Nach Rassismusvorwürfen / Literaturszene verteidigt den Autor Guy Rewenig
Der Autor Guy Rewenig erhält für das Kinderliedbuch „Ballo Farfallo“ Rassismusvorwürfe im Netz, seine Kritiker*innen appellieren an öffentliche Literaturinstitutionen: Das Werk soll aus den Beständen verschwinden. Warum Nathalie Jacoby und Claude D. Conter sich dagegen wehren und was der Verband „ALL Schrëftsteller*innen“ dazu sagt.
„Mir waren die Anschuldigungen gegen Guy Rewenig unbekannt, bis u.a. das ‚Centre national de littérature‘ eine Beschwerde-Mail zu seinem Werk ‚Ballo Farfallo‘ erreichte“, sagt Nathalie Jacoby, Direktorin des „Centre national de littérature“ (CNL), dem Tageblatt. Rewenig wurde in den sozialen Medien Fremdenfeindlichkeit in seinem Kinderlied „Kleng Ried fir déi friem Päiperlécken“ (siehe Seite 14 und 15) unterstellt. Jacoby hält das Ganze für ein Missverständnis und bedauert, dass ausgerechnet das eine Debatte über Fremdenfeindlichkeit in der Literatur auslöst. Claude D. Conter, Direktor der „Bibliothèque nationale“ (BNL), teilt diese Ansicht – und will die Vorfälle deswegen nicht ausführlich kommentieren.
Ein Missverständnis
„Der betroffene Text, ‚Kleng Ried fir déi friem Päiperlécken‘, prangert die rassistischen und fremdenfeindlichen Positionen privilegierter Menschen an“, holt Jacoby hingegen weiter aus. Das Werk sei im Zuge des Jugoslawienkonflikts entstanden, beziehe sich auf den harschen Umgang mit Kriegsflüchtlingen aus der Region durch die luxemburgische Bevölkerung. „Der Autor arbeitet heraus, wie aus Mitgefühl Fremdenfeindlichkeit und Ablehnung werden“, sagt Jacoby. „Guy Rewenig schreibt der Erzählstimme zu diesem Zweck furchtbare Aussagen zu, die aus dem Kontext gerissen verletzend sein können. Das verstehe ich und das tut mir leid für die Betroffenen. Es handelt sich dennoch klar um Satire.“
Der Meinung ist auch der luxemburgische Schriftsteller*innenverband „ALL Schrëftsteller*innen“, der 2020 gegründet wurde (Guy Rewenig ist derzeit kein aktives Mitglied; d.Red.). „Menschen sind immer weniger bereit, die Komplexität literarischer Texte wahrzunehmen und sich auf ihre Zweideutigkeit, auf Stilmittel und fiktionalisierte Figuren einzulassen. Es wird alles für bare Münze genommen“, kommentiert Jeff Schinker, Präsident des Schriftsteller*innenverbands. „Es besteht ein gewisser Interpretationsspielraum, doch wurde dieser hier deutlich überschritten.“
Autor*innen seien außerdem nicht dazu verpflichtet, ihren Texten einen Lektüreschlüssel beizulegen. „Das würde zerstören, wofür Literatur steht“, so Schinker weiter. „Wachsamkeit gegenüber Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und weiteren gesellschaftlichen Missständen, die seit Jahrzehnten vorherrschen, ist wichtig. Die Wut darauf ist berechtigt. Das Ganze wird jedoch ad absurdum geführt, wenn ein anti-fremdenfeindlicher Text plötzlich zum rassistischen Werk verdreht wird.“
Guy Rewenig schreibt der Erzählstimme zu diesem Zweck furchtbare Aussagen zu, die aus dem Kontext gerissen verletzend sein können. Das verstehe ich und das tut mir leid für die Betroffenen. Es handelt sich dennoch klar um Satire.Direktorin „Centre national de littérature“
Über Rewenigs Gesamtwerk
Eine Auseinandersetzung mit Guy Rewenig und seinem Gesamtwerk hätte die Textinterpretation vermutlich beeinflusst, meinen Schinker und Nathalie Jacoby: Er beschäftige sich sowohl literarisch als auch essayistisch kritisch mit der luxemburgischen Gesellschaft; kämpfe regelmäßig und seit Jahren öffentlich gegen fremdenfeindliche und rassistische Haltungen an. „Kleng Ried fir déi friem Päiperlécken“ sei Teil dieser Bestrebungen. „Ein solches Engagement schließt nicht aus, dass eine Person trotzdem fremdenfeindliche oder rassistische Aussagen tätigt“, präzisiert Jacoby. „Bei Guy Rewenig ist das jedoch schlichtweg nicht der Fall.“
Laut Jacoby gibt es in der luxemburgischen Literatur kaum Autor*innen, die explizit fremdenfeindliche oder rassistische Ansichten vertreten. Auch habe das CNL ihres Wissens nach bisher noch nie die Bitte erhalten, deswegen ein Werk aus dem Verkehr zu ziehen. Jeff Schinker ist eine vergleichbare Kontroverse ebenfalls unbekannt, zumindest seit dem Bestehen von „ALL Schrëftsteller*innen“.
Kontra eher von rechts
Nathalie Jacoby erwähnt jedoch: Wenn, dann ernte das Literaturarchiv eher Kritik von rechts in den sozialen Netzwerken, etwa wegen der Beteiligung am „Black History Month“. Manche Menschen würden sich derweil an der Nutzung inklusiver Sprache stören. Das CNL reagiere aber nicht auf Polemiken auf Facebook und Co.: „Wer eine ernst gemeinte Frage hat oder Kritik an uns herantragen will, kann sich per Mail an uns wenden und erhält garantiert eine Antwort“, so Jacoby.
Wir beugen uns nicht den Wünschen von Einzelpersonen. Das würde dem Auftrag einer öffentlichen Kulturinstitution widersprechen.Direktor „Bibliothèque nationale“
Sowohl sie als auch Claude D. Conter pochen in dem Gespräch zudem wiederholt auf die Rolle öffentlicher Kulturinstitutionen: Weder dem CNL noch der BNL stehe die Entscheidung zu, welche Bücher publiziert und archiviert würden. Das CNL sei zuständig für die Dokumentation und Archivierung der Literatur aus Luxemburg; öffentliche Bibliotheken hätten den Auftrag, das nationale Kulturerbe in seiner Vielfalt weiterzuvermitteln und zugänglich zu machen. Frei von persönlichen Befindlichkeiten. „In einem Rechtsstaat hat allein die Justiz die Macht, den Zugang zu einem Werk einzuschränken oder es zu verbieten“, unterstreicht Claude D. Conter. „Wir beugen uns nicht den Wünschen von Einzelpersonen. Das würde dem Auftrag einer öffentlichen Kulturinstitution widersprechen.“
Dies verhindere die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Texten und historischen Werken nicht, heben Jacoby und D. Conter hervor – zum Beispiel in Bezug auf Literatur aus dem Zweiten Weltkrieg oder Autor*innen, denen es damals untersagt wurde, zu veröffentlichen. Doch die beiden sind sich einig: „Die sozialen Netzwerke sind kein Ort, an dem diese Debatten geführt werden sollten.“
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