Wirtschaft / Luxemburg als „Startrampe“ für den digitalen europäischen Gesundheitsmarkt – eine Vision wie im Silicon Valley
Der Bereich der Gesundheitsversorgung steht europaweit vor großen Herausforderungen und Veränderungen. Der demografische Druck auf Organisation und die Finanzen steigt. Doch bei jeder Herausforderung gibt es auch Chancen. Luxemburg sieht sich als gut aufgestellt, um in der nun beginnenden Zukunft eine Rolle zu spielen. Es ist eine Vision, wie sie sonst nur von Unternehmen aus dem Silicon Valley vermarktet werden.
Bereits mehrmals in seiner Geschichte hat Luxemburg internationale wirtschaftliche Erfolgsgeschichten geschrieben: von „Radio Luxembourg“ über den Satellitenbetreiber SES bis hin zum Investmentfondsplatz. Diesen Vorbildern eifert Ulf Nehrbass nach. Er ist Direktor des Forschungszentrums Luxembourg Institute of Health (LIH).
Im Visier hat er den entstehenden digitalen europäischen Gesundheitsmarkt. „Das ist ein unglaublicher Wachstumsmarkt“, erklärte er kürzlich als Gastredner bei der 62. „Journée de l’ingénieur“ in der Handelskammer. „Alle Europäer sind zentralisiert krankenversichert.“
Den Standort Luxemburg sieht er hierfür als überaus gut positioniert. Er lobt das Land als ein „Ort für Kompetenz und Risikofreundlichkeit“. Ulf Nehrbass redet über Luxemburg als „Startrampe“, als „launchpad for digital healthcare in Europe“. Man habe als Ziel, die „first mover dynamic“, mit der Luxemburg schon mehrmals internationale Erfolge verbucht hat, zu wiederholen. „Wir haben einige Alleinstellungsmerkmale hierzulande.“
Sein eigenes Fachgebiet, die Grundlagenforschung, bezeichnet er als wichtig. Und er vergibt gute Noten: „In Luxemburg ist die Qualität der Forschung auf gleicher Höhe wie in den Nachbarländern.“ Doch es geht ihm nicht um die Entwicklung neuer Medikamente. „Es geht darum, bestehende besser zu nutzen.“ Durch intelligente Diagnostik und Präzisionstherapie.
„Intelligenter heilen“
„Dabei ist es KI (künstliche Intelligenz), die uns befähigen soll, diesen Weg zu gehen. (…) Im Kern geht es um das Nutzen von Daten, um ‚intelligenter heilen‘ zu können. (…) Aus Wissen wird Veränderung. Es entsteht Wert für Patienten und finanzieller Wert. Gut für die Gesundheit der Patienten und gut für die Gesundheitskasse.“
Dass vergangene Versuche mit großen Datenmengen gescheitert sind, führt er auf „fehlerdurchsetzte Daten“ zurück. In den USA beispielsweise seien Daten und Datenerhebung nicht standardisiert, hebt er hervor. „Doch wir brauchen die sauberen Daten, um die Algorithmen zu trainieren.“
Und gerade dieses „Rohmaterial“ habe man in den letzten Jahren zusammengestellt, so der Experte weiter. „Für 50 Millionen Euro haben wir saubere und standardisierte Daten gesammelt.“ Unter anderem sei diesbezüglich eine gemeinsame Plattform von Krankenhäusern und Forschung aufgebaut worden.
Als Schmuckstück bezeichnet er die zum LIH gehörende Integrated Biobank of Luxembourg (IBBL). Ihre Aufgabe besteht darin, hochwertige Bioproben einzufrieren und zugehörige Daten digital für die Forschung zu sammeln und bereitzustellen. „Seit rund zehn Jahren werden da Leute bezahlt, um saubere Daten zu erstellen.“ „Unser Wissen ist wie Öl“, sagt er weiter. „Wir haben eine Daten-Raffinerie. (…) Wenn unsere Algorithmen jetzt lange genug darauf ‚herumkrabbeln‘, werden sie auch etwas Wertvolles finden.“ Zudem würden bereits heute andere (internationale Forschungsinstitute; Anm. der Red.) Geld bereitstellen, „um mit uns auf diesen Daten arbeiten zu können“.
