Gespräch / LSAP-Präsident Yves Cruchten: „Der direkte Kontakt fehlt uns besonders“
Unser Gespräch mit LSAP-Präsident Yves Cruchten vor dem Kongress der Partei am Sonntag fand am Mittwoch statt, also zu dem Zeitpunkt, als klar war, dass die Position von CSV-Präsident Frank Engel stark geschwächt war. Mit der Frage nach Cruchtens Einschätzung der aktuellen Lage bei der CSV begann denn auch das Gespräch mit dem Politiker, der nach einem kurzen Auftritt von Franz Fayot an der Spitze der Luxemburger Sozialisten das Amt im Vorjahr übernommen hatte.
Nachdem der einstige Spitzenkandidat der LSAP, Etienne Schneider, sich aus der aktiven Politik zurückgezogen hatte, übernahm Fayot den Posten des Wirtschaftsministers und so überließ das frisch gebackene Regierungsmitglied nach kurzer Zeit den Präsidentenposten dem ehemaligen Generalsekretär, der gleich mit einer der größten Krisen der jüngeren Geschichte und somit einer ungewohnten Art der Parteiführung konfrontiert wurde.
In dem Sinn fiel denn auch seine Antwort aus: Das, was die Partei, die Fraktion, die Regierungsmitglieder zurzeit umtreibt, sei, sich in der außergewöhnlichen Situation um das Land zu kümmern, und in dieser außergewöhnlichen Situation scheinen andere Parteien sich nur um sich selbst zu kümmern. Das wundere ihn etwas, halte die LSAP aber nicht davon ab, ihre Arbeit zu tun.
Nachdem dieser aktuelle Punkt geklärt war (der mehr oder weniger erzwungene Rücktritt von Frank Engel ließ zum Zeitpunkt des Gesprächs noch zwei Tage auf sich warten), räumte Cruchten ein, dass es ihm nach dem März-Kongress im Vorjahr (der letzten großen Veranstaltung im geschlossenen Raum mit physischer Präsenz der zahreichen Delegierten, die in der Bascharager Mehrzweckhalle stattfand) eine Woche lang gebangt habe, dass es zu Covid-Infektionen gekommen sein könnte. Der Nutzen von Masken war damals umstritten, die Parteifreunde verzichteten zwar auf Begrüßungsküsschen, ansonsten gab es aber keine Abstandsregeln.
Besonders als die Inzidenzzahlen in der folgenden Woche hochschnellten, sei es ihm angst und bange geworden, sagt Cruchten. Es sei zum Glück aber während des Kongresses nicht zu Ansteckungen gekommen. Dass dies das letzte physische Treffen für lange Zeit gewesen ist, treffe die LSAP besonders und fehle ihr, da sie eigentlich vom direkten Austausch „face to face“ lebe. Dies sei während des vergangenen Jahres komplett weggebrochen. Die digitalen Alternativen (Livestreams und Ähnliches) seien nicht befriedigend, vor allem wegen der Pannenanfälligkeit des elektronischen Austauschs.
Eine andere Partei als vor fünf Jahren
Zum Glück sei nichts passiert, so Cruchten, der auf die Frage, wie der damals von Fayot begonnene Prozess der Festlegung der politischen Linien der Partei fortgeführt wurde, erst einmal ausholte und darauf verwies, die Partei sei heute eine ganz andere als noch vor fünf Jahren.
Nicht nur der Wirtschaftsminister und der Parteipräsident seien andere, auch gebe es einen neuen Vizepremier (Dan Kersch), einen neuen Fraktionspräsidenten (Georges Engel), eine neue Gesundheitsministerin (Paulette Lenert), das gesamte Personal im Sekretariat sei neu, auch in der Fraktion habe es viele Wechsel gegeben; die Partei sei anders, funktioniere anders. Das vergangene Jahr sei dazu genutzt worden, vieles umzusetzen, was von seinem Vorgänger angedacht worden war. Vieles davon habe mit parteiinterner Demokratie zu tun; die Möglichkeit, dass sich alle Mitglieder einbringen könnten, sei geschaffen worden.
Notgedrungen habe man diesbezüglich digitale Wege beschritten. Die detaillierten Ankündigungen würden am Sonntag dem Kongress präsentiert: Die Dynamisierung der Arbeitsgruppen gehöre hierzu, aber auch eine Methodik, wie sich jedes einzelne Parteimitglied einbringen kann. Dies entspreche der Tradition in der LSAP, die noch immer von unten nach oben und nicht umgekehrt gelebt habe. Die Umsetzung hiervon habe viel Energie gekostet und die Ergebnisse würden schnell sichtbar werden.
Einschränkend erklärte Cruchten zum Trefffen am Sonntag, es würde niemandem etwas vorgegaukelt; es handele sich um eine Veranstaltung, bei der beschlossen werde, später im Jahr einen richtigen Kongress mit physischer Präsenz durchzuführen, hoffentlich während der zweiten Jahreshälfte.
