Musik / Lust for Live: Ein intensiver Musiksommer beginnt
„De Gudde Wëllen“ organisiert das erste CovidCheck-Festival, das „Atelier“ ein Konzert mit 1.500 möglichen Besuchern, die Kufa trägt mit einer dreijährigen Residenz für Sacha Hanlet zur Professionalisierung der hiesigen Szene bei und die „Congés annulés“ sprengen den Rahmen mit 34 Konzertabenden: Von der langsamen Rückkehr zur Normalität bewegen wir uns in Richtung Übersättigung. Das Tageblatt hat sich mit Organisatoren und Musikern der hiesigen Szene unterhalten.
Was für eine Woche! Nachdem Chilly Gonzales am letzten Freitag das Inrocks Festival im Pariser Olympia vor 2.500 sitzenden, maskierten Zuschauern mit dem neuen Track „Music is Back“ euphorisch beendete und gerade mal zwei Tage nach Einführung der zweiten französischen Lockerungen die Menschenmenge in die Pariser Hitze entließ, lud das „Atelier“ am Sonntag zur ersten Party mit Schnelltest (oder negativem PCR-Befund oder Impfbescheinigung) und DJs ein. Während maskenlose Menschen sich in den Armen hingen, tauchten irgendwann Premier Xavier Bettel und Paulette Lenert auf und tanzten so unbeschwert durch die Menge, wie man sich unbeschwert durch die Menge tanzende Politiker nun mal vorstellt.
Es war dies der Auftakt einer Woche, im Laufe derer sich nicht nur Ankündigungen musikalischer Events, sondern auch konkrete Konzerte häufen sollten: Nachdem das „Atelier“ am Montag ein Selah-Sue-Konzert mit 1.500 Zuschauern (maximal wären zurzeit 2.000 erlaubt) im Mondorfer „Parc thermal“ ankündigte, stellte die Kulturfabrik am Dienstag eine dreijährige Residenz für Them Lights, das Soloprojekt des Mutiny-on-the-Bounty-Drummers Sacha Hanlet, vor – ein Novum in der Pop-Rock-Szene (siehe Kasten).
Einen Tag später wurde während der Saison-Vorstellung der „Rotondes“ angekündigt, dass die diesjährigen „Congés annulés“ mit 34 Konzerttagen (darunter einige tolle internationale Bands wie International Music, Gruff Rhys oder Dry Cleaning) und einer Auflage von 300 erlaubten Zuschauern größer als je zuvor ausfallen werden. Und dieses Wochenende steht nicht nur ganz im Zeichen der „Fête de la musique“ – das Team vom „Gudde Wëllen“ hat, ein bisschen wie die Inrocks in Paris, in Rekordgeschwindigkeit einfach mal ein (blitzschnell ausverkauftes) Festival ins Leben gerufen, das sich jetzt schon wie eine Light-Version des sagenumwobenen „Food for Your Senses“ anhört.
Music is Back – dank Covid-Check
„Music is Back“: Der abschließende Song des Chilly-Gonzales-Konzerts entpuppte sich somit auch für Luxemburg als prophetisch. Knapp wurden die neuen Lockerungen bekannt gemacht, häuften sich auch die Konzertankündigungen – der Covid-Check erlaubt zwar mittlerweile, wieder unter fast normalen Bedingungen ein Konzert zu organisieren, fordert aber auch eine schnelle Anpassungsfähigkeit von den Organisatoren. Hinter den Kulissen war vieles bereits durchdacht und in verschiedenen Konstellationen und Szenarien organisiert, man habe bloß auf den Startschuss und die offizielle Erlaubnis der Regierung gewartet. „Wir haben mittlerweile gelernt, mit einem Plan A, einem Plan B und Plan C zu arbeiten“, so Yves Conrardy, verantwortlich für das soziokulturelle Programm in den Rotondes.
Viele hatten aber nicht mit dem Covid-Check, ergo mit dem Ausmaß der Lockerungen gerechnet: „Wir hatten die „Congés annulés“ eigentlich unter den noch vor kurzem geltenden Auflagen geplant – viele Konzerte wurden für 100 sitzende Menschen konzipiert. Jetzt dürfen dort 300 Musikfans stehen, tanzen und trinken. Für einige der Bands ist das vielleicht ein zu großes Setting“, so Marc Hauser, Booker der Rotondes. Steph Meyers, Direktor der Rotondes, macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: Da die meisten „Congés annulés“-Konzerte draußen stattfinden, werden zwei Outdoor-Venues nebeneinander existieren – der Bar- und der Konzertbereich. Sollte der Covid-Check für die Konzertgänger eingeführt werden, dürften diese maskenlos stehen und tanzen, die „Buvette“-Besucher allerdings nicht – „es sei denn, wir führen den Covid-Check auch für die Buvette ein.“ Da diese aber kontinuierlich geöffnet ist und man den Covid-Check für Open-Air-Bars eigentlich nicht benötigt, gestaltet sich auch diese Option schwierig. Dazu kommt: Die Grenzen zwischen den beiden Räumen riskieren schnell zu verschwimmen, teilen sich beide doch, trotz Abgrenzungsmöglichkeiten, den Hof der Rotondes.
