/ Literatur gewordenes Fieber: Der erste Roman des geheimnisvollen Tomas Bjørnstad
Knapp acht Monate nach seinem Lyrik-Band „Fjorde“ veröffentlicht Tomas Bjørnstad mit „Die Tanzenden“ seinen ersten Roman, in dem der große Unbekannte der Luxemburgensia die luxemburgische Gesellschaft in einem verzerrten Spiegel zum Soundtrack des Weltuntergangs tanzen lässt. So humorvoll kann (und muss) postmoderne Literatur sein.
„Wo hatte ich meinen Arm gelassen?“ Mit diesem „Ritual des Verschwindens“ beginnt „Die Tanzenden“, das zweite Werk von Tomas Bjørnstad, der mit seinem ersten Lyrik-Band „Fjorde“ hauptsächlich auf sich aufmerksam gemacht hatte, weil der gesamte luxemburgische literarische Mikrokosmos zu spekulieren begann, wer sich wohl hinter dem Pseudonym verstecken würde (siehe Kasten).
Plötzlich wurden die gefühlt 43 Menschen, die sich hierzulande für Luxemburgensia interessierten, zu Hobby-Sherlock-Holmes, jeder glaubte, in Schriftsteller X oder Autorin Y den Luxemburger Thomas Pynchon entdeckt zu haben.
Die Durchlässigkeit jeglicher Form von Identität ist passenderweise eines der zentralen Themen von „Die Tanzenden“, einem Werk, das fast gänzlich ohne Handlungsstrang seine Erzählfigur (ein Alter Ego von Bjørnstad selbst) durch die Zeit und die verschiedensten Orte tanzen lässt.
Tomas ist Mitte 30, befindet sich in einer durch die Trennung von seiner Geliebten Nora ausgelösten Midlife-Crisis und übersetzt Reiseführer, Koch- und Kinderbücher. Sein Verlagschef Ernster ist nur eine dieser Figuren, die durch die Liebe des Autors zum augenzwinkernden Referenzreigen in einem Palimpsest auftauchen, das den luxemburgischen (Kultur-)Alltag entstellt und wie in einem Remix auf eine bizarre Art wieder zusammenflickt. „Abgeschnittenes, Zerfetztes, das ist es. Ich bemühe mich hier um eine Ganzheit, die es gar nicht gibt.“
„Der Schaum einer verdrängten Sehnsucht“
Bjørnstads Erzählung liest sich wie ein durch den Tanz, das Nachtleben, den Alkohol und diverse Drogen ausgelöster Rausch. Vergangenheit und Präsens verschwimmen in einer schwebenden Erzählwelt. Zu Beginn wird das zehnjährige Bestehen des Mudam gefeiert, das Museum wird als Kathedrale mit zu viel Smalltalk beschrieben, in dessen Mitte ein Nachrichtensprecher, der sich als Kulturminister entpuppt, und ein Barmann, der eigentlich der Museumsleiter Lunghi ist, um Su Mei Tses Schwarzen Brunnen kreisen. Der Ort wirkt wie ein „Palast gewordenes Fieber“, in dem „das Zeitalter der Panik“ gefeiert wird. Einer der DJs heißt konsequenterweise Joseph Comrade of the Dark.
Später verlagert sich die Handlung in Kneipen wie das „Sodabergh“, „May be not Bill’s“ oder den „Elevator“. In seinen Fragmenten stänkert Bjørnstad gegen die Lehrerzunft („Saftsack auf Saftsack, erbärmliche Staatsexamenskandidatenstudienräte, die sich großspurig Professoren nennen, nur weil ihre Gehälter denen eines Dekans im Ausland entsprechen“); Luxemburger Studierende im benachbarten Trier bekommen genauso ihr Fett weg wie gleichgültige Polizeibeamte oder der beliebte luxemburgische Künstler Andy Rausch, der in der Privatgalerie Vielraus (ein Anagramm für Valerius, Kunstinteressenten werden auch rasch herausfinden, wer sich hinter Rausch versteckt) Vernissage feiert.
Seine Malerei beschreibt der Erzähler als „lümmelhaft ins Licht gestemmte schwere Farbtupfer, dekoriert mit dick aufgetragenen Anspielungen an verschiedene Ungerechtigkeiten im Weltgeschehen“. Während des ING-Marathons laufen Fitness-Süchtige durch die Stadt – dabei entsteht ein „hartnäckiges, federndes Geräusch, irgendwas zwischen Tapsen und Blubbern, ein Gummischaren und Asphaltsurren“ – während ein „fetter Sportminister“ im „Öslinger Dialekt“ das Geschehen kommentiert.
Bjørnstad sieht sich als typischer Vertreter der Generation Y, der mit einer Wünschelrute und einer gehörigen Portion Selbstkritik der Sinnlosigkeit der eigenen Existenz auf der Spur ist. Dass dies in einer meist vorzüglichen Sprache Ausdruck bekommt, der Humor als wirkungsvolle Entstellung einer intrinsisch lächerlichen Gesellschaftsorganisation eine wahrlich entlarvende Funktion hat, trägt maßgebend zur Qualität seiner „Tanzenden“ bei. Bjørnstad besitzt zudem ein wunderbares Gespür für Situationskomik und das Umschreiben von Menschengruppen, die sich kollektiv danebenbenehmen.
