen – einschließlich Pubertät, Anatomie, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. Zu wissen, dass diese Themen existieren, ist wesentlich, um uns selbst zu erkennen. Um zu verstehen, wer wir sind und was wir fühlen, und zu wissen, dass es nichts Schlechtes ist und nicht nur uns passiert. Alles ist mit Bildung, Respekt und Toleranz möglich. Wir müssen lernen, in sozialer Inklusion zu leben. Hass und Ablehnung richten großen Schaden bei unseren jungen Menschen und unserer Gesellschaft an. Es geht darum, jeden Menschen gleichwertig zu betrachten, ohne Vorurteile jeglicher Art. Dies ist nur durch institutionelle und soziale Werte möglich: Respekt, Toleranz, Verantwortung, Freiheit, Ethik, Gerechtigkeit, Freundschaft und Ehrlichkeit. Diese Werte werden durch die Normen, Regeln und das tägliche Zusammenleben der Schüler vermittelt.
Wollen Sie noch etwas hinzufügen? Welche Rolle spielt die Angst und die Ungewissheit in der aktuellen Diskussion?
Wir alle müssen über Sexualität Bescheid wissen, um uns selbst besser kennenzulernen und einige Dinge zu verstehen, die mit unserer körperlichen und emotionalen Entwicklung zusammenhängen. Außerdem benötigen wir Informationen, die uns ermöglichen, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Unsere Generation von Homosexuellen, die heute Eltern sind, war die meiste Zeit ihres Lebens nur konventionellen, heteroparentalen Familien und der heteronormativen Gesellschaft ausgesetzt. Wir hatten keinen Zugang zu diesen Informationen, wuchsen nicht in Vielfalt auf und erhielten keine inklusive Bildung. Das hat uns nicht daran gehindert, unseren Instinkten zu folgen, die Notwendigkeit zu verspüren, voranzukommen, unsere eigene Identität außerhalb der gesellschaftlichen Norm zu entdecken und unser Glück zu finden. Ich denke, dass die Angst vieler Familien darin besteht, dass sich den jungen Menschen eine Reihe anderer Möglichkeiten eröffnen wird. Aber wir sind, wer wir sind, und nur weil wir lernen, Menschen außerhalb der Heteronormativität zu respektieren und mit einzubeziehen, bedeutet das nicht, dass Kinder deswegen experimentieren wollen. Mit den Informationen, die sie in der Schule lernen, werden sie vielleicht verstehen, dass es eine Frage der Identität ist und nicht des Spotts, der Vorurteile und der Ablehnung. Vielleicht können wir nur so Platz für alle schaffen, damit sie ohne Scham und Diskriminierung sein können, wer sie sind. Nur durch Respekt, Bewusstsein und Inklusion.
Daniela (43), Pan-Bi *
Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, dass LGBTQ-Themen in der Schule behandelt werden?
Es ist absolut essenziell. Andernfalls wird ein ganzer Teil der Bevölkerung unsichtbar gemacht. Was nicht benannt wird, existiert nicht. Diese Vielfalt unsichtbar zu machen, bedeutet, den Jugendlichen die Möglichkeit zu nehmen, ihren eigenen Körper und ihre eigenen Erfahrungen zu verstehen und zu normalisieren. Es nimmt ihnen die Möglichkeit, ihr Umfeld zu verstehen und zu lernen, dass es viele Unterschiede gibt, die nicht nur die Hautfarbe betreffen. Und zu lernen, diese zu respektieren. Jedes Kind hat seine eigenen Besonderheiten, die eine einzigartige Kombination bilden: seine Herkunft, seine Hautfarbe, seine Körperstatur, seine Religion, seine Familienkonstellation, seine Musikgeschmäcker, seinen Kleidungsstil, seine sportlichen oder künstlerischen Talente … seine Geschlechtsidentität und seine sexuelle Orientierung gehören ebenfalls dazu. Die Existenz dieser Vielfalt zu verbergen, bedeutet, Jugendliche mit einem beschränkten Geist zu schaffen, die Personen ablehnen, unterdrücken, schikanieren und angreifen, die anders sind. Gleichzeitig werden Jugendliche erzogen, die sich gezwungen sehen, eine Rolle zu spielen, um sich anzupassen und in enge Schubladen zu passen, um sich so gut wie möglich vor Ablehnung und äußerer Gewalt zu schützen. Und das über Jahre hinweg, wenn nicht sogar ein Leben lang. Dies geschieht auf Kosten eines schwer zu ertragenden Unwohlseins. Jeder Mensch sollte die Freiheit haben, seine eigene Individualität in einer sicheren und respektvollen Umgebung zu entwickeln und zu leben.
