Theater / „Liebe ist austauschbar“: „Janus“ im Kasemattentheater
Die Liebe als zweischneidiges Schwert, die Beziehung als Janusgesicht – in Anouk Wageners erstem abendfüllenden Bühnenstück wird das Paradoxon Liebe, werden die Höhepunkte und Abgründe einer Beziehung zu einem abstrakt-poetischen Abend verdichtet.
Irgendwie konnte es ja nur schiefgehen, zwischen der Aussteigerin (Catherine Janke) und dem Spurensucher (Pitt Simon). Eine, die die Gesellschaft ablehnt, ihr den Rücken kehrt, und jemand, der sie wieder aufspürt, vielleicht, um sie zu reintegrieren, vielleicht aber auch, um in den Spuren die gemeinsamen Erinnerungen zu lesen. Diese eigene Welt, die sich die Liebenden mitsamt Sprache und Grammatik schaffen, ist einzigartig. Aber gleichzeitig ist Liebe „austauschbar“, wie die Aussteigerin trocken kommentiert.
Irgendwo zwischen Austauschbarkeit und Unikum definieren sich die beiden Figuren, deren Lebenslauf während des Stücks ungreifbar bleibt: „Janus“ fokussiert sich auf das Innenleben, die Gefühle, Hoffnungen und Begierden zweier sehr unterschiedlicher menschlicher Psychen.
Wobei der Name des Stücks Programm ist: Anouk Wagener definiert zwischenmenschliche Beziehungen zwischen dem euphorischen Anfang, während dem die Wahrnehmung der oder des Geliebten durch den Stendhalschen Kristallisationsprozess verfärbt wird, und der Kälte des Endes – und beschreibt den Ernüchterungsprozess, der zwischendurch stattfindet, ohne dabei die Momente der Schönheit kleinzureden oder zu verklären. Denn jede Beziehung hat zwei Gesichter, in jeder Beziehung ist man gleichzeitig Aussteiger, wenn man die gemeinsame Intimität sucht, und Spurensucher, wenn man im Nachhinein die Erinnerungen nach der Bedeutung dessen, was das Ganze eigentlich sollte, abgrast.
Wageners Sprache ist dabei präzise und poetisch zugleich: Mal drückt sie abstrakte Emotionen wie Schmerz, Leidenschaft, Eifersucht in Aphorismen aus, mal schafft sie starke Metaphern – eine schwarze Höhle, die Geschichte vom Mond und vom Esel –, in denen sich die Figuren zwar nicht unbedingt geborgen fühlen, die es jedoch erlauben, ihren Gefühlen eine Ausdrucksform zu verleihen.
Der Text funktioniert dabei mehr assoziativ als narrativ, einen konkreten Erzählfaden gibt es kaum, auch wenn sich thematische Muster, Fäden und Nebenfiguren langsam herausschälen – da wäre beispielsweise die damalige Geliebte des Spurensuchers, eine Schauspielerin, „die schon so lange Theater spielt, dass ihr die Wirklichkeit abhandenkommt“, oder der „sanfte Schriftsteller mit seiner weichen Stimme“, der ihr zurückschreibt.
Das Karussell der Unverständnisse
Die Entwicklung der Beziehung der beiden verläuft nicht geradlinig, sondern, getreu unseres Erinnerungsprozesses, fragmentarisch, zyklisch – weswegen es an Corina Ostafis und Kay Wuscheks Regie liegt, dem Stück eine Stringenz, einen Rahmen zu verleihen, der dem Text teilweise abhandenkommt.
Zentral ist dabei das Bühnenbild von Marc Soisson, das wie ein interaktives modernistisches Malewitsch-Gemälde daherkommt und aus beweglichen Seitenflächen besteht. Wie in Aude-Laurence Bivers Adaptierung von Alexandra Woods „Never Vera Blue“, stellt das Bühnenbild verschiedene zwischenmenschliche Konstellationen dar – mal sperren sich beide in Knastzellen ein, mal nisten sie sich in einem Karussell der Intimität ein („das Karussell der Unverständnisse dreht sich weiter und weiter“, sagt die Aussteigerin) – und wie in Mahlia Theismanns Inszenierung von Elise Schmits „Under the Sun“ suggerieren die verschiedenen Einrichtungen, wie eine Beziehung zwischen solipsistischer Selbstfokussierung und Durchlässigkeit der eigenen Intimität pendelt.
Innerhalb dieses mobilen Bühnenbildes stellen die tollen Darsteller dabei körperlich die verschiedensten Beziehungskonstellationen zwischen Akkolade und Hahnenkampf in einer Choreografie der Anziehung und des Abstoßens dar – mal verzweifelt, mal wütend, lässt sich Simons Spurensucher zu Boden gehen, während einer Passage über den cholerischen und daueralkoholisierten Ex torkelt, wankt und stolpert Jankes Aussteigerin und symbolisiert damit, wie jeder in Beziehungen zum Stehaufmännchen wird. Irgendwann wird das Bühnengerüst nicht nur um-, sondern auch abgebaut. In den finalen Momenten bleibt die nackte, schonungslose Kenntnis des anderen – ohne die Verklärung der Liebe.
Musikalisch wird sich dabei Nils-Frahmscher Neoklassik zwischen Elektro und Klavier bedient – die Musik ist unaufdringlich, aber passend, die dramaturgische Straffung des Textes, dessen Elemente in der Bühnenfassung wie Dominosteine anders angedockt werden, kommt dem Stück zugute.
Dennoch bleibt „Janus“ streckenweise etwas zu abstrakt und der Inszenierung gelingt es nicht immer, dem textlichen Gedankenfluss Struktur und Emphase zu verleihen – speziell in den Momenten in denen, wie das im deutschsprachigen Theater so oft passiert, aus heiterem Himmel und auf eine zusammenhanglose Art geschrien, geweint und gelitten wird, riskiert „Janus“, seine Zuschauer*innen ein wenig auf der Strecke bleiben zu lassen.
Info
Nächste Vorstellungen am 19., 20., 21. und 23. März um 20.00 Uhr im Kasemattentheater.
Dauer: 60 Minuten.
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