Damit alles klappt, brauche man Bausteine, erklärt er weiter. Neben den Daten und der Errichtung eines eigenen Campus für den Sektor zählen dazu beispielsweise auch die Reglementierung. Und hier habe Luxemburg einen Vorsprung. „EU-Verordnungen regeln, wie mit Gesundheitsdaten verfahren werden darf. Doch in Luxemburg haben wir das schon. In der EU werden die neuen Regelungen erst Ende nächsten Jahres greifen“, sagt er. „Luxemburg ist bereits heute da, wo Europa Ende nächsten Jahres sein wird.“
Daten als Essenz
Mit einer ähnlichen „first mover dynamic“ hatte Luxemburg es vor vielen Jahren bereits einmal geschafft, sich im Sektor der Investmentfonds eine Vorreiterrolle herauszuarbeiten – angetrieben durch spezialisierte Unternehmen, die als Erste mit den neuen Vorgaben arbeiten wollten, waren auf diesen Weg ins Land gezogen. Da hofft man nun auf eine Wiederholung.
In den letzten Jahren habe man auch internationale Verbindungen aufgebaut, um an weitere interoperable Daten zu gelangen. Dabei werde aufgepasst, dass die Daten selber immer am Ursprungsort gespeichert bleiben. Die „analysierenden Algorithmen“ werden „hingehen“.
Die „Essenz sind die Daten“, unterstreicht er weiter. „Wie untereinander verbundene Seen.“ In Zukunft werde man selbst Daten aus der realen Welt mit hinzubeziehen können, den Gang, die Ernährung. Das ermögliche es, die Patienten in Sub-Gruppen aufzuteilen und Medikamente und medizinische Infrastruktur gezielter einzusetzen. So brauche man künftig, „nicht mehr jeden in den Scanner zu legen“ und könne einen digitalen Avatar von jedem erschaffen. Innerhalb der Sub-Gruppen könne dann auch gezielt nach Gemeinsamkeiten bei Betroffenen einer Krankheit gesucht werden.
„Womit wir hier Qualität erschaffen und zur Diversifikation der Wirtschaft beitragen“, ist er überzeugt. „Wir haben hier die Kompetenzen und die Fähigkeiten, die uns in Europa schnell an die Spitze setzen können. Wir haben Potenzial an der Hand.“
Dabei wolle man hierzulande nicht dem wirtschaftszentrierten US-Modell des Gesundheitswesens nacheifern und auch nicht dem staatszentrierten chinesischen Modell. „Wir wollen den Patienten in den Mittelpunkt stellen.“ Eine „personalisierte Medizin“.
Zur Person
Nach seinem Biochemiestudium in Tübingen und Cambridge schloss Dr. Nehrbass 1992 seine Promotion am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg ab. 1998 ging er als Forschungsdirektor an das Institut Pasteur in Paris, um sein eigenes Labor aufzubauen. Sechs Jahre später wurde er Gründer, CEO und wissenschaftlicher Direktor des brandneuen Institut Pasteur in Korea, das sich auf Infektionskrankheiten und Krebsforschung spezialisiert hat und darauf abzielt, Forschungsexzellenz in Therapien umzusetzen. Im Jahr 2013 wurde er Gründer, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Direktor von Ksilink in Straßburg, einem deutsch-französischen Zentrum für translationale Forschung, das von sieben akademischen und öffentlichen Partnern gegründet wurde. Seit Oktober 2017 ist er Generaldirektor des Luxembourg Institute of Health (früher: Forschungszentrum CRP-Santé).
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