Welche Erfahrungen haben Sie in der Schule gemacht?
Für Jugendliche in den neunziger Jahren, als es noch kein Internet gab, gab es in der Schule einfach keinerlei Sensibilisierung für solche Themen. Die wenigen seltenen Darstellungen in einigen Filmen oder Nachrichtensendungen waren karikaturistisch und unangemessen. Sie waren tatsächlich weit entfernt von der Realität des Lebens der betroffenen Personen. Ich bin, wie viele andere, mit heteronormativen Stereotypen aufgewachsen: Ein Mädchen musste „einen Freund“ haben. Von „einer Freundin“ war nie die Rede. Umgekehrt galt das auch für Jungs. Alles, was von dieser Norm abwich, wurde verspottet, verachtet, abgelehnt und als Vorwand für Beleidigungen genutzt. Sogar einige Lehrer machten sexistische und frauenfeindliche Bemerkungen. Das hat nicht dazu beigetragen, dass Betroffene sich auf eine unbeschwerte Weise entwickeln konnten. Erst recht nicht, wenn sie als anders wahrgenommen wurden.
Glauben Sie, dass Ihre Schulzeit anders verlaufen wäre, hätten diese Themen auf dem Unterrichtsplan gestanden?
Natürlich! Zunächst hätte ich meinen Eltern erklären können, dass meine Kleidungsvorlieben nichts mit meinem Geschlecht zu tun hatten: Ich fühlte mich nicht wie ein „tomboy“, sondern durchaus als gelungenes Mädchen, auch wenn ich keine Kleider und kein Make-up mochte. Ich hätte ihnen auch erklären können, dass mein Stil – der ihnen nicht weiblich genug war – nichts über meine Anziehung zu einem Geschlecht oder einem anderen aussagte. Ich hätte auch besser verstehen können, dass es möglich ist, keine sexuelle Anziehung und kein sexuelles Verlangen zu empfinden. Stattdessen verbrachte ich meine Schuljahre damit, mich anormal zu fühlen, weil ich platonische Beziehungen bevorzugte, während die anderen Mädchen ständig über Jungs sprachen, mit denen sie ausgingen oder ausgehen wollten. Ich hätte auch besser verstehen und unterstützen können, als ich mit 13 Jahren bemerkte, dass ein Freund von mir nicht auf Mädchen. Ich wusste damals nicht, was ich mit dieser Information anfangen sollte, da weder er noch sonst jemand einen Begriff für diese Situation hatte. Erst mit 17 Jahren entdeckte ich die Existenz von Homosexualität. Ich hätte sicherlich auch besser reagiert, als ich romantische Gefühle für ein Mädchen entwickelte, nachdem ich mein ganzes Leben lang nur Gefühle für Jungen gehabt hatte. Ich wusste nicht mehr, wie ich mich definieren sollte: Ich fühlte mich weder hetero noch homo. Erst als ich mit 25 Jahren Europa verließ, um zu entdecken und zu verstehen, wurde mir klar, dass es möglich ist, eine Person für ihre Persönlichkeit zu lieben, unabhängig von ihrem Äußeren und ihrem Geschlecht. Endlich konnte ich mich mit meinen Unterschieden normal fühlen. Es wäre doch so einfach gewesen, von klein auf zu erklären, dass die Geschlechtsidentität eine Sache ist und die sexuelle Orientierung eine andere, ohne Korrelation zwischen den beiden. Ebenso einfach wäre es gewesen zu erklären, dass die emotionale oder sexuelle Orientierung vielfältig ist, genauso vielfältig wie die menschliche Bevölkerung insgesamt. Und dass, obwohl statistisch die Mehrheit der Menschen entweder heterosexuell oder homosexuell ist, es dennoch ein Spektrum gibt, auf dem sich auch unter anderem Asexualität, Bisexualität und Pansexualität befinden.
