Luxemburg-Stadt / Liveübertragung von Selenskyj vor Chamber: „Zeigen, dass wir an unser Land denken“
Um „ihren“ Präsidenten zu hören, kamen am Donnerstagmorgen schätzungsweise 150 Menschen vor die Chamber in der Luxemburger Hauptstadt. Denn dort wandte sich gegen 10 Uhr der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videokonferenz an das Parlament des Großherzogtums. Um sich die live übertragenen Reden gemeinsam anzusehen, hatte der Verein „LUkraine“ gleich vor der Abgeordnetenkammer einen Bildschirm aufgebaut.
Donnerstagmorgen vor der „Chambre des Députés“ in Luxemburg-Stadt. Geschätzt 150 Menschen stehen gegen 9.30 Uhr vor der Abgeordnetenkammer. Sie unterhalten sich, einige haben ihre Landesflagge um die Schultern gelegt. Die Farben Blau und Gelb zieren ihre Rücken. Denn es sind vor allem Ukrainerinnen und Ukrainer – davon viele junge Frauen mit Kindern –, aber auch einige Menschen aus dem Großherzogtum, die sich an diesem Morgen die live aus der Chamber übertragene Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf einem kleinen Bildschirm ansehen wollen. „Ihren“ Präsidenten, wie viele Geflüchtete vor Ort sagen.
Auch die aus Odessa stammende Viktoriia ist zur Abgeordnetenkammer gekommen und will so ihre Unterstützung ausdrücken. Seit dem 10. März ist sie im Großherzogtum. „Wir sind in Luxemburg und eben nicht in der Ukraine. Das hier ist der einzige Weg, wie wir helfen können. Wir können nur wenig tun“, erklärt die 36-Jährige auf Englisch, während sie versucht, ihre weinende Tochter auf dem Arm zu beruhigen. Das Reden fällt Viktoriia schwer – zum Teil wohl wegen der Sprachbarriere, in Bezug auf die Situation scheinen ihr aber auch einfach die Worte zu fehlen. „Der Krieg muss aufhören“, fordert die Mutter.
Solidarität mit Landsleuten
Sich die Rede des Präsidenten anhören, das will auch die freundliche Helen: „Es ist wichtig, heute hier zu sein, um den Menschen aus der Ukraine zu zeigen, dass wir an unser Land denken. Und die Welt muss wissen, dass dort Krieg ist.“ Vom auf der Krim liegenden Jalta kam Helen vor genau einem Monat gemeinsam mit ihrem Ehepartner Volodymyr nach Luxemburg. Die 52-Jährige spricht Englisch und übersetzt für ihren 58-jährigen Mann, der neben ihr steht. Ihm liegt es am Herzen, darauf hinzuweisen, dass Kinder und Verwandte noch in der Ukraine sind.
Dem 44-jährigen Oleksandr geht es an diesem Morgen auch – aber nicht nur – darum, den ukrainischen Präsidenten zu hören. „Ich unterstütze ihn, aber vor allem auch, was er sagt und seine Ideen. Luxemburg kann viel tun, denn wenn Russland kein Geld mehr hat, kann der Krieg nicht weitergeführt werden. Europa, der Westen – wir alle zusammen können für einen ‚Shutdown’ der russischen Wirtschaft sorgen“, erklärt Oleksandr überzeugt. Seine Kinder wurden in Kiew geboren, 2016 bereits kam die Familie allerdings wegen seiner Arbeit ins Großherzogtum. An einer Stange in seiner Hand hat der 44-Jährige eine ukrainische Flagge befestigt.
Immer wieder wandert sein Blick zu dem kleinen Monitor vor der Chamber. Der Verein „LUkraine“ hat diesen aufgestellt und zum gemeinsamen Schauen der Reden aufgerufen. Als nach dem Diskurs von Parlamentspräsident Fernand Etgen kurz nach 10 Uhr der ukrainische Präsident auf dem Bildschirm erscheint, bricht Applaus aus. Zahlreiche Handys werden zum Filmen oder Fotos machen in die Luft gehalten. Für eine Frau ist der Moment zu emotional: Weinend wendet sie sich ab. Konzentriert lauschen die Anwesenden Selenskyjs Erklärungen, der sich für Luxemburgs Unterstützung im Kampf gegen Russland bedankt, aber auch davon spricht, dass sein Land zusätzliche Waffen brauche.
Ein Zeichen setzen
„Slava Ukraini“ rufen die Menschen am Ende der Rede des Präsidenten und applaudieren dazu. Mit einem leichten Lächeln erklärt der Ukrainer Oleksandr, dass er wegen der simultanen Übersetzung auf Französisch das Ukrainische von Selenskyj nicht gut verstehen konnte. „Aber ich werde es mir zu Hause noch mal anhören und vor allem darauf achten, was er spezifisch zu Luxemburg gesagt hat“, sagt Oleksandr. Eben das hat Pierre aus Bettemburg gut an den Ausführungen des Präsidenten gefallen: „Er hat ja gesagt, auch die Menschen aus der Ukraine ‚wëlle bleiwe, wat mir sinn’. Und darauf haben sie auch ein Recht.“
Der 67-Jährige ist seit Anfang März bei vielen Veranstaltungen von „LUkraine“ dabei und will damit ein Zeichen setzen. „Es ist ein Protest gegen Putin, gegen die Art und Weise, wie die Menschen hinters Licht geführt wurden. Die Meinungsfreiheit wurde abgeschafft und jegliche Kritik unterdrückt“, erzählt der engagierte Luxemburger. François aus Fentingen dagegen hat die Rede von Selenskyj um einige Minuten verpasst, wie er leicht enttäuscht feststellt. „Es interessiert mich schon, ich bin während des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen – an viel erinnere ich mich zwar nicht mehr – aber ich bin entsetzt über diesen Krieg“, erzählt der Mann im Alter von 81 Jahren.
Bis zum Ende gegen 11 Uhr hört François sich die Reden des Luxemburger Premierministers Xavier Bettel sowie von Fernand Etgen aus der Chamber an. Dann ist die Übertragung vorbei und im Handumdrehen wird der kleine Bildschirm von einer Frau von „LUkraine“ wieder abgebaut. Die Zuschauerinnen und Zuschauer wenden sich ab, machen sich vielleicht auf den Weg nach Hause – oder an den Ort, an dem sie seit dem militärischen Angriff von Russland auf die Ukraine vorübergehend unterkommen. Eine Frau hat sich auf der Terrasse eine Cafés in der Oberstadt niedergelassen. Auf ihren Schultern liegt immer noch die blau-gelbe Flagge.
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