„Quecksilbrige Sprünge“
Formal präsentiert sich der Roman als eine Aneinanderreihung von Fragmenten, die ergänzt werden von Gesprächsfetzen, Dialogsequenzen zwischen Tomas und seiner Ex-Freundin Magali, aus dem Kontext geratenen Internetmeldungen und -Kommentaren, einem Blog der bereits erwähnten Magali über ihre psychische Erkrankung oder dem Plot einer Graphic Novel, die irgendwie auch von Robert Rodriguez und Quentin Tarantino hätte stammen können.
Über die Buchlänge kann Bjørnstad den starken Stil nicht immer durchhalten, es gibt Passagen, die etwas schwächeln und die Auflösung der Handlungsstränge gen Ende hat Nico Helminger in seinem „Menn“ etwas besser gelöst.
Zudem ist das Spiel mit der Autoren-Persona dann doch etwas angestrengt – in einer Passage trifft Bjørnstad in einem Nachtclub auf Rafael, der Bjørnstad mit Samuel anredet. Dieser meint dann etwas platt „Ich bin nicht Samuel.“ Woraufhin Rafael entgegnet: „Natürlich bist du Samuel. Wer solltest du sonst sein?“
Etwas schade ist es nämlich schon, dass die kritische Zunft sich mehr über die Person Bjørnstads als über dessen Werk unterhält. Dass es bisher auch kaum Besprechungen gab, zeugt eventuell von einer gewissen Ängstlichkeit des luxemburgischen Kritikers, der die Werke vielleicht doch lieber im abgesicherten Rahmen seiner persönlichen Beziehung zu diesem oder jenem Autor rezensiert.
Who the fuck is Tomas Bjørnstad?
Begonnen hat die Indizien-Jagd mit der Aussage des Literaturkritikers Jérôme Jaminet, der behauptete, Tomas Bjørnstad sei niemand anderes als Samuel Hamen. Ein von den éditions Guy Binsfeld verpixeltes Foto ließ in der Tat darauf hindeuten, dass sich der junge Autor Hamen hinter dem Pseudonym verstecken könnte.
Bjørnstads Roman „Die Tanzenden“ beginnt wie Hamens erster Roman „V wéi vreckt, w wéi Vitess“ mit einem mondänen Event im Luxemburger Kunstmikrokosmos – nach der Lesungsreihe „Désoeuvrés“ wird hier die Zehn-Jahres-Feier des Mudam gekonnt pastichiert.
Mit Hamens Devid Risch teilt Bjørnstads Erzählfigur auch das Fluchen, eine Art resignierte Aufgebrachtheit und postapokalyptische Metaebenen.Im Folgenden stellt das
Tageblatt eine ausführliche (nicht ganz ernst zu nehmende) Liste an möglichen alternativen Hypothesen auf.
Denn vielleicht versteckt sich hinter Tomas Bjørnstad kein Geringerer als: Nico und Guy Helminger. Aufgrund des ewigen Verwechslungsspiels haben die beiden Brüder Nico und Guy Helminger sich entschieden, eine gemeinsame fiktionale Autoren-Persona zu schaffen, um „wider die Verwechslung“ anzukämpfen. Mit Nicos „Menn Malkowitsch“ teilt Bjørnstads Roman einen stellenweise sehr ähnlichen Stil, die Ablehnung des linearen Narrativs, den Humor, die messerscharfe Analyse kollektiver Gesellschaftsevents, die Liebe zu literarischen und musikalischen Referenzen (Zeal & Ardour) und das zusammenhanglose Wirrwarr aufgeschnappter Gesprächsfetzen.
Eine K.I. Die éditions Guy Binsfeld haben im stillen Kämmerlein eine künstliche Intelligenz entwickelt, die stilistische Merkmale diverser luxemburgischer Autoren zusammengewürfelt hat.
Ein Kollektiv. Das Verlagshaus Guy Binsfeld hat, getreu dem Prinzip des „cadavre exquis“
(im Rahmen des zehnjährigen Bestehens vom Mudam wurde übrigens genau dieses Motiv im Laufe einer zwölfstündigen Lesung ausgetragen) einige ihrer Hausautoren dazu aufgefordert, ein kollektives Werk zu schreiben. Dies würde einige der stilistischen Brüche des Werkes erklären.
Luc Spada. Da sein letzter Lyrik-Band fast einheitlich verrissen wurde, will es der junge Autor den Kritikern heimzahlen – und hat nun unter fremdem Namen ein überraschend starkes Werk veröffentlicht.
Thomas Schoos. Gerüchten zufolge soll eine Binsfeld-Angestellte mal gesagt haben, Bjørnstad sei der für den Verlag arbeitende Thomas Schoos. Die paranoide Indizien-Jagd lässt den Leser während seiner Lektüre dann auch auf folgende Passage stoßen: „Die Geburt aus dem Schoß. Da ist er ja, der kleine Tomas!“
Dein spießiger Nachbar. Oder deine Mutter. Proust hat mit der „Sonate de Vinteuil“ gezeigt, dass auch die unscheinbarsten oder langweiligsten Menschen grandiose Künstler sein können. Ergo könnte Bjørnstad fast jeder sein.
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