Was soll der Leser von diesem Gespräch zurückbehalten?
Dass Gespräche über LGBTQ-Themen in der Schule nicht bedeuten, dass über Sexualität gesprochen wird. Es geht vielmehr um die Normalisierung der Vielfalt von Familienkonfigurationen: Dazu gehören Familien mit zwei Müttern oder zwei Vätern sowie Familien mit einem oder mehreren transgeschlechtlichen Elternteilen. Es geht um die Normalisierung der Möglichkeit, sich in eine Person des gleichen Geschlechts zu verlieben: Es ist wichtig, dass es akzeptiert wird, wenn zwei Mädchen oder zwei Jungen Händchen halten oder sich küssen, wie jedes andere Liebespaar auch. Es geht um die Normalisierung der Identität: Das bedeutet, zu akzeptieren und zu respektieren, dass einige Kinder sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, und dass sie ihren Namen und ihr Erscheinungsbild ändern möchten, um sich wohler zu fühlen. Es geht auch um die Wertschätzung der Liebe unabhängig vom Geschlecht: Für manche Menschen zählt die Persönlichkeit mehr als das Geschlecht oder das Aussehen. Über LGBTQIA+-Themen in der Schule zu sprechen, ergänzt und macht die bestehenden Lehrpläne, die bereits Sexualität und Risikoprävention behandeln, inklusiver. Dazu gehören der Respekt vor dem Körper, die Einhaltung des Konsenses, die Prävention sexuell übertragbarer Infektionen und Fortpflanzungsmethoden – Themen, die auch für junge LGBTQIA+-Menschen relevant sind.
* Name vom Interviewpartner geändert
Cigale bleibt geöffnet
Der Centre LGBTIQ Cigale ist eine Anlaufstelle für Betroffene, aber auch für Menschen, die sich über LGBTQIA+-Themen informieren möchten. Eigentlich sollte das Zentrum vom 4. bis 18. August schließen. Wegen der Petition 3198 aber wurden sämtliche Urlaubspläne verworfen: Die Zahl der Anfragen sei explodiert, so die Verantwortlichen. Der Gesprächsbedarf sei hoch. Vor allem junge Menschen hätten die Debatten extrem destabilisiert. Das Zentrum bleibt demnach geöffnet.
Mael (43), G-Dads
Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, dass LGBTQ-Themen in der Schule behandelt werden?
Diese Themen sind jetzt schon präsent in der Schule. Wenn sie nicht in einem organisierten Rahmen behandelt werden, finden sie dennoch in Gesprächen zwischen Schülern und im sozialen und kulturellen Umfeld statt. Die Frage ist daher nicht, ob diese Themen im schulischen Kontext aufgenommen werden sollen, sondern ob sie mit einem gemeinsamen Wertefundament versehen werden sollen. Obwohl es insgesamt tolerant ist, denke ich, dass das Umfeld hier und heute immer noch von einer Reihe von Klischees und verbreiteten Diskursen geprägt ist, die die Stigmatisierung und Exklusion der Minderheit von Menschen begünstigen, die nicht in die cis- und heterosexuelle Norm passen. Es erscheint mir wichtig, dass die Schule es ermöglicht, diese Unterschiede zu thematisieren, um die Würde aller Menschen zu wahren, Mechanismen der Inklusion zu fördern und Mobbing vorzubeugen.
Welche Erfahrungen haben Sie in der Schule gemacht?
Während meiner Schulzeit in den neunziger Jahren in Frankreich hatte ich nur eine einzige Sitzung zur Sexualerziehung, die sich auf Verhütung und Prävention von sexuell übertragbaren Infektionen konzentrierte. In der Schule haben mich meine Klassenkameraden mit Begriffen wie „Pädophile“ und „Schwuchtel“ beschimpft, noch bevor ich selbst meine Sexualität akzeptiert hatte. Wahrscheinlich war ich genug effeminiert, um solche Angriffe zu „rechtfertigen“. In diesem Alter identifizierte ich mich noch nicht als schwul, obwohl ich eine gewisse Anziehung zu Männern verspürte – was anscheinend sichtbar war. Auf seltsame Weise trafen mich diese Beleidigungen daher nicht wirklich. Aber sie führten dazu, dass ich alles stark unterdrückte, was diese Beleidigungen hätte begünstigen können. Ich überzeugte mich selbst, dass das Ganze letztlich nicht real sein konnte und nicht sein durfte. Ich brauchte zehn Jahre, um aus diesem Zustand des Leugnens auszubrechen. Eine Zeit, die von schmerzhaften Phasen des absoluten Alleinseins geprägt war.