Auch das Team um Luka Heindrichs vom „Gudde Wëllen“ hatte erst mit einem anderen Setting gerechnet: „Wir hatten geplant, das Publikum in Gruppen an Tischen aufzuteilen und diese dann dort zu bedienen. Das wäre personaltechnisch natürlich sehr aufwendig gewesen. Als wir vom Covid-Check hörten, war uns klar, dass wir das Festival anders organisieren würden.“ Das Gratis-Festival, das innerhalb von kürzester Zeit ausverkauft war und im Amphitheater „Parc Central Kirchberg“ stattfindet, bietet Gigs von Bands wie Ice in my Eyes, Say Yes Dog oder La Jungle. „Wir haben zwar jetzt über ein Jahr nicht mehr arbeiten dürfen, sind aber ein eingespieltes Team. Es war sportlich, ein Festival innerhalb von so kurzer Zeit auf die Beine zu stellen. Trotzdem hat alles geklappt, weil Bands und Organisatoren an einem Strang gezogen haben – auch wenn wir ein paar Absagen erteilt bekommen haben.“ Spannender, weil man da eben noch kaum Erfahrung habe, sei der Covid-Check. „Wir arbeiten allerdings mit Profis zusammen. Den Leuten mitzuteilen, dass der Aufwand – wenn man den 15-minütigen Schnelltest denn als aufwendig ansehen will – viel geringer ist als die Vorteile, ist manchmal kompliziert, weil eben nicht jeder verstanden hat, dass man auf dem Gelände ohne Maske und Social Distancing stehen, tanzen, essen und trinken kann.“
(Narren)freiheit
Michel Welter vom „Atelier“ sieht dies ähnlich: „Der Covid-Check erinnert zwar ein bisschen an ‚Big Brother‘, auf dem Gelände herrscht danach aber Narrenfreiheit. Das System ist zudem sehr unkompliziert“ – auch wenn es zum Daten-Füttern beiträgt. Die Idee für das Selah-Sue-Konzert kam eigentlich von Paulette Lenert, die den Atelier-Organisatoren vorschlug, doch mal ein Konzert im „Parc thermal“ zu organisieren. „Als wir dann das Gelände mit unserem Konzertorganisatorenblick inspiziert haben, dachten wir: Die Location ist perfekt.“ Das Konzert reiht sich ein in die neue Strategie des „Atelier“: Es gilt, den Sommer mit Outdoor-Konzerten und Partnern durchzustehen. „Es ist doch besser, gemeinsam durch den Sturm zu segeln als alleine auf einem Schlauchboot.“ Für die Herbst-Rentrée im Atelier zeigt sich Michel Welter etwas weniger skeptisch als noch vor ein paar Wochen: „Es wird wohl ein Gesundheitskonzept fürs Atelier geben. Die Programmierung für den Herbst ist nicht abgesagt und wenn die internationalen Bands wieder touren – und sie haben definitiv Bock darauf – dann werden wir wohl auch bereit sein.“
Die Lebenslust ist nicht nur spürbar – sie ist auch greifbar. Aber wie lange wird dies anhalten? Marc Hauser und Mutiny-Gitarrist Nicolas Przeor sind sich einig: Es wird eine erste Welle des Enthusiasmus geben, die man wohl bis in den Sommer und die „Congés annulés“ reiten kann. „2022 wird allerdings von Konzerten hoffnungslos übersättigt sein. Und nicht jeder hat Zeit und Geld, fünfmal in der Woche ein Konzert zu besuchen.“
4 Fragen an Sacha Hanlet von Them Lights
Tageblatt: Sie haben eine dreijährige Residenz in der Kulturfabrik. Wie wird diese verlaufen?
Es geht darum, den Professionalisierungsprozess eines Künstlers zu unterstützen und zu umrahmen. In einer ersten Phase werde ich mich auf den Schaffensprozess konzentrieren. Ich hatte jetzt bereits eine viertägige technische Residenz, die mir unglaublich viel gebracht hat. Mein Hauptaugenmerk liegt auf der Live-Performance: Wir arbeiten mitunter an Live-Drums und den Visuals. Mit meinen Studioaufnahmen bin ich stets zufrieden gewesen, aber an der Umsetzung auf der Bühne hat es meiner Meinung nach gehapert. Danach werden wir versuchen, mein Netzwerk um einiges zu vergrößern.
Wie wichtig sind Residenzen für Kulturschaffende?
In vergangener Zeit habe ich immer wieder festgestellt, dass Kulturschaffende in anderen Bereichen – Jazzmusiker, Choreografen oder Theaterschaffende – über längere Residenzen verfügen, für die sie zudem bezahlt werden. Weil kaum ein Musiker in den Genuss einer solch langen Residenz kommt, ist es mir – und der Kufa ebenso – wichtig, dass wir andere Musiker oder Kulturhäuser an dem Resultat teilhaben lassen: Deswegen dokumentiere ich auch den gesamten Prozess. Es geht nicht darum, dass ein einzelner aus der Masse heraussticht: Ziel ist es, dass wir uns alle gemeinsam professionalisieren.
Wie fühlt es sich an, diese Residenz parallel zum Wiederaufleben der Live-Musik zu starten?
Ich habe mir vorgenommen, nichts zu überstürzen. Das war mein Fehler in der Vergangenheit: Ich war noch nicht bereit, wollte aber auf die Bühne. Während der Pandemie war ich sowohl mit Them Lights als auch mit Mutiny in einer Schaffensphase. Für den Kompositionsprozess war es äußerst angenehm, den Druck von außen nicht zu fühlen.
Hat die Residenz einen Einfluss auf Ihre Aktivität bei Mutiny on the Bounty?
Ich sehe das durchaus als komplementär: Alles, was ich während der Residenz erlerne, fließt auch sofort in den Schaffensprozess mit Mutiny – und umgekehrt.
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Ass di foto vun komparsen aus dem name der rose?