Eine offene Veranstaltung für jeden
Die Partei wollte die Gelegenheit aber nicht verpassen, einige politische Aussagen zu machen. Die gewählte Form erlaube es den Mitgliedern nicht, sich diesmal in die Diskussion einzumischen; es werde eher eine Veranstaltung sein, bei der die Mitglieder informiert werden. Und nicht nur die: Am Sonntag wird jeder, der will, die Möglichkeit haben, das Geschehen, das nicht allzu lange dauern soll, auf lsap.lu, zu verfolgen. Sämtliche Abstimmungen seien bereits im Vorfeld per Briefwahl durchgeführt worden.
Eine Statutenreform auf einem solchen digitalen Kongress etwa sei dem Parteipräsidenten zu riskant erschienen, dafür sei die Technik noch nicht zuverlässig genug. Es werden nicht nur Reden zu erwarten sein. Stattdessen soll sich das Ganze eher wie eine Sendung anfühlen, kündigte Cruchten an, mit Videobeiträgen, Diskussionen usw.
Politisch gebe es viel anzusprechen, so der Präsident: Nicht nur die Partei sei eine andere geworden, die ganze Welt sei inzwischen eine andere. Von den Sozialisten werde in dem Kontext viel erwartet: Die LSAP sei Regierungspartei, besetze fast alle im Rahmen der Krise-relevanten Regierungsposten (Gesundheit, Arbeit, Wirtschaft, Soziales, Inneres, Außenpolitik) und drücke sich nicht vor der Verantwortung. Dies bedeute auch, dass die Partei bei Krisen-relevanten Themen fit sein müsse. Der Austausch und die Zusammenarbeit würden diesbezüglich seit Beginn der Pandemie auf allen Ebenen und zwischen allen Gremien, inklusive Jusos und Femmes socialistes, hervorragend funktionieren. Der Slogan #zesummen werde in der Partei richtig gelebt.
Der Glücksgriff Paulette Lenert
Auf die Frage, ob die so sichtbareren Spitzenpolitiker der Partei sich bereits für den Job des Spitzenkandidaten positionierten – insbesondere was die in Rekordzeit zur beliebtesten Politikerin des Landes avancierte Paulette Lenert betrifft – folgte die Antwort eines Politprofis, der auf die Statuten verwies. Ende 2022 oder Anfang 2023 werde die Frage beantwortet. Cruchten hob aber Lenert als Glücksgriff für die Partei und das Land hervor; sie erfülle ihr Ressort mit Empathie, mit Verständnis, kommuniziere immer klar verständlich und begleite die Menschen regelrecht durch die Pandemie.
Auf eine potenzielle Staatsministerin, die erstmals eine Frau und erstmals eine LSAP-Politkerin sein könnte, angesprochen, hielt Cruchten sich denn auch bedeckt – der Gedanke schockiere ihn aber nicht, war ihm dann doch zu entlocken. Immerhin sieht er in der Fortsetzung der aktuellen Dreierkoalition (eine Konstellation, die mittlerweile in unserem Nachbarland Deutschland in aller Munde ist) eine potenzielle Möglichkeit, die Koalition funktioniere (inklusive notwendigem und fairem Streit auf Augenhöhe) und wenn die LSAP die Stimmenmehrheit der drei Parteien erreiche, werde sie diesmal wohl auch nicht den Posten des Premiers ausschlagen.
Bei jeder Wahl würden die Karten neu gemischt und die LSAP müsse den Anspruch haben, Wahlen zu gewinnen und sich nicht mit der Rolle eines Juniorpartners zufriedenzugeben. Nach der Krise, gab Cruchten zu bedenken, würden Fragen der sozialen Gerechtigkeit uns noch über Jahre hinaus beschäftigen und das Wichtigste sei es, dass die Partei sich mit ihrer Politik in dem Bereich durchsetzen kann.
Auf „Altlasten“ angesprochen – die CSV-LSAP-Koalition, die sich nach der Finanzkrise in Austeritätspolitik übte – verwies Cruchten darauf, dass die LSAP sich schließlich gegen den großen Partner durchgesetzt habe und er stehe unter dem Strich zu einer CSV-LSAP-Regierungsbilanz, die trotz notwendiger Kompromisse mit einer konservativen Partei soziale Katastrophen im Land verhindern konnte. Der Index sei so zum Beispiel verteidigt worden.
Die „Befreiung“ im Jahr 2013
Richtig befreiend für die Partei sei allerdings der Eintritt in die Koalition 2013 gewesen, als eine ganze Reihe von Projekten umgesetzt werden konnten, wie die Gesellschaftsreformen, aber auch die Tatsache, dass das finanzielle Gleichgewicht beim Staat wiederhergestellt werden konnte, was soziale Maßnahmen wie die Erhöhung des Mindestlohns, zusätzliche Urlaubstage usw. ermöglichte.
Die Partei, so Cruchten zum Abschluss des Gespräches, habe er noch nie so einig erlebt wie derzeit. Das Parteiinterne funktioniere gut, darauf sei er stolz. Nach wie vor werde gestritten, aber intern und politisch. Er spüre eine Aufbruchstimmung und gehe davon aus, dass der politische und personelle Reformprozess, der in Regierungszeiten schwierig sei, gut gelinge.
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