Glauben Sie, dass Ihre Schulzeit anders verlaufen wäre, hätten diese Themen auf dem Unterrichtsplan gestanden?
Es ist immer riskant, die Geschichte neu schreiben zu wollen, aber ich bin überzeugt, dass ein theoretischer Zugang zu diesen Themen mich besser vorbereitet und gerüstet hätte. Er hätte es mir ermöglicht, Worte und Konzepte für die Emotionen zu finden, die mich durchzogen und die ich so lange effektiv unterdrückt habe, und den Gefühlen der Isolation entgegenzuwirken. Wahrscheinlich hätte es mir auch ermöglicht, die Homosexualität endlich in einer objektiven Realität zu verankern, anstatt sie den Klischees und Karikaturen zu überlassen, die damals die populäre Kultur prägten. Ein Modell, mit dem ich mich identifizieren konnte, gab es damals nicht.
Was soll der Leser von diesem Gespräch zurückbehalten?
Man muss optimistisch sein, aber gleichzeitig wachsam bleiben!
Paula *, L-Mums
Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, dass LGBTQ-Themen in der Schule behandelt werden?
Mir hat es die Abwesenheit von Repräsentation und Diskussion über unterschiedliche sexuelle Orientierungen damals unmöglich gemacht, meine eigene Identität zu verstehen oder zu akzeptieren. Ich erkannte nicht einmal die Möglichkeit, lesbisch zu sein. Dies führte zu erheblichem Leid für mich und für meine Familie. Die Erfahrung war geprägt von Mobbing und Spott. Deshalb kämpfe ich heute noch mit psychischen Gesundheitsproblemen, einschließlich Angststörungen. Als Erwachsene und Lehrerin sehe ich die tiefgreifende Bedeutung, sicherzustellen, dass LGBTQIA+-Kinder keine Diskriminierung erfahren und dass alle Schüler lernen, Vielfalt zu respektieren. Wir lehren ständig über verschiedene Religionen, Fähigkeiten und Kulturen, um Respekt und Verständnis zu fördern; sexuelle Vielfalt muss eingeschlossen werden, um Verwirrung zu vermeiden und ein wirklich inklusives Umfeld zu schaffen. Kinder kommen ständig mit Fragen zu diesen Themen zu uns, und es ist unsere Pflicht, ihnen genaue Informationen und eine unterstützende Atmosphäre zu bieten.
Welche Erfahrungen haben Sie in der Schule gemacht?
In der Schule gab es eine auffällige Abwesenheit jeglicher Diskussion oder Repräsentation dieser Themen. Jede diesbezügliche Erwähnung wurde ignoriert oder mit Spott bedacht. Diese allgegenwärtige Stille und negative Haltung schufen ein feindliches Umfeld, in dem ich mich gezwungen fühlte, mein wahres Selbst zu verbergen und den gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen. Das Mobbing und der Spott bei meinem Coming-Out verschärften meine Probleme nur noch, was zu erheblichen psychischen Herausforderungen führte, mit denen ich bis heute zu kämpfen habe.
Glauben Sie, dass Ihre Schulzeit anders verlaufen wäre, hätten diese Themen auf dem Unterrichtsplan gestanden?
Meine Erfahrung wäre dramatisch anders gewesen, wenn solche Themen offen und inklusiv in der Schule behandelt worden wären. Das frühzeitige Erkennen und Akzeptieren meiner Identität hätte viel von der Verwirrung und dem inneren Konflikt gemildert. Ein offener Dialog über sexuelle Vielfalt hätte ein unterstützendes und weniger diskriminierendes Umfeld unter meinen Mitschülern gefördert. Dies hätte wahrscheinlich die psychischen Belastungen verringert und es mir früher ermöglicht, authentischer zu leben.
Was sollen die Leser aus diesem Gespräch zurückbehalten?
Inklusion und Bildung sind von entscheidender Bedeutung. Damit können wir in der Schule eine Kultur der Akzeptanz und des Verständnisses schaffen. Dies ist wichtig, um allen Kindern das Gefühl zu geben, gesehen und validiert zu werden, und um allen Schülern die Bedeutung des Respekts vor Vielfalt zu vermitteln. Als Pädagogen und Eltern tragen wir die Verantwortung, sicherzustellen, dass jedes Kind sich sicher und akzeptiert fühlt. Die offene Auseinandersetzung mit diesen Themen kann Verwirrung, Mobbing und psychische Belastungen verhindern, die viele von uns erlebt haben, die später im Leben geoutet wurden. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, eine Welt zu schaffen, in der jedes Kind aufwachsen kann und sich wertgeschätzt und verstanden fühlt, so wie es ist.
* Name von der Redaktion geändert
Noah (19), Young Queers
Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, dass LGBTQ-Themen in der Schule behandelt werden?
Es ist heutzutage einfach eine Frage der Bildung und gehört zur Erziehung. Es sind normale Themen, die mit Kindern besprochen werden müssen, um Mobbing und Homophobie zu verhindern.
Welche Erfahrungen haben Sie in der Schule gemacht?
Bei uns standen die Themen nicht auf dem Stundenplan und wurden auch nie angesprochen. Das hat wohl auch dazu geführt, dass mir die Schulzeit schwergefallen ist. Ich war zwölf bei meinem Coming-Out und viele Mitschüler hatten kein Verständnis dafür. Wohl auch weil die Themen nicht auf dem Stundenplan standen und sie sich nicht damit auskannten. Niemand hat uns erklärt, um was es sich handelt. Und dass eigentliche alle Menschen gleich sind.
Glauben Sie, dass Ihre Schulzeit anders verlaufen wäre, hätten diese Themen auf dem Unterrichtsplan gestanden?
Ich bin überzeugt davon, dass sich die Belästigungen in Grenzen gehalten hätten, weil einfach mehr Schüler mit dem Thema hätten umgehen können. Ob hetero oder queer: Wir sind alle gleich! Das war eine sehr traurige Zeit für mich. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass diese Petition keine Früchte trägt.
Haben Sie eine Botschaft für unsere Leser?
Ich hoffe, dass die Menschen die Aussagen auf diesen Seiten sehr aufmerksam lesen. Damit sie nachvollziehen können, wie es uns ergangen ist und was wir heute noch fast jeden Tag erleben. Vielleicht fällt es manchen Menschen dann etwas schwerer, diese Petition zu unterschreiben …
Mehr in der Revue
Weitere Gespräche mit Mitgliedern der LGBTQIA+–Community lesen Sie ab sofort in der aktuellen Ausgabe der Revue. Dazu noch viele andere interessante Reportagen: Wir waren ins Phantasialand, haben uns das Thema der Green Finance näher angesehen und unser Gastro-Reporter hat es sich im Trianon, der Vintage-Bar vom Hotel Cravat gemütlich gemacht. Bartender Tom Herber hat ihm drei leckere Cocktail-Rezepte verraten, die Sie beim nächsten Barbecue zuhause Ihren Gästen servieren können – natürlich mit und ohne Alkohol. Und wir haben einen Blick hinter die Kulissen eines Festivals in den Rotondes geworfen. Ihre Revue: jeden Mittwoch am Kiosk und jeden Samstag in Ihrem Tageblatt. Verpassen Sie keine Ausgabe, abonnieren Sie jetzt Ihre Revue und erhalten Sie jede Woche Ihre Ausgabe mit den aktuellen Themen.
- Drogenboss des kolumbianischen Golf-Clans in Portugal verhaftet - 25. November 2024.
- „Gladiator II“ knüpft an einen Filmklassiker an, doch gelingt die Fortsetzung? - 25. November 2024.
- Im Nahen Osten droht Trump’sches Chaos